Rezension über:

Anna Cannavò / Ludovic Thély: Les royaumes de Chypre à l'épreuve de l'histoire. Transitions et ruptures de la fin de l'âge du Bronze au début de l'époque hellénistique (= Bulletin de Correspondance Héllénique. Supplements; 60), Athen: École française d'Athènes 2019, 356 S., ISBN 978-2-86958-307-8, EUR 35,00
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Rezension von:
Andreas Mehl
Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Mehl: Rezension von: Anna Cannavò / Ludovic Thély: Les royaumes de Chypre à l'épreuve de l'histoire. Transitions et ruptures de la fin de l'âge du Bronze au début de l'époque hellénistique, Athen: École française d'Athènes 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 11 [15.11.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/11/33000.html


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Anna Cannavò / Ludovic Thély: Les royaumes de Chypre à l'épreuve de l'histoire

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Der Band präsentiert sechzehn Vorträge, die auf einer Tagung 2015 in Athen anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der französischen Ausgrabungen in der antiken südzyprischen Küstenstadt Amathous gehalten worden sind. Die Beiträge sind teils in Englisch, teils in Französisch abgefasst, während ihre Zusammenfassungen (343-353) jeweils in beiden Sprachen geboten werden. Der Anlass der Tagung bringt es mit sich, dass der Stadt und dem Königreich von Amathous immerhin sechs der sechzehn teils mehr archäologischen, teils mehr historischen Beiträge gewidmet sind (Violaris 67, Tassignon 111, Karnava 201, Perna 213, Markou 111 und Aupert / Balandier 251). Einem durch diese Schwerpunktbildung etwa entstehenden Ungleichgewicht wirkt die Tatsache entgegen, dass in den Beiträgen über Amathous auch Überlokales angesprochen wird und dass in den übrigen zehn Beiträgen sowohl an den Küsten als auch im Binnenland gelegene Städte und Königtümer oder Zypern insgesamt unter besonderen Gesichtspunkten behandelt und bereits in den Beitragstiteln ausgewiesen werden (Zypern insgesamt: Iacovou 7, Georgiou 29, Georgiadou 49, Zournatzi 189, Michaelides / Papantoniou 267 - Idalion: Satraki 147, Ledra: Pilides 239, Marion: Smith 167, Paphos: Raptou: 89, Salamis: Fourrier 129). Überdies sind die Abhandlungen über Amathous und die weiteren Beiträge so in vier chronologische und zugleich sachthematische Kapitel eingeordnet, dass sich ein sinnvolles Ganzes ergibt. In der Kombination der Entwicklung von Amathous mit der Zyperns insgesamt von der griechischen Klassik in den Hellenismus hinein bieten die beiden den Band abschließenden Beiträge von Aupert / Balandier (251) und Michaelides / Papantoniou (267) ein eindrucksvolles Finale.

Der nur auf dem Innentitelblatt wiedergegebene Untertitel grenzt den behandelten Zeitraum so ein, dass die bronzezeitlichen Königtümer den zeitlichen Ausgangspunkt markieren. Weiter weist der Untertitel auf das Ziel hin, "Übergänge und Brüche" zu untersuchen. Das erscheint im Vorwort der beiden Herausgeber als "Kontinuitäten, Brüche und Veränderungen" (2) und in dem gleich näher vorzustellenden programmatischen Beitrag Maria Iacovous unter Bezug auf Siedlungen und Landschaft im Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit als "Kontinuitäten, Umformungen und Übergänge eher als scharfe Brüche" (so in der Zusammenfassung 343 mit leichten Unterschieden zwischen der englischen und der französischen Version). Dem folgen die vier Kapitelüberschriften nur bedingt, indem die erste und die vierte den französischen Begriff "transition" aus dem Untertitel für Entwicklungen zwischen je zwei traditionellen und durchaus hinterfragbaren Epochen übernehmen, die dritte den ebenfalls französischen Begriff "transformation" auf Entwicklungen innerhalb einer Epoche bezieht und die zweite gar nichts derartiges bietet. Warum man so vorgeht, bleibt offen. Ungewiss bleibt auch, inwieweit unterschiedliche Begriffe in der Zielbeschreibung Verschiedenes oder Gleiches meinen und inwieweit hier die Zweisprachigkeit des Bandes hineinspielt. Ein weiteres sprachliches Problem sei assoziativ angefügt: Wenn auch das antike Zypern weniger Gegenstand deutsch- als englisch- und französischsprachiger Forschung ist, so fällt doch im vorliegenden Band genauso wie in zahlreichen englisch- und französischsprachigen Publikationen über Zypern die geringe Heranziehung deutschsprachiger Literatur auf.

