Rezension über:

Gillian B. Fleming: Juana I. Legitimacy and Conflict in Sixteenth-Century Castile (= Queenship and Power), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2018, XXII + 356 S., 5 Farbabb., ISBN 978-3-319-74346-2, EUR 106,99
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Rezension von:
Horst Pietschmann
Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Horst Pietschmann: Rezension von: Gillian B. Fleming: Juana I. Legitimacy and Conflict in Sixteenth-Century Castile, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 11 [15.11.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/11/33046.html


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Gillian B. Fleming: Juana I

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Dieses Buch über Königin Johanna I. von Kastilien (*6. November 1479 in Toledo; †12. April 1555 in Tordesillas), oft als "Johanna, die Wahnsinnige" bezeichnet, entstammt der Dissertation der Verfasserin am "International History Department of the London School of Economics and Political Science", veröffentlicht in der US-Reihe "Queenship and Power".

Schon 1497, als zur Festigung der Heiligen Allianz gegen die Türken die Doppelhochzeit zwischen den Erben der Häuser von Trastamara und Habsburg erfolgte, komplizierten Erbfolgeprobleme die Beziehungen zwischen beiden Dynastien. Zunächst verstarb der kastilische Erbprinz Johann (4.10.1497), wenig später bei der Geburt auch der Sohn des Ehepaars. Dann wurde mit dem Tod der in Portugal verheirateten ältesten Tochter (23.8.1498) und deren Sohn Miguel da Paz (†20.7.1500) die portugiesische Sukzession zunichte und die Erbfolge fiel an die am flandrischen Hof lebende Johanna, die mit Karl (*24.2.1500) in Gent einen Sohn gebar. Nach Konflikten um die Übersiedlung Johannas und Philipps nach Spanien starb 1504 Königin Isabella, die testamentarisch Ferdinand zum Regenten Kastiliens für die abwesende Tochter ernannt hatte. Dazu war mit der Tochter König Heinrichs IV., Juana la Beltraneja (28.2.1462-12.4.1530), eine in Kastilien umstrittene Thronprätendentin in ein Kloster in Lissabon verbannt, deren Schicksal beide Mächte nach langen Kriegsjahren 1479 im Frieden von Alcaçovas vertraglich geregelt hatten. Erb- und Legitimitätskonflikte destabilisierten Kastilien somit schon mehr als ein halbes Jahrhundert lang.

Die Untersuchung beginnt mit einem Vorwort zur "Verortung" des Lesers in den (zeit-)historischen Kontext, das die bedeutenden Quellenverluste zum Thema skizziert und positiv urteilende Zeitgenossen Johannas benennt, die sie teils persönlich kannten, teils umfangreichere Aktenbestände zum Thema gesichtet hatten. So betont der Historiker Jerónimo Zurita, dass die Königin eine rege, flüssige Korrespondenz pflegte und darin so manchen König übertraf. Nach knapper Präzisierung benutzter Quellenbestände und der eigenen Vorgehensweise stellt die Verfasserin abschließend die zentrale historische Frage an die Akteure jener Epoche: Was bedeutet Ihnen "Spanien"? Angesichts separatistischer, teils republikanischer Bestrebungen der Gegenwart ein aktueller diskussionswürdiger Bezug zum Thema.

Darauf beschließen drei Seiten Inhaltsangabe mit 15, ihrerseits in drei bis vier Unterpunkte gegliederten und mit Schlagwörtern aus Johannas jeweiliger Lebensphase bezeichneten Kapiteln sowie die Verzeichnisse der Abkürzungen und Abbildungen den römisch paginierten Vorspann. Kapitel 1 führt den Leser in den Garten des Schlosses von Benavente, in die Nähe von Zamora, nachdem Johanna und Philipp 1506 in Spanien eingetroffen waren, um die Herrschaft zu übernehmen. Dort erfährt Johanna von ihrem Gatten, dass dieser mit König Ferdinand einen Vertrag geschlossen habe, der ihm, Philipp, die Herrschaft in Kastilien überlasse. Nun sei ihr bewusst geworden, dass sie künftig als Geisel Philipps fungieren werde. Ihren Wunsch, den Garten des Schlosses zu besuchen, gestattete man ihr angesichts der Anwesenheit deutscher Söldner. Johanna als gute Reiterin unternahm einen Fluchtversuch. Durch Berittene verfolgt flüchtete sie sich in eine Mühle und blieb belagert die Nacht und den nächsten Tag darin.

