Rezension über:

Anthony Milton (ed.): Reformation and Identity, c.1520-1662 (= The Oxford History of Anglicanism; Vol. 1), Oxford: Oxford University Press 2017, XXVI + 500 S., ISBN 978-0-19-963973-1, GBP 95,00
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Rezension von:
Christopher Voigt-Goy
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Christian Volkmar Witt
Empfohlene Zitierweise:
Christopher Voigt-Goy: Rezension von: Anthony Milton (ed.): Reformation and Identity, c.1520-1662, Oxford: Oxford University Press 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/02/31279.html


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Anthony Milton (ed.): Reformation and Identity, c.1520-1662

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Seit ein paar Jahren hat sich die Frequenz merklich erhöht, mit der Handbücher und Kompendien auch zu (kirchen-)historischen Themen erscheinen. In diesem mittlerweile kaum zu überschauenden Segment des Buchmarkts ist freilich nicht alles intellektuelles Gold, was oft mit horrenden Preisen glänzt. Auch der hier zu besprechende erste Band der Oxford History of Anglicanism, der den Untertitel: Reformation and Identity, c. 1520-1662 trägt, ist so teuer, dass er für die meisten Interessierten wohl nur mit der Hilfe öffentlicher Bibliotheken zu benutzen sein wird. Doch angesichts seiner herausragenden Qualität lohnt es sich, den Gang in das Buch besitzende Bibliotheken anzutreten. Schon die Einzelbeiträge des Bandes bestechen durch ihr durchgängig hohes Niveau. Die konzeptionelle Perspektive des gesamten Bandes ist, gemessen an vielen anderen gleichartigen Werken, bemerkenswert.

Auf die Einzelbeiträge sei hier nur exemplarisch und knapp hingewiesen: Neben der Einleitung des Herausgebers - dazu gleich mehr - beinhaltet der Band 24 Kapitel in ebenso gut lesbarem Stil wie angenehmem Umfang zwischen 12 und 30 Seiten. Bibliografische Angaben sind den Beiträgen jeweils zum Schluss angefügt. Die großen Linien und grundsätzlichen Problemkonstellationen der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte Englands werden in den ersten drei Beiträgen vorgestellt: Ethan H. Shagan behandelt die Zeit von den Anfängen der Reformation bis zum Tod von Eduard VI. (The Emergence of the Church of England, c. 1520-1553, 28-44); Peter Marshall führt bis zum Tod von Elisabeth I. fort (Settlement Patterns: The Church of England, c. 1553-1603, 45-62); Anthony Milton widmet sich der Zeit bis zur anhebenden Restauration (Unsettled Reformations, c. 1603-1662, 63-83). Die folgenden 18 Beiträge behandeln vertiefend einzelne Prozesse und Konstellationen. In der systematisch nicht recht nachvollziehbaren Gliederung dieser Beiträge tritt deutlich der Handbuchcharakter des Bandes hervor. Behandelt werden u.a. das Verhältnis von Bischöfen, Kirche und Staat (Andrew Foster, 84-102), das religiös-soziale Leben der Parochialgemeinde (sehr eingängig: J.F. Merritt, 122-148), Kunst und Ikonoklasmus (Felicity Heal, 186-209) und das Verhältnis der englischen Reformation zur christlichen Antike (Jean-Louis Quantin, 280-297), zur Kirchengeschichte (W.J. Sheils, 298-315) sowie zur Bibel (Lori Anne Ferrell, 412-429). Seitenblicke auf die Entwicklungen in Irland und Schottland (John McCafferty, 243-265) sowie in den nordamerikanischen Kolonien (Michael P. Winship, 266-279) sind eingefügt. Die letzten drei Beiträge beziehen sich dann wieder kompakter auf den englischen Bürgerkrieg und sein Ende. Die Westminster Assembly (ganz aus den Quellen: Chad van Dixhoorn, 430-442), die "Cromwellian Church" (Ann Hughes, 444-456) und die Entwicklung der bischöflichen Identität zwischen 1640 bis 1662 (Kenneth Fincham und Stephen Taylor, 457-482) werden thematisiert. Alle Beiträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie einerseits den gegenwärtigen Forschungsstand kritisch reflektieren und andererseits - da von einschlägigen Spezialisten für das jeweilige Thema verfasst - weiterführende Forschungsperspektiven eröffnen. Das macht sie sowohl zur einführenden Lektüre etwa für Studierende geeignet wie sie auch für diejenigen inspirierend sein können, die ein weitergehendes wissenschaftliches Interesse an der englischen (Kirchen-)Geschichte haben.

