Rezension über:

Dietrich Pietschmann: Das preußische Finanzministerium unter Stein und Hardenberg. Ein Beitrag zur Geschichte der Entstehung der modernen Fachministerien in Preußen (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz - Forschungen; Bd. 13), Berlin: Duncker & Humblot 2018, 242 S., ISBN 978-3-428-15535-4, EUR 89,90
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Rezension von:
Jörg Ulbert
Université Bretagne-Sud, Lorient
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Ulbert: Rezension von: Dietrich Pietschmann: Das preußische Finanzministerium unter Stein und Hardenberg. Ein Beitrag zur Geschichte der Entstehung der modernen Fachministerien in Preußen, Berlin: Duncker & Humblot 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 10 [15.10.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/10/32530.html


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Dietrich Pietschmann: Das preußische Finanzministerium unter Stein und Hardenberg

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Dissertationen unterliegen - zumindest im deutschsprachigen Raum - einer Veröffentlichungspflicht. Im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo die Publizierung integraler Bestandteil des Promotionsverfahrens war und ist, wurden Doktorarbeiten in der DDR nicht systematisch verlegt. Auch die vorliegende Studie von Dietrich Pietschmann (1925-1971), die bereits 1959 von der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität als Promotionsschrift angenommen wurde, blieb ungedruckt. Dass diese schnell in Vergessenheit geriet und selbst von der ostdeutschen Forschung nicht wahrgenommen wurde, lag auch an den Begleitumständen der Fertigstellung der Arbeit. So nahm Pietschmanns Doktorvater, der damals in Halle lehrende Wirtschaftshistoriker Hans Haussherr, 1958 einen Ruf ins westdeutsche Göttingen an. Der Weggang des Fürsprechers und die daraus resultierenden Verwerfungen erklären auch, weshalb die Studie in der DDR "nicht nur nicht rezipiert, sondern [...] nahezu ignoriert und verschwiegen" wurde (10). Nur wenige Wochen nach Erhalt eines Belegexemplars der Arbeit, verstarb Hans Haussherr, so dass es auch im Westen Deutschlands nicht mehr zu einer Rezension oder zu einer Anzeige der Dissertation in den einschlägigen Medien kam (17). Erst der mehr oder minder zufällig erfolgten Wiederentdeckung des Textes (10) durch Bärbel Holz ist es zu verdanken, dass Pietschmanns Studie nun doch noch einem breiteren Publikum zugeführt wird.

Nun könnte man meinen, dass eine Dissertation sechzig Jahre nach ihrer Verteidigung so überholt sein müsste, dass eine Veröffentlichung allenfalls noch von historiografischem Interesse wäre. Doch dem - so viel sei schon vorweggenommen - ist nicht so.

Dietrich Pietschmann erzählt die Geschichte des preußischen Finanzministeriums von seiner Entstehung 1806/1808 bis zum Tode von Staatskanzler Hardenberg im Jahre 1822. Die Arbeit ist vornehmlich aus Primärquellen gearbeitet. Sie ist, oder besser gesagt war, die erste größere der Entstehung und Entwicklung eines preußischen Fachministeriums gewidmete Studie. Ihr Aufbau ist weitgehend chronologisch. Elf Kapitel umfasst das Buch. Die ersten drei sind der brandenburgisch-preußischen Finanzverwaltung im Ancien Régime und in der Zeit vor den preußischen Reformen gewidmet. In der Vorgeschichte des Ministeriums interessiert sich Pietschmann ganz besonders für die äußeren Einflüsse auf die Reorganisationsversuche der preußischen Zentralverwaltung. Zwei Lager ringen in den Jahren 1806 bis 1808 um den Einfluss des Königs. Die einen orientieren sich an westfälisch-französischen Vorbildern (44f.), die anderen an englischen (55). Es stehen Bürokratie gegen Liberalismus, Staatsratsregierung gegen Premierministerregierung (51, 60), Stein gegen Altenstein (60).

Die Kapitel IV bis IX zeichnen die Entwicklung des Finanzministeriums von 1808 bis 1823 nach, also chronologisch von der Ernennung Altensteins zum ersten preußischen Finanzminister bis zum Tode Hardenbergs. Pietschmann geht hier nicht nur auf die politischen Konzeptionen der verschiedenen Ministerfraktionen ein, er beschreibt auch in allen Einzelheiten den Aufbau und die Arbeit der verschiedenen Abteilungen des im Entstehen begriffenen Finanzministeriums.

