Rezension über:

Daniel Hess / Dagmar Hirschfelder / Katja von Baum (Hgg.): Die Gemälde des Spätmittelalters im Germanischen Nationalmuseum. Franken, Regensburg: Schnell & Steiner 2019, 2 Bde., 1126 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7954-3398-7, EUR 199,00
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Rezension von:
Markus Hörsch
Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa, Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Rebecca Müller
Empfohlene Zitierweise:
Markus Hörsch: Rezension von: Daniel Hess / Dagmar Hirschfelder / Katja von Baum (Hgg.): Die Gemälde des Spätmittelalters im Germanischen Nationalmuseum. Franken, Regensburg: Schnell & Steiner 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 6 [15.06.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/06/33955.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Daniel Hess / Dagmar Hirschfelder / Katja von Baum (Hgg.): Die Gemälde des Spätmittelalters im Germanischen Nationalmuseum

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Wissenschaftliche Bestandskataloge sind gerade in den Zeiten verstärkter Provenienzforschung ein Muss. Sie geben den Kunstwerken ihren Kontext zurück, der heute in der Wissenschaft, nach weitgehender Aufgabe des Glaubens an eine "autochthone" Entwicklung der Kunst, wieder eine grundlegende Rolle spielt. Und so ist man glücklich, dass das Germanische Nationalmuseum, ein Leibniz-Forschungsmuseum, einen umfangreichen zweibändigen Katalog zur fränkischen Malerei des Zeitraums bis 1500 im Besitz dieses Hauses vorgelegt hat. Er ergänzt den von dem verstorbenen Kurt Löcher herausgegebenen Gemäldekatalog. [1] Die Printversion hat den Vorteil, dass man sich auf einen Abschluss hin, das heißt auch auf konkrete Aussagen festlegen musste, was in den Zeiten digitaler allseitiger Offenheit zu einem Schnitt, einer Konzentration führt. Selbstverständlich ist es wünschenswert, dass auf der ebenfalls vorhandenen Online-Plattform nun gegebenenfalls Fakten aktualisiert werden; auch kann man hier eine höhere Zahl an Abbildungen einstellen.

Die Kunst bestand darin, den Umfang im richtigen Maß zu halten, bei den Texten wie im Hinblick auf die Bebilderung: Behandelt werden 70 Objekte auf deutlich mehr als 1100 Seiten. Selbstverständlich muss ein solches Werk reich illustriert sein. Dem Rezensenten scheint dies, auch hinsichtlich des Buchformats, wohlgelungen, auch wenn man im Einzelfall vielleicht ein restauratorisch-technisches Detail, ein zusätzliches Vergleichsobjekt mehr abgebildet wünschen könnte.

Die inhaltlichen Maßgaben eines solchen Katalogs sind inzwischen relativ klar definiert, nachdem dem Fach Kunstgeschichte lange jene editorische Basis fehlte, wie sie in den Literaturwissenschaften längst gang und gäbe, und, zugegebenermaßen, auch leichter zu erstellen ist. Doch gerade für Werke der Bildenden Kunst müssen Angaben aus verschiedenen Bereichen zusammengeführt werden, dabei rasch erfassbar sein. Darin ist der Katalog vorbildlich. Jedes Objekt wird nach fünf Hauptkategorien erfasst: "1. Darstellung" (Ikonografie), "2. Erhaltener Bestand", "3. Objektgeschichte", "4. Kunsthistorische Einordnung" und "5. Quellen und Literatur".

Die Untersuchung der Techniken und die Wiedergabe des naturwissenschaftlich-restauratorischen Befunds ist das Wichtigste, was ein Forschungsmuseum leisten kann und muss - und so wird in logischer Reihenfolge in den Kapiteln 2 ("Bildträger und Vorbereitung des Malgrunds", "Unterzeichnung und Bildvorbereitung", "Metallauflagen und Verzierungstechniken", "Malweise und Farbauftrag") und 3 ("Spätere Veränderungen und Zustand") in ausgesprochen lesbarer Form die Voraussetzung für jegliche weitere Forschung geschaffen. Jeder denkmalbetreuenden Behörde und insbesondere kleineren Museen ist es ans Herz zu legen, ein ähnliches Dokumentationsraster anzulegen. Dies ist (auch wenn das Wort inzwischen abgedroschen klingen mag, behält es doch seine Bedeutung) nachhaltiges Handeln, insbesondere für die Pflege der Objekte.

