Rezension über:

Steven Seegel: Map Men. Transnational Lives and Deaths of Geographers in the making of East Central Europe, Chicago: University of Chicago Press 2018, XV + 346 S., 8 Farb-, 20 s/w-Abb., ISBN 978-0-226-43849-8, USD 55,00
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Rezension von:
Dariusz Gierczak
Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Dariusz Gierczak: Rezension von: Steven Seegel: Map Men. Transnational Lives and Deaths of Geographers in the making of East Central Europe, Chicago: University of Chicago Press 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 [15.03.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/03/32196.html


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Steven Seegel: Map Men

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Biografien von Politikerinnen und Politikern, Künstlerinnen und Künstlern oder Sportlerinnen und Sportlern sowie sonstiger Berühmtheiten sind auf dem Buchmarkt zahlreich, wenn nicht gar im Überfluss vertreten. Biografische Werke zu Vertretern der Kartografie, die als Akteure selten von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sind hingegen eher ungewöhnlich. Doch Steven Seegel widmet gar fünf Vertretern dieser Zunft seine jüngste Publikation. Der US-amerikanische Historiker stellt in seiner Veröffentlichung zur kritischen Kartografie die wichtigsten Kartografen des 20. Jahrhunderts vor, die einen immensen Einfluss auf die Gestaltung der (insbesondere: mittel)europäischen Grenzen nach dem Ende des "langen 19. Jahrhunderts" und somit auf die moderne Ordnung Europas ausübten. Neben dem US-amerikanischen Geografen Isaiah Bowman handelt es sich dabei um Albrecht Penck und seine Schüler, Eugeniusz Romer und Stepan Rudnic'kiî (im Buch verwendete Transliteration: Rudnyts'kyi) sowie Pál Teleki. Neben einer "kollektiven Biografie" verfolgt die Narration auch eine zweite Ebene, in der der politische Einfluss der Kartografie bzw. der Kartografen am Vorabend des Zerfalls der großen europäischen Imperien und die Hintergründe der Neuaufteilung Europas nach dem Ersten Weltkrieg dargelegt wird.

Dem Haupttext sind als Motto Fragmente zweier Gedichte polnischer Autoren (Czesław Miłosz: Mein ABC und Wisława Szymborska: Die Karte) vorangestellt, die perfekt zum Inhalt passen. Die Darstellung ist neben der Einführung und Zusammenfassung in sieben Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln aufgeteilt. Schon das Inhaltsverzeichnis verrät, dass es sich dabei um einen lebhaften Text handelt. Neben zahlreichen Toponymen finden sich in der Gliederung vielfach Zitate aus der Popkultur und die Affinität des Autors zur deutschen Sprache wieder.

In den einzelnen Kapiteln werden die wichtigsten Lebensstationen der Protagonisten in den historischen Kontext eingebettet, gerade auch aus der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Fachgeschichte der Geografie und Kartografie. Der Text ist gelegentlich mit Schwarzweißbildern (darunter auch Karikaturen) der Protagonisten, ausgewählten Karten ihrer Autorschaft und anderen kontextualisierenden Illustrationen angereichert. Abbildungen weiterer, aussagekräftiger Karten - in Farbe - sind dem Haupttext angehängt. Leider sind die meisten Abbildungen zu klein, um die in den Kartenlegenden enthaltenen Informationen auch zu erkennen.

In der Einführung werden die Protagonisten, ihr Werdegang und Lebenswerk kurz vorgestellt. Bowman entwickelte sich zu einem der bedeutendsten amerikanischen Geografen. Er war u. a. Direktor der American Geographical Society und Berater der US-Regierung bei der Pariser Friedenskonferenz 1919. Der aus Sachsen stammende Albrecht Penck begann seine Kariere als Geomorphologe, trug aber auch viel zur Ausbildung der Humangeografie bei (auch wenn diese damals noch nicht so bezeichnet wurde), aber auch der Ostforschung. Seine deutschnationalen Positionen führten zu Auseinandersetzungen mit einem seiner wichtigsten Schüler, dem einer polnischen Adelsfamilie mit sächsischen Wurzeln entstammende Eugeniusz Romer, der ein Verfechter der Wiederherstellung des polnischen Staates war und die dortigen Politiker mit entsprechenden Karten aus eigener Autorschaft versorgte. Dies sorgte für Spannungen mit einem anderen, und in diesem Konflikt favorisierten, Schüler von Penck - Stepan Rudnic'kiî, der sich für die ukrainische Unabhängigkeit einsetzte. Penck hielt die Polen für unfähig, einen modernen Staat aufzubauen, und war der Ansicht, dass sich der deutsche Osten nur unter der - aus seiner Sicht - kulturell überlegenen deutschen Führung entwickeln könne. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Romer vergleichbare Ressentiments gegenüber den Ukrainern und dem östlichen Bereich der polnischen Einflusssphäre hegte und verbreitete. Pál Teleki, von Haus aus Geograf, doch bekannter für seine politischen Ämter, widmete sich nach dem Ersten Weltkrieg und den aus seiner Sicht für Ungarn inakzeptablen Vereinbarungen des Vertrags von Trianon der Revision der ungarischen Grenzen.

