Rezension über:

Christiane Elster: Die textilen Geschenke Papst Bonifaz' VIII. (1294-1303) an die Kathedrale von Anagni. Päpstliche Paramente des späten Mittelalters als Medien der Repräsentation, Gaben und Erinnerungsträger (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 156), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018, 462 S., 331 Abb., ISBN 978-3-7319-0282-9, EUR 99,00
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Rezension von:
Uta-Christiane Bergemann
Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
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Stellungnahme von Christiane Elster mit einer Replik von Uta-Christiane Bergemann

Empfohlene Zitierweise:
Uta-Christiane Bergemann: Rezension von: Christiane Elster: Die textilen Geschenke Papst Bonifaz' VIII. (1294-1303) an die Kathedrale von Anagni. Päpstliche Paramente des späten Mittelalters als Medien der Repräsentation, Gaben und Erinnerungsträger, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/02/31770.html


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Christiane Elster: Die textilen Geschenke Papst Bonifaz' VIII. (1294-1303) an die Kathedrale von Anagni

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Die hohe Bedeutung von Textilausstattungen im Mittelalter bezeugen umfangreiche Quellen wie etwa die päpstlichen Inventare im Vatikan. Dennoch wurden Textilien und Bekleidung in der Forschung lange vernachlässigt, erst seit ca. zwei Jahrzehnten gewinnt deren Kulturgeschichte eine intensivere Aufmerksamkeit. Im Dienst der notwendigen Grundlagenforschung entstanden zunächst vor allem Bestandskataloge zu musealen Sammlungen und besonders auch zu Kirchenschätzen, die sich teils bereits mit besonderen Aspekten der Textilgeschichte befassten wie etwa zu dem Gestaltungstypus der Böhmischen Bildstickereien [1] oder zum Handel, zur Herstellung und Nutzung der Gewänder des Stralsunder Paramentenschatzes. [2] Allen Forschungen stellt sich aber meist das Problem der Anonymität der erhaltenen Objekte, deren Herkunft und Geschichte unbekannt, wegen der Standortunabhängigkeit von Textilien noch dazu erschwert und mit vielen Unsicherheiten zu rekonstruieren ist. Gibt es Schriftquellen, lassen sich diesen häufig keine erhaltenen Textilien gegenüberstellen.

Einen überaus günstigen Ausnahmefall, in dem Realien und Quellen zur Entstehungsgeschichte vorhanden sind, nimmt Christiane Elster in ihrer 2013 beendeten Kölner Dissertation als Ausgangspunkt, um päpstliche Textilschenkungen des 13. bis 15. Jahrhunderts zu untersuchen: die im Schatz der Kathedrale von Anagni erhaltenen Paramente und geistlichen Gewänder. Sie wurden nach Überlieferung von Papst Bonifaz VIII. (1294-1303) dorthin geschenkt. Von diesen Schenkungen haben sich neun Gewänder und Antependien sowie 14 Fragmente erhalten. Daneben gibt es Inventare der Kathedrale von Anagni, deren erstes noch in die Zeit Bonifaz' VIII. (1294-1303) datiert und aus welchem hervorgeht, dass der Papst zu verschiedenen Anlässen insgesamt rund 90 Textilien, geistliche Gewänder, Antependien und Tücher, allein dieser Kirche schenkte. Diese günstige Quellensituation erlaubt es, erhaltene Realien und Schriftdokumente zu verknüpfen.

Elster gliedert den Katalog in zwei Teile: den Textteil und einen Anhang aus dem Katalog zu den erhaltenen Paramenten (273-395), der neben den Textilien aus Anagni auch einen "Kurz-Katalog" zu den vier wichtigsten Vergleichsobjekten (396-409) und aus transkribierten Schriftquellen mit Restaurierungsberichten sowie häufig zitierten Quellen der Inventare von Anagni, weiterer Kirchen und päpstlicher Schreiben (410-422) aufführt. Die Analyse der einzelnen Objekte umfasst die Erhaltung, die Herkunft und Datierung, den Herkunftsnachweis in Schriftquellen, eine Beschreibung und einen Kommentar des Bildprogramms sowie der einzelnen Motive, schließlich noch technische Angaben und Literaturverweise. Hauptfokus der Bestandserfassung bildet die Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands der Textilien mit zahlreichen Schnittzeichnungen und genauen Beobachtungen zu Veränderungen. Denn die Gewänder waren nach dem Tridentinischen Konzil Ende des 16. Jahrhunderts für eine aktualisierte Weiternutzung gemäß den neuen Richtlinien umgearbeitet, anlässlich einer Restaurierung 1963-1965 wieder in die vermuteten mittelalterlichen Formen zurückgeführt worden.

