Rezension über:

Franz-Josef Arlinghaus / Peter Schuster (Hgg.): Rang oder Ranking? Dynamiken und Grenzen des Vergleichs in der Vormoderne (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 38), Konstanz: UVK 2020, 114 S., 27 Abb., ISBN 978-3-86764-914-8, EUR 34,00
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Rezension von:
Tobias Schenk
Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Schenk: Rezension von: Franz-Josef Arlinghaus / Peter Schuster (Hgg.): Rang oder Ranking? Dynamiken und Grenzen des Vergleichs in der Vormoderne, Konstanz: UVK 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 3 [15.03.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/03/34629.html


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Franz-Josef Arlinghaus / Peter Schuster (Hgg.): Rang oder Ranking?

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Vergleichs- und Konkurrenzphänomene sind in der modernen Gesellschaft allgegenwärtig und stoßen seit einigen Jahren auch in der Frühneuzeitforschung auf starkes Interesse. Der vorliegende Band ging aus einer vom Bielefelder SFB "Praktiken des Vergleichens" bereits 2013 veranstalteten Tagung hervor, enthält jedoch nur vier der damals gehaltenen Referate, die durch einen Beitrag von Stefan Brakensiek ergänzt wurden. In ihrer mit nur fünf Seiten sehr knapp ausgefallenen Einführung gehen die Herausgeber von der Annahme aus, dass es in der Gegenwart vornehmlich innerhalb funktional ausdifferenzierter Subsysteme zu Vergleichskommunikation komme. Mit Blick auf die hierarchisch-stratifizierte Gesellschaft der Vormoderne sei deshalb danach zu fragen, welche Bereiche dem Vergleich überhaupt zugänglich gewesen seien, welcher Medien sich komparative Kommunikation bedient habe und welche integrativen bzw. separierenden Dynamiken hierdurch hervorgerufen worden seien.

Den Reigen der Beiträge eröffnet Jan Hennings, der uns in die Sphäre der europäisch-russischen Diplomatie führt. Da das Zarenreich zwar als Projektionsfläche kultureller Abgrenzung diente, zugleich aber an den rituellen Praktiken zur (Re-)Produktion von Rang und Stand innerhalb der europäischen Fürstengesellschaft partizipierte, sind zwei Vergleichsebenen zu differenzieren. Verglichen wurde einerseits in Form einer identitätsstiftenden und somit ausgrenzenden Fremdbeschreibung, andererseits zum Zweck einer ordnungsstiftenden, d.h. integrativen Aushandlung gesellschaftlicher Geltungsansprüche. Wie der Autor quellennah ausführt, darf der Barbarendiskurs also nicht über jene "Verschränkung von Rang und Kultur" (28) hinwegtäuschen, die Diplomaten zu einem Agieren innerhalb eines gemeinsamen Referenzsystems zwang.

Um 1700 entstandene Reiseberichte über das persische Safawidenreich stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Stefan Brakensiek. Den Postulaten der zeitgenössischen Apodemik (Reisekunst) folgend traten die Autoren mit dem Anspruch auf, empirisch abgesicherte Beiträge zur Staatenkunde zu liefern. Auf diese Weise fanden die ambitioniertesten Vertreter des Genres zu einem "reflexiven Umgang mit der Mächtekonkurrenz" (39), in dem Brakensiek den Nukleus einer vergleichenden Verfassungsgeschichte modernen Zuschnitts ausmacht.

Sodann analysiert Karl-Heinz Spieß Formen und Medien der Vergleichskommunikation an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen. Dabei wird deutlich, dass neben qualitativen Merkmalen stets auch quantifizierende Gesichtspunkte eine Rolle spielten, etwa hinsichtlich Anzahl und Zusammensetzung des Gefolges, Größe des Schatzes oder Alter der Ahnenreihe. Die fürstlichen Häuser anhand dieser Quellen ex post in ein Ranking zu bringen, erweist sich freilich als schwierig. Als Schlüsselindikator betrachtet Spieß die soziale Qualität des Konnubiums, dessen statistische Auswertung eine sukzessive Distanzierung der Fürsten vom nichtfürstlichen Adel erkennen lässt.

Um spätmittelalterliche Kleidungspraktiken als Medien sozialen Vergleichs geht es Kirsten O. Frieling. In einer Gesellschaft, die ihre Schichtung vor allem durch nonverbale Kommunikationsakte reproduzierte, war der individuelle Spielraum bei der Kleiderwahl zwar wesentlich geringer als in der Gegenwart. Gleichwohl verfügten die Zeitgenossen über standes- und ressourcenabhängige Möglichkeiten, soziale Erwartungen zu erfüllen oder zu durchbrechen. In diesem Zusammenhang verweist Frieling darauf, dass zahlreiche hochwertige Gewänder durch Vererbung, Verschenkung und den Altkleiderhandel die Standesgrenzen überschritten.