Das Buch beschäftigt sich mit einem spannenden Beispiel für die Wege und die Praxis des wissenschaftlichen Austauschs in der Phase nach der Res publica literaria, in der die Kommunikationswege noch deutlich erschwert und wesentlich ineffizienter waren, und vor der digitalen Moderne. Die Protagonisten in Seegels Publikation kannten einander von Auslandsaufenthalten und hielten ihre Beziehungen durch persönlichen Austausch aufrecht, der in verschiedenen Phasen über das rein Berufliche hinausging. Der Autor betont dabei die Bedeutung der deutschen Sprache als Bindeglied und gemeinsamer Bildungs-hintergrund. Aber auch die kulturellen Unterschiede zwischen den Protagonisten, die jeweils einem anderen sozialen und ethnischen Kontext entstammen, werden in diesem Werk sichtbar. Seegel veranschaulicht, wie diese kulturell unterschiedlichen Akteure voneinander beeinflusst wurden, und unterstreicht damit die Bedeutung des persönlichen Austausches, der selbst in Zeiten von Wissenschaftsblogs, Twitter und Video-Konferenzen nicht zu unterschätzen ist. Noch stärker werden allerdings die Gemeinsamkeiten dieser mächtigen Männer hervorgehoben, deren Einfluss als leitende Wissenschaftler, Funktionäre oder Lobbyisten weit über ihre Fachgrenzen hinausging. Seegel setzt sich mit ihren Charakteren im Sinne des Sozialkonstruktivismus auseinander und weist diese Männer als ein Konstrukt ihrer Zeit aus.

Neben den gemeinsamen Sprachkenntnissen (hierzu zählten neben dem Deutschen auch andere Sprachen) und fachlichen Interessen vereinte alle Fünf auch ein sozialer Aspekt: Sie gehörten einer gut gebildeten, weißen Elite an, die für Frauen und für die meisten Minderheiten weitgehend verschlossen blieb. Obwohl Bowman ärmeren Verhältnissen entstammte und Romer sowie Rudnic'kiî in ihren Heimatländern jeweils einer ethnischen Minderheit angehörten, was ihren Aufstieg anfangs erschwerte, reproduzierten sie in vielen Bereichen dieselben sozialen Mechanismen. Trotz ihres internationalen Umfelds, der exzellenten Bildung und des extrem breiten Wissenszugangs - und ihrer unbestrittenen Verdienste für die Wissenschaft und Gesellschaft -, kultivierten sie misogyne, sexistische und rassistische Züge und versuchten ihre Ziele teils mit Hilfe von Intrigen, Protektionismus und Machtmissbrauch durchzusetzen.

Obwohl es sich bei Seegels Publikation um ein Werk zur Geschichte der Kartografie handelt, spielen Karten darin eine eher untergeordnete Rolle. Im Fokus stehen die Akteure und ihre Netzwerke. Insgesamt bietet Seegel dem Leser eine spannende Lektüre, die sich nicht nur wegen der häufig wechselnden Schauplätze wie ein guter Politthriller liest, ohne dabei an wissenschaftlicher Qualität und Relevanz einzubüßen. An manchen Stellen wünschte man sich lediglich eine etwas sorgfältigere Redaktion, die einige für die Thematik nicht relevante inhaltliche Fehler sowie einige falsche Schreibweisen polnischer, ukrainischer und ungarischer Namen ausgebessert hätte.

Dariusz Gierczak