Rezension über:

Björn Frank: Zu Keynes passt das nicht. Vom Leben und Sterben großer Ökonomen, Berlin: Berenberg 2019, 152 S., eine s/w-Abb., ISBN 978-3-946334-52-1, EUR 22,00
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Rezension von:
David Irion
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
David Irion: Rezension von: Björn Frank: Zu Keynes passt das nicht. Vom Leben und Sterben großer Ökonomen, Berlin: Berenberg 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 2 [15.02.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/02/35298.html


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Björn Frank: Zu Keynes passt das nicht

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Wer das Hauptgebäude des University College London als Besucher betritt, sieht sich mit etwas Überraschendem konfrontiert. In einem aus poliertem Mahagoniholz gefertigten Kasten befindet sich in einem darin eingelassenen etwas kleineren Kasten eine lebensgroße männliche Figur in altertümlicher Kleidung auf einem Stuhl sitzend, ihren Spazierstock locker auf dem linken Knie abgelegt. Ausweislich der an diesem Kasten angebrachten Inschrift, handelt es sich um Jeremy Bentham. Dieser hatte im eigenhändigen Haupttext seines Testaments verfügt, nach seinem Tode sein Skelett nach der Entfernung der Weichteile wieder zusammensetzen und ausstellen zu lassen, sodass "the whole figure may be seated in a Chair usually occupied by me when living in the attitude in which I am sitting when engaged in thought in the course of time employed in writing [...]. The skeleton [should] to be clad in one of the suits of black occasionally worn by me [...]." [1]

Schlägt man den schmalen Band von Björn Frank - Professor für Mikroökonomik an der Universität Kassel - auf, fällt der Blick zuerst auf ein ganzseitiges Foto eben jenes präparierten Jeremy Bentham in seinem Holzkasten. Und vermutlich ganz ähnlich dem Besucher im Hauptgebäude des University College London, ist man als Leser zunächst ob der Skurrilität des Gesehenen und dessen Intentionen und Implikationen irritiert und gerade deshalb auch und vor allem neugierig. Es stellt sich nämlich beim Betrachten unweigerlich die Frage, welche individuellen wie zeitgenössischen Lebensumstände eines Mannes wie Jeremy Bentham zu einem solchen Kuriosum führten. Und genau über diesen Zusammenhang denkt Frank in seinem Buch nach. Das von ihm dem Band vorangestellte Bild von Bentham steht dabei also gewissermaßen symbolisch für sein gesamtes heuristisches Vorgehen. Denn als Aufhänger dienen Frank in seinen Miniaturen die romanhaft gelebten Leben einiger Ökonomen, die so wunderlich wirken, "als hätte es sich jemand ausgedacht" (9). Doch will der Autor eben keine Biografien schreiben, "sondern Erzählungen, die in einen Tod münden, der ein letztes Schlaglicht auf ihr Leben und ihr Werk wirft" (ebd.). Und auch wenn Frank explizit in seiner Einleitung betont, dass sein Buch für jene geschrieben sei, "die mit Wirtschaftswissenschaft eigentlich nicht viel am Hut haben" (11), so können es doch auch Ökonomen, aber auch Historiker mit Gewinn lesen. Denn wie Werner Plumpe bereits völlig zurecht darauf hingewiesen hat, gelingt Frank durch seine zeitliche und lebensgeschichtliche Kontextualisierung ökonomischer Theorien, deren Abstraktion zu verringern, Anschaulichkeit und Plausibilität aber zu erhöhen. [2]

Wichtig ist Frank zudem der Hinweis, dass in Bezug zu den von ihm präsentierten Lebensgeschichten der Grundton nicht zwingend feierlich sein müsse, sondern sehr wohl ironisch sein dürfe. So stellt er etwa Joseph Alois Schumpeter mit der Feststellung vor, Frauen hätten für dessen Leben und Sterben eine große Rolle gespielt, ein Frauenheld sei er aber nicht sein Leben lang geblieben und "auch nicht etwa im Duell" gestorben (81). Insgesamt grenzt Frank seine Arbeit damit sowohl in formal-sprachlicher wie in inhaltlich-argumentativer Hinsicht deutlich gegenüber den einschlägigen bereits existierenden Überblicksdarstellungen deutscher Sprache zu den bedeutendsten Ökonomen, ihrem Leben und Werk ab. [3] Überdies ist der in seinem Buch vom 16. bis ins 21. Jahrhundert reichende Untersuchungszeitraum zwar weit gewählt, allerdings keinesfalls erschöpfend. [4] Auch sollte nicht der Fehler gemacht werden, die hier eben unter dem Gesichtspunkt ihres romanhaften Lebens vorgenommene Auswahl der Ökonomen für repräsentativ zu halten. Was das betrifft, gleicht die personale Zusammenstellung Franks eher einem Panoptikum.