Auch die im Katalog vielfältig beschriebenen "Morelli'schen" Details künstlerischer Handschrift sind in diesem Kontext durchaus nicht verzichtbar, wie, um nur ein Beispiel zu nennen, die Bearbeitung des der Werkstatt Hans Trauts zugeordneten Veitsretabels aus der Nürnberger Augustinereremitenkirche (Nr. 43) belegt. Hier konnte die charakteristische Handschrift der beteiligten Künstler - unter ihnen, wie schon lange vermutet, Rueland Frueauf der Ältere - sehr klar herausgearbeitet werden. Die Frage, wie es sein kann, dass Frueauf nur eine einzige Tafel an dem umfangreichen Werk ausführte (und diese signierte), bleibt weiterführenden Forschungen vorbehalten, sofern sie überhaupt je beantwortet werden kann.

Was die Objektgeschichte betrifft, konnten in den letzten Jahren viele Sachverhalte geklärt werden, die hier nun aufscheinen. Natürlich bleiben wiederum wichtige Fragen offen, so die nach dem Aufstellungsort des genannten Veits- oder Augustiner-Retabels. Früher dachte man, es habe das ältere Hochaltarretabel ersetzt, das heute im Chor der Nürnberger Frauenkirche steht; heute geht man eher davon aus, dass das jüngere Retabel von 1487 für das damals eben neu erbaute Langhaus der Augustinerkirche gefertigt wurde. Auch wenn dies noch nicht ganz sicher belegt ist - die Diskussionsbasis ist vorhanden.

Eine Vielzahl von Objekten wurde überhaupt erstmals genauer untersucht - verwiesen sei hier nur auf das Beispiel eines Flügels aus der Stiftskirche St. Vitus in Herrieden/Mittelfranken (Kat. Nr. 69). Hier konnte, so zu sagen aus der Klaue des Löwen, aufgrund ergänzender Funde in Saratoga (Florida) und in Privatbesitz das spätmittelalterliche Hochaltarretabel von 1494 der inzwischen barockisierten Kirche weitgehend rekonstruiert werden. Vielleicht gibt ein solcher Beitrag sogar Anstoß für weitere Funde, denn da Teile des zersägten Altarwerks über die Welt verstreut wieder auftauchten, liegt es nahe, dass weitere gefunden werden können. Dass die Bearbeiterinnen im Hinblick auf die in Herrieden noch vorhandenen Skulpturen etwas zu sehr im Vagen blieben, ist ihnen nachzusehen, da ältere Thesen hinsichtlich der künstlerischen Einordnung des früher Herlin zugeschriebenen und zu früh datierten Flügels nun als widerlegt gelten können. Der stilistisch-maltechnische Vergleich belegt zumindest eine Nähe zur erwähnten Werkstatt Hans Trauts.

Das Beispiel erweist wie viele andere auch, dass die vorliegende Materialsammlung insbesondere bei der kunsthistorischen Einordnung eine der wesentlichen Bedingungen heutiger Bild- und Kunstgeschichte mitreflektiert: die der Offenheit. Es konnte nicht das Ziel sein, alle Fragen vermeintlich sicher zu beantworten. Man findet gerade in Franken eine große Zahl qualitätvoller Maler, die sich, wie es scheint, oft gar nicht in festen Werkstattverbünden und -stilen eingerichtet und dort, wie es die alte Kunstgeschichte festzustellen trachtete, "entwickelt" haben. Vielmehr fluktuieren sie in verschiedenen Kooperationen, die jeweiligen Auftraggeber und ihre Ansprüche und Möglichkeiten spielten eine große Rolle. Wer war gerade mit einem Großprojekt befasst, brauchte wieviele Mitarbeiter? Da ist es nur schade, dass Museen bis heute, auch das Germanische Nationalmuseum, weitgehend an der alten Gattungstrennung zwischen Malerei und Skulptur festhalten. Immerhin wird auf letztere häufig verwiesen, insbesondere, wenn es sich um Retabel handelt; aber die tatsächlichen Verhältnisse der Produktion und "Vermarktung" waren eben noch komplexer. In welcher Werkstatt wurde ein Werk bestellt, welcher Maler oder Schnitzer stand zum Beispiel gerade zur Verfügung, wenn es um die Kombination beider Gattungen ging? Man kann hoffen, dass die prächtigen Malerei-Bände um der Skulptur gewidmete ergänzt werden können.

In jedem Fall wird der vorliegende Katalog sicher erst langsam seine Wirkung entfalten - aber das ist sein Zweck: auch künftig das Interesse an der reichen und diversen fränkischen "Kunstlandschaft" wachzuhalten und künftiger Forschung eine Basis zu geben.


Anmerkung:

[1] Kurt Löcher: Germanisches Nationalmuseum: Die Gemälde des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1997.

Markus Hörsch