Von hier aus entwickelt Fleming nun die Problematik von Johannas verschiedenen Lebensphasen: beginnend mit den ersten Ehejahren in den Niederlanden, den verschiedenen Regenten und Herrschenden - durch König Ferdinand nach Isabellas Tod, die kurze "Regierung" Philipps, gefolgt von der Regierungszeit Johannas, die ohne Gelegenheit blieb, einen Hof und Beraterstab zu bilden, sodann die erste Regentschaft des Kardinals Cisneros, die zweite Regentschaft König Ferdinands bis zu dessen Tod 1516, als Johanna bereits in Tordesillas in dem Schloss lebte, in dem sie Jahrzehnte später sterben sollte - die zweite Regentschaft des Kardinals Cisneros bis zur Ankunft von Sohn Karl in Kastilien und dessen Anerkennung in Gemeinschaft mit seiner Mutter. Sodann die vorübergehend im Besitz der Herrschaft befindlichen Comuneros, die mit oder durch Johanna ihre Herrschaft sichern wollten.

Mit der Nummer 13 folgt das Kapitel über den längsten Zeitraum von 1521-1539, das in Teilabschnitten zentrale Fragen thematisiert: die 'versteckte Königin', 'Wahnsinn und Melancholie', 'Konfession und Besessenheit' und 'das geistige Leben einer politischen Gefangenen'. Es sind dies die Jahre, in denen nach der Heirat Karls V. mit Isabella von Portugal sich die Frage der Titulatur angesichts zweier Königinnen erneut stellte und in Kastilien die religiösen Fragen in mancherlei Varianten alarmierten, Johanna die Beichte verweigerte und in Hungerstreik trat. Kapitel 14 behandelt die Jahre bis zum Tode Johannas (1550-1555), insbesondere Familienangelegenheiten, Besuche bei Johanna in Tordesillas und knapp Johannas Tod. Ein kurzes Schlusskapitel resümiert die unterschiedlichen Begrifflichkeiten, mit der männliche und weibliche Beobachter Johanna jeweils mit gender-spezifischem Unterton charakterisierten. Berühmte Historiker der Zeit, wie Gonzalo Palencia und Pedro Mártir de Anglería, bemühten sich zudem, die Erinnerung an Heinrich IV. bzw. Johanna I. in schwärzesten Farben zu zeichnen. Dann skizziert die Verfasserin Gemeinsamkeiten im Verhalten von Heinrich, Johanna und anderen Verwandten, die die Königin resümierend als wahnsinnig oder nicht als Herrin ihres Verstandes ansahen oder sie als unglückliche, vielfach verratene und vom Schicksal schwer geschlagene Frau bezeichnen ließen. Zu letzterer Beurteilung neigt die Verfasserin, die Johanna weder Wahnsinn attestiert, noch einen Spanienbezug zubilligt, sondern Loyalität zu ihren Eltern und Kindern als Hauptmotiv ihres Handelns bezeichnet.

Die Methode der Verfasserin, den Leser in die Problematik einzuführen und von Kapitel 2 an das Werk nach den Lebensstationen Johannas und den sie konkret betreffenden Vorgängen zu gliedern, hat Vor- und Nachteile. Der Reichtum an Details, Personen und Umständen in jedem Kapitel macht es sinnvoll, die Fußnoten zusammen mit den benutzten Quellen und der Literatur am Ende jedes Kapitels zu drucken. Da aber am Ende kein zusammenhängendes Quellen- und Literaturverzeichnis, sondern nur ein Namensregister mit dürftigen Erklärungen den Band beschließt, droht der Leser angesichts der Fülle der Namen der Akteure die Übersicht zu verlieren. Das Namensregister hat Lücken. So fehlt etwa der mit der Betreuung Johannas in Tordesillas beauftragte 'Denia' (wohl der 3. Markgraf von Denia). Ungeachtet des spanischen Quellen- und Literaturreichtums im Detail wurde freilich relevante neuere Literatur nicht benutzt. [1]


Anmerkung:

[1] So fehlt etwa die große Evaluierung der auf Spanien bezogenen Historiographie von José Alvarez Junco ( coord.) / Gregorio de la Fuente / Carolyn Boyd / Edward Baker: Historia de España. Band 12: Las historias de España, Barcelona / Madrid 2013; Frances Luttikhuizen: Underground Protestantism in Sixxteenth Century Spain. A Much Ignored Side of Spanish History, Göttingen 2017, ein Werk, in dem u.a. eine Gruppe von Frauen eine wichtige Rolle spielte, war möglicherweise der Verfasserin noch nicht zugänglich; es fehlen z.B. auch die Arbeiten der Wiesflecker-Schule oder Anna Margarete Schlegelmilch: Die Jugendjahre Karls V. Lebenswelt und Erziehung des burgundischen Prinzen, Köln, [u.a.] 2011.

Horst Pietschmann