Kapitel X ist der Generalkontrolle der Finanzen und der Oberrechnungskammer gewidmet. Diesen Gremien oblag die Staatsbuchhalterei, doch unterstanden sie während des Untersuchungszeitraums nicht immer dem Finanzminister, was die Behandlung in einem getrennten Abschnitt erklärt. Im elften und letzten Kapitel kommt Pietschmann nochmals auf einen der zentralen Konflikte zwischen den preußischen Reformern zurück, der sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht: der Frage nach dem Verhältnis zwischen Ministerien und Provinzialbehörden. Die Ministerien des Ancien Régime - in Frankreich wie in Preußen - hatten immer auch die Verwaltung einer oder mehrerer Provinzen inne. In Frankreich waren die Provinzen nach der Revolution abgeschafft worden. Die neuen Departements unterstanden Präfekten und die Fachministerien verfügten nun systematisch über nachgeordnete Behörden, die eine Verwaltung bis in jeden Winkel des Landes erlaubten. In Preußen hatten diese Neuerungen nur teilweise Einzug gehalten. Zwar waren auch hier Fachministerien gegründet worden, die an die Stelle des alten Generaldirektoriums getreten waren, doch die preußischen Provinzen hatten weiter Bestand. Sie unterstanden ebenfalls neugegründeten Provinzialregierungen. Doch deren Weisungsbezogenheit blieb unklar. Offiziell dem Innenministerium unterstellt, erhielten sie ebenfalls - zuweilen widersprüchliche - Anordnungen der anderen Fachministerien (202). Aus dieser Situation erwuchs eine Jahrzehnte währende Diskussion um den Anteil, den die Fachministerien an der Verwaltung der Provinzen haben sollten, und um die Organisation der Provinzialregierungen.

Akribisch reiht Pietschmann in allen seinen Kapiteln die verschiedenen Organisationsentwürfe für die neue preußische Verwaltung aneinander - ob sie nun verworfen, nur teilweise oder ganz angenommen wurden. Dies mag die Lektüre bisweilen zäh erscheinen lassen. Doch sollten wir Pietschmann und seiner Wiederentdeckerin Holtz dafür dankbar sein. Denn der Autor betritt in seiner Arbeit Neuland. Auf ältere Arbeiten, in denen zumindest Teile der unzähligen Memoranden zur Neuorganisation der preußischen Finanzverwaltung analysiert worden wären, konnte er nicht zurückgreifen. So blieb Pietschmann gar nichts anderes übrig, als sich selbst an die Auflistung der zahllosen Positionen, Sichtweisen, Vorschläge, Eingaben und Denkschriften zu machen, mit denen versucht wurde, Einfluss auf die Organisation der preußischen Finanzverwaltung zu nehmen. Auch wenn der Leser sich zuweilen in diesem Dickicht zu verirren droht, wird doch klar, wie plastisch die Verwaltungsstrukturen in diesen Reformzeiten noch waren. Es vergeht kein Jahr, ohne dass das neue Finanzministerium organisatorisch und personell umgestaltet worden wäre. Nicht nur die innere Gliederung, auch das Verhältnis zur Staatsführung, zu den anderen Fachministerien sowie zu den Provinzbehörden ist stetigen Veränderungen unterworfen. Selbst die Zuständigkeiten des Ministeriums werden immer wieder ausgeweitet oder eingeschränkt. So ist die Entwicklung der modernen preußischen Fachministerien - zumindest in ihrer Entstehungsphase - keine lineare Vorwärtsbewegung, sondern ein empirisches Tasten, bei dem die Verantwortlichen sich nie scheuen, bereits eingeführte Neuerungen auch wieder zurückzunehmen.

Für künftige Historikergenerationen ist das Buch von größtem Wert. Dies gilt nicht nur für jene, die sich weiter mit preußischer Verwaltungsgeschichte beschäftigen möchten, sondern auch für solche, die sich mit den preußischen Reformen befassen wollen. Von Pietschmanns Arbeit werden zudem alle profitieren, die sich ganz allgemein mit der Entwicklung moderner Bürokratie beschäftigen.

Jörg Ulbert