Die der sehr knappen Einleitung folgenden, zwischen vier und zwölf Seiten langen biografischen Skizzen, sind anhand der Lebensdaten der vorgestellten Ökonomen chronologisch geordnet. Ihnen folgt ein abschließendes 13. Kapitel, in welchem unter der Überschrift "Variationen über Themen von Friedrich List" einige sehr kurze Bemerkungen zu Henri de Saint-Simon, Alexander Hamilton, Elizabeth Boody Schumpeter, Karl Marx und Rosa Luxemburg gemacht werden. Leider lässt sich Abseits dieser Ausnahme kein Kapitel in Franks Buch finden, das einer einzelnen Ökonomin gewidmet wäre. Dieser Umstand ist ein wenig bedauerlich, hätte sich doch gerade Rosa Luxemburg mit ihrer gut dokumentierten Vita für ein eigenständiges Kapitel angeboten, welches darüber hinaus auch einen basalen Exkurs über die ökonomischen Vorstellungen ihrer politischen Mitstreiterinnen hätte bieten können.

Abgesehen davon zeichnen sich die zwölf plus ein Kapitel allesamt durch ihre an den richtigen Stellen vorgenommene historische Kontextualisierung, den immer wieder deutlich werdenden Aktualitätsbezug und die insgesamt sehr gute Lesbarkeit aus. Zudem gelingt es dem Autor immer wieder überzeugend, die den zentralen wissenschaftlichen Theoremen zugrundeliegenden Problematiken über die persönlichen Prägungen und Alltagserfahrungen der einzelnen Ökonomen plastisch herzuleiten. Besonders die Portraits von Richard Cantillon, Jeremy Bentham, Friedrich List, Joseph Alois Schumpeter und Ronald H. Coase sind gelungen. So erfahren wir über List, dass er eine Ausbildung in der Staatsverwaltung begann. Dort hatte er erlebt, wie diese das Land lähmte, was ihn nachhaltig prägte. Später als Professor an der von ihm gegründeten Fakultät für Staatsverwaltungspraxis nutzte er die sich ihm bietende Öffentlichkeit dann nicht nur um laut über Verwaltungsreformen nachzudenken. Immer mehr weckten auch reformbedürftige ökonomische Probleme sein Interesse, die unmittelbar mit den Hemmnissen einer insuffizienten Verwaltung zusammenhingen: Nichts erschien ihm ab da so virulent wie die Beseitigung der sich durch das ganze Land ziehenden Zollgrenzen.

Gerade weil Frank oftmals derart pointiert schreibt, hätte man sich als ein mit Vorkenntnissen ausgestatteter Leser einen Fußnotenapparat und ein umfangreicheres Literaturverzeichnis gewünscht. Gleichwohl bieten die "Anmerkungen und Quellen" am Ende des Buches als Startpunkt einer weiterführenden Lektüre eine durchaus gelungene Handreichung. Auch deshalb zahlt sich der Mut zur Verkürzung des Autos aus: Sein Buch widersteht der Versuchung erstaunliche Begebenheiten einzig des Selbstzwecks wegen zu erzählen. Vielmehr dienen ihm diese als ein Vehikel, um wichtige ökonomische Einsichten verständlich zu machen. Das funktioniert erstaunlich gut.


Anmerkungen:

[1] James E. Crimmins: Introduction, in: Jeremy Bentham's Auto-Icon and Related Writings, hg. von ders., Bristol 2002, 6.

[2] Siehe: Werner Plumpe: Uneindeutigkeit sichert die nachhaltige Wirkung. Björn Frank erzählt aus dem Leben von Ökonomen und macht dabei einige ihrer Einsichten publik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2019, Nr. 64, 10.

[3] Vgl. beispielhaft Heinz D. Kurz (Hg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, Bd. 1: Von Adam Smith bis Alfred Marshall und Bd. 2: Von Vilfredo Pareto bis Amartya Sen, München 2008/2009; Joachim Starbatty (Hg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, Bd. 1: Von Platon bis John Stuart Mill und Bd. 2: Von Karl Marx bis John Maynard Keynes, München 1989.

[4] Vgl. die gerade auch für Historiker aller Epochen hilfreiche fünf-bändige Reihe: Hans Werner Holub: Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Wien 2005-2011.

David Irion