Abschließend analysiert Johannes Grave vergleichendes Sehen in der Kunst des christlichen Mittelalters, die im Gegensatz zu späteren Epochen in erster Linie durch zyklische Kompositionen geprägt war. Bilderfolgen dienten nicht allein linearen Narrationen, sondern visualisierten zugleich die theologische Grundidee einer typologischen Gegenüberstellung von Altem und Neuem Bund. Verglichen wurde darüber hinaus auch zwischen den einzelnen Kunstgattungen, wie Grave am Beispiel des Madrider Verkündigungs-Diptychons Jan van Eycks aufzeigt, der mit den Mitteln der Malerei Skulpturen täuschend echt imitierte.

Die einzelnen Beiträge sind von Kennern der Materie verfasst und bieten eine anregende Lektüre. Es wird deutlich, dass die keineswegs statische vormoderne Gesellschaft auf vielen Feldern dynamisierende Impulse durch Praktiken des Vergleichs empfing. In Summe entsteht angesichts der großen, durch die Einleitung nur ansatzweise verklammerten thematischen Bandbreite der einzelnen Aufsätze jedoch der Eindruck einer Verlegenheitspublikation. Auffällig ist zudem ein Ungleichgewicht, das in Mediävistik und Frühneuzeitforschung des Öfteren zu beobachten ist, sobald soziologisch inspirierte Fragestellungen diskutiert werden. Bei aller methodischen Verfremdung des Forschungsgegenstandes geht es Soziologen stets um die "Geschichte der Gegenwart". [1] Diese Gegenwart soll auch für den vorliegenden Band die "Kontrastfolie" (10) bilden. Er enthält jedoch keinen einzigen Beitrag eines Autors, dessen fachlicher Schwerpunkt in den Jahrhunderten Numero 19 bis 21 läge.

Aus meiner Sicht ist diese Leerstelle symptomatisch für eine Frühneuzeitforschung, die zwar mit der Mediävistik seit Jahrzehnten in bewährtem Austausch steht, das Gespräch mit der Zeitgeschichte hingegen viel zu selten sucht. Im Epochenvergleich ist unser Bild der Zeit vor 1789 deshalb häufig von einer kulturellen Fremdbeschreibung geprägt, der die analytischen Bezüge zur Postsattelzeit großteils abhandengekommen sind. Die Identifizierung von Kontinuitätslinien zwischen Vormoderne und Zeitgeschichte wird hierdurch stark erschwert. So hätte es nahegelegen, stärkere Bezüge zwischen Vergleich und Konkurrenz herzustellen und dabei jene quantifizierenden Praktiken in den Blick zu nehmen, deren dynamisierendes Potential Bettina Heintz kenntnisreich offengelegt hat. [2]

Auf diesem Wege wäre man u.a. bei der Kameralistik gelandet, die - wie bei Brakensiek anklingt - schon im frühen 18. Jahrhundert mit der Vorstellung aufräumte, es gäbe auf dieser Welt irgendetwas oder irgendjemanden, den man nicht zählen, in eine Tabelle pressen und damit vergleichbar machen könne. Als Beispiel ließe sich die preußische Gerichtsverwaltung anführen, in der schon vor 1740 ohne jede Rücksicht auf ständische Differenzierung ein periodisches Berichtswesen zur Erfassung der Erledigungszahlen von adligen und bürgerlichen Beisitzern in den Justizkollegien eingeführt wurde. [3] Bei aller Fremdheit ist uns die Frühe Neuzeit in vielerlei Hinsicht näher, als wir denken. Die Auseinandersetzung mit soziologischen Positionen sollte deshalb von Historikern auch dazu genutzt werden, wieder stärker über den zweiten Teil des Kompositums "Vormoderne" nachzudenken.


Anmerkungen:

[1] Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, 16. Aufl., Frankfurt am Main 2016, 43.

[2] Bettina Heintz: Zahlen, Wissen, Objektivität. Wissenschaftssoziologische Perspektiven, in: Zahlenwerk. Kalkulation, Organisation und Gesellschaft, hgg. von Andrea Mennicken / Hendrik Vollmer, Wiesbaden 2007, 65-85.

[3] Tobias Schenk: Vom Reichshofrat über Cocceji zu PEBB§Y. Epochenübergreifende Überlegungen zu gerichtlichen Urteils- und Vergleichsquoten aus institutionengeschichtlicher Perspektive, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 137 (2020), 91-233, hier 183-220.

Tobias Schenk