Dass Maria Iacovous Beitrag (7) über die Entwicklung von den spätbronzezeitlichen Gemeinwesen ("polities") zu den eisenzeitlichen "Königtümern" in seinem theoretischen Gehalt für den gesamten im Band behandelten Zeitraum richtungsweisend sein soll, machen die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort deutlich (2). Damit werden sie der jahrzehntelangen allgemein anerkannten Forschung Iacovous zu dem Zeitraum gerecht, dem auch ihr vorliegender Beitrag gilt, und zugleich der Tatsache, dass Iacovous theoretische Feststellungen auch außerhalb ihres zeitlichen Forschungsschwerpunkts anwendbar erscheinen. [1] Dazu gehört auch die Maxime, Konstanten, Entwicklungen und Brüche innerzyprisch zu interpretieren (Herausgeber im Vorwort 2, Iacovou 7, bereits im Titel ihres Beitrags). Zweifelsohne wird man Iacovou Recht geben. Ob man es mit der Autorin immer noch betonen muss, sei indes dahingestellt. [2] Bei Iacovou rutschen überdies zwei damit verwandte, jedoch nicht identische Kritikpunkte in dieselbe Schublade: Viele heutige Zypernforscher könnten nicht Texte zyprischer Autoren seit dem frühen Mittelalter lesen und damit Zypern nicht aus sich selbst heraus verstehen. Kolonialistische und imperialistische Standpunkte hätten es ebenfalls unmöglich gemacht, Zypern aus sich selbst heraus zu verstehen. Indem Iacovou für die Aufdeckung kolonialistischer Geschichtsdeutung Zyperns und die Kritik daran vier zwischen 1998 und 2012 erschienene Werke nicht-griechischer und nicht-zyprischer Autoren zitiert, zeigt sie entgegen ihrer Intention auf, dass auch dies nicht mehr ein Gegenstand ist, auf dem man heute noch insistieren müsste. [3] Im Übrigen bleibt das von Iacovou hier nicht erwähnte Problem, dass bereits die uns erhaltenen antiken literarischen Quellen außerzyprische Perspektiven eingenommen haben und dennoch für wesentliche Aspekte der antiken Geschichte Zyperns unverzichtbar sind. Das wird in Beiträgen wie dem von Michaelides / Papantoniou (267) deutlich, in denen Literatur herangezogen ist, die ihrerseits auch auf derartigen literarischen Quellen beruht. Soweit in antiker Literatur der Eindruck einer von äußeren Mächten bestimmten Entwicklung Zyperns erweckt wird, lässt sich diesem nur bedingt mit inschriftlichen und dinglichen Quellen etwas entgegensetzen, weil die Aussagebereiche von Quellen unterschiedlicher Gattungen sich nur teilweise überlappen. Im Übrigen hat, wie etwa der Beitrag Zournatzis (189) über die Umschreibung Zyperns durch "die Völker des Meeres / jenseits des Meeres" in achämenidischen Auflistungen zeigt, auch Außensicht ihre Berechtigung, indem sie einen Teil historischer Realitäten wiedergibt.

Die hier vorgetragene Kritik hindert nicht, den Band insgesamt zu empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Auch der oben zitierte, von Iacovou geprägte und vom Rezensenten versuchsweise mit "Gemeinwesen" übersetzte Ausdruck "polity" stellt ein Theorem dar.

[2] Bereits vor einiger Zeit hat der Rezensent unter Bezug auf Iacovou die Herausbildung der zyprischen Königtümer im frühen ersten Jahrtausend vor Christus als innerzyprisch interpretiert und das Wort "Eigenentwicklung" schon in die Überschrift gesetzt: Andreas Mehl: Zyperns Stadtkönige bis um 500 v. Chr. Zwischen wechselnden Oberherrschaften und Unabhängigkeit, zwischen Eigenentwicklung und Import, in: Zypern - Insel im Schnittpunkt interkultureller Kontakte. Adaption und Abgrenzung von der Spätbronzezeit bis zum 5. Jahrhundert. Symposium, Mainz 7.-8. Dezember 2006 (= Schriften des Instituts für Interdisziplinäre Zypern-Studien; Bd. 8), herausgegeben von Renate Bol / Kathrin Kleibl / Sabine Rogge, Münster 2009 (2010), 191-212, besonders 205-208.

[3] Unter den von Iacovou hier aufgeführten Werken sind zwei der Mitherausgeberin des Bandes Anna Cannavò.

Andreas Mehl