Im Textteil beschäftigt sich Elster unter historischen Fragestellungen mit textilen Schenkungen durch Päpste in Hinblick auf ihre "Funktion als Medien päpstlicher Repräsentation (vor der Schenkung), als Gabe (im Moment der Schenkung) und als Erinnerungsträger (nach der Schenkung)" (12). Dabei stellt die Autorin heraus, dass die Textilien zunächst als Teil des päpstlichen Schatzes innerhalb der päpstlichen Liturgie und des Zeremoniells Verwendung fanden und somit der Repräsentation des Papstes selbst dienten. Erst später wurden sie als Gaben verschenkt, womit sich ihre Funktion hin zu Erinnerungsträgern an den Schenkenden veränderte, der beschenkten Kirche die Aufgabe der Erinnerung und Würdigung der edlen Schenkung zukam.

Um die damit verbundenen Aspekte der Schenkungs- und Erinnerungsabsichten im Kontext päpstlicher Donationen zu studieren, befasst sich Elster hauptsächlich mit vier großen Themenbereichen: mit den Schenkungen Papst Bonifaz' VIII. selbst, deren materielle und schriftliche Überlieferungen zusammengestellt und geprüft werden, und in diesem Zusammenhang auch mit der Bildsprache des Textilschmucks im Bezug zu einer auf den Papst bzw. auf kaiserlich-königliche Herrschersymbole referierenden Ikonografie, somit auf die Wirkungsabsicht im Sinne der Repräsentation (51-90). Die weiteren Untersuchungen beschäftigen sich generell mit Textilien als Medien der päpstlichen Repräsentation (91-143), mit dem Schenkungswesen (144-189) und der Erinnerungsfunktion (190-225). Sie sind jeweils umfassend angelegt: Ihnen gehen ausführliche Erläuterungen und Definitionen zu Begriffen wie Repräsentation, Schenken und Gabentheorien, Erinnerung und Gedächtnis voraus; darauf folgen gründlich recherchierte Beispiele zu den jeweiligen Themenbereichen, in die die Beispiele aus Anagni jeweils eingeordnet werden.

Diese sehr grundsätzlichen Erläuterungen gehen weit über das Fallbeispiel Anagnis hinaus und sind mit ausführlichster Gründlichkeit angegangen. So weitet beispielsweise Elster in der Begriffserläuterung zum Schenkungswesen dessen kulturelle Bedeutung in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bis zu den Indianern aus und seine zeitliche Relevanz vom frühen Christentum über die Gepflogenheiten am byzantinischen Hof bis ins Spätmittelalter (144-149), im konkreten Fall der päpstlichen Textilschenkungen vom Frühmittelalter und bis weit ins 14. Jahrhundert. Hier hätte man sich eine sachbezogene Straffung gewünscht.

Bei ihren Untersuchungen konzentriert sich Elster vorwiegend auf die profanen Aspekte des Schenkens. Sie differenziert innerhöfische Geschenke und solche zwischen den Höfen. Der geistliche Moment der Schenkungen an Kirchen wird zwar immer wieder gestreift, aber nicht explizit untersucht, trotz der im Mittelalter unabdingbaren Gedankenausrichtung auf deren Wirkung im Jenseits, auf das Seelenheil. Auch findet keine Einbindung der Schenkungen Papst Bonifaz VIII. in sein spezifisches Leben und Wirken, vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und kircheninternen Verhältnisse statt. Überhaupt werden vom Leser die Kenntnisse der biografischen Daten dieses nur neun Jahre regierenden Papstes als Vorwissen vorausgesetzt. Entsprechend arbeitet Elster auch nicht die Stellung dieses Papstes in der Kirche oder im Verhältnis zu weltlichen Mächten heraus, nicht seine Doppelfunktion als oberster geistlicher Führer und weltlicher Herrscher in seiner spezifischen Situation an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert.

Ebenso richtet sich die Analyse der Bildprogramme vorwiegend auf die Fragestellung der Repräsentationsabsichten aus und kaum auf den Aspekt deren liturgischer Einbindung, obgleich die geistlichen Gewänder in erster Linie der festlichen und variablen Gestaltung der Gottesdienste dienten; so gab es in größeren Kirchen jeweils eigene Paramente für die unterschiedlichen Kirchenfeste und Feiertage des Jahres. Bildprogramme wie etwa des "Pluviales mit Szenen aus dem Marienleben sowie aus Kindheit und Passion Christi", dessen Hervorhebung der Szene mit der Krönung Mariens auf einen Gebrauch des Pluviales zu diesem Feiertag hinweist, wären somit auch auf die Geschichte der Liturgie hin zu befragen. Die Interpretation der "päpstlichen" Ausrichtung (78) und der Repräsentation greift hier zu kurz.

Der sehr historische Blick spart Fragen und Erkenntnisse aus der Untersuchung der Objekte für die Textilgeschichte weitgehend aus. Textile Gestaltungsbesonderheiten wie Web- und Stichtechniken werden zwar genannt: So kann man gelegentlich von Anlegetechnik, Heftfäden (anstelle Überfangfäden), oder versenkter Anlegetechnik lesen; eine präzise Nennung fehlt aber, ebenfalls eine mögliche Auswertung entsprechender Beobachtungen. Oder Elster legt akribisch genau die Diskussionen über die Herkunft der als Opus Cyprense bezeichneten Textilwerke vor (110-122), die bislang einmal als byzantinische Produktion gesehen werden, ein anderes Mal als Werke der palermitanischen Hofwerkstätten oder von Zypern, wo auch ein dafür verwendeter Goldfaden herstammte, und stellt die für die jeweiligen Werkstätten gesicherten Textilien vor. Sie nutzt aber nicht die Gelegenheit, außer den motivischen Vergleichen auch die Techniken genauer gegenüberzustellen; dies wäre jedoch durchaus lohnend, da sie Hinweise auf spezifische Herstellereigenheiten geben könnten. Fragen nach den Herstellern, nach Bildvorlagen, nach der künstlerischen Gestaltung der Entwerfer und / oder der Sticker wird - wegen der thematischen Fokussierung auf päpstliche Repräsentation und Schenkungspraxis - nicht nachgegangen.

Insgesamt liefert Elster in ihrer Dissertation eine sehr gründliche, kluge und weit gefasste Analyse päpstlicher Paramentenschenkungen mit dem Blick auf ihre Funktion der Repräsentation, Gaben- und Erinnerungskultur. Mit dem Fallbeispiel der Paramente der Kathedrale von Anagni erschließt sie einen bedeutenden Bestand sowohl an Textilien als auch an Schriftquellen. Ihre Methode der Untersuchung eines Fallbeispiels führt sie allerdings nicht als pars pro toto durch, sondern umgekehrt totum pro parte, indem sie immer wieder umfassend alle überlieferten Hinweise vom Früh- bis zum Spätmittelalter aufzählt und diskutiert, um dann auf das Fallbeispiel zurück zu beziehen und zu werten. So bleibt mancher Detailaspekt des Fallbeispiels unbeantwortet.


Anmerkungen:

[1] Evelin Wetter: Böhmische Bildstickerei um 1400. Die Stiftungen in Trient, Brandenburg und Danzig, Berlin 2001.

[2] Juliane v. Fircks: Liturgische Gewänder des Mittelalters aus St. Nikolai in Stralsund, Riggisberg 2008.

Uta-Christiane Bergemann