Die wirklich beeindruckende Leistung des Bandes besteht jedoch in der kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung, die er insgesamt mit der Kategorie "Anglikanismus" führt. Bereits die glänzende Einleitung von Anthony Milton (Introduction: Reformation, Identity, and 'Anglicanism', 1-27) stellt die Grundlinien der Auseinandersetzung mit der vor allem im 19. Jahrhundert durch das "Oxford Movement" üblich gewordenen Bezeichnung vor Augen, die historiografisch als normative Retrojektion partieller theologischer und kirchlicher Positionen in die Anfänge der "Church of England" wirksam wurde. Allein geht es den Beiträgern nicht um die bloße Dekonstruktion eines essentialisierend-normativen Gebrauchs des "Anglikanismus". Das verbietet sich auch insoweit, da die im 19. Jahrhundert mit dem "Anglikanismus" artikulierten Geltungsansprüche selbst als ein Ergebnis - unter anderen - der früheren englischen Kirchengeschichte zu verstehen sind. Ethan H. Shagan findet für dieses Problem das wunderbare auf die Reformationskirche Englands bezogene Bild: "To see in that Church the origins of Angicanism is, paradoxically, both unquestionably correct and deeply misguided, something akin to the exercise of throwing darts at a wall and then drawing a bull's-eye around where they land" (29). Wie aber ist die frühneuzeitliche Geschichte des "Anglikanismus" zu traktieren, wenn er selbst nur eine zukünftige und zudem historisch kontingente Option der durch Heinrich VIII. angestoßenen kirchlichen Entwicklung ist?

Die zu dieser Frage entwickelte Idee des Bandes ist ebenso vordergründig einfach wie schlagend überzeugend: Es wird schlicht auf den "Anglikanismus" als analytischen Begriff verzichtet (die einzige Ausnahme: Michael P. Winship zu Nordamerika) und die "Church of England" als Bezugspunkt der Darstellstellung gewählt. Dabei wird die "Church of England" durchgängig als "unstable compound" (so Sheegan, 29) charakterisiert, also als eine Kirche, an der so ziemlich alles umstritten ist, was an kirchlichen Institutionen umstritten sein kann: ihr lehrhafter Charakter, ihre frömmigkeitspraktische Gestalt, ihre organisatorische Form. Konsequent entrollen die Beiträge die Dynamik der englischen Reformationszeit anhand der von Konkurrenz verschiedener Gruppen, Strömungen und Instanzen geprägten, letztlich aber unabgeschlossenen Auseinandersetzungen zur Klärung des Charakters, der Gestalt und der Form des englischen Kirchentums. Der damit gewonnene Ertrag für die historische Analyse ist beträchtlich: Gleichsam natürlich fügen sich in dieser Perspektive 'Puritaner' unterschiedlicher Schattierungen, bischofskirchliche 'Konformisten' und auch Gestalten wie der oft und zu Unrecht als quasi-katholisch angesehene Erzbischof William Laud als Getriebene um ein und dieselbe Sache zusammen (vgl. die Beiträge von Peter Lake, 'Puritans' und 'Anglicans' in the History of the Post-Reformation Church, 352-379, und Peter McCullough, 'Avant-Garde Conformity' in the 1590s, 380-395). Zugleich gewinnen die internationalen Beziehungen der "Church of England" (Diarmaid MacCulloch, The Church of England and International Protestantism, 316-332) und die spezifischen englischen Wahrnehmungsmuster der kontinentalen Konfessionsbildungen (Anthony Milton, Attitudes towards the Protestant and Catholic Churches, 333-351) als mit gestaltgebende Phänomene der Eigenart der englischen Kirche an Gewicht. Nicht zuletzt können in dieser Perspektive auch die kirchenreformerischen Bemühungen Cromwells und der Bürgerkriegszeit als Bestandteil der historischen Entfaltung der "Church of England" anschaulich gewürdigt werden (Hughes). Wenn man an dieser Konzeption etwas bedauern möchte, ist es der Umstand, dass die katholischen Gemeinschaften und Gruppierungen im postreformatorischen England nicht mit einem eigenen Beitrag zur Sprache kommen. Sie sind allerdings gerade in den Überblickskapiteln durchgängig als wichtige Faktoren präsent.

Was dem um den Herausgeber Milton versammelten Beiträgern gelungen ist, ist also durch und durch überzeugend. Es ist zu wünschen, dass dieser Band Schule macht. Das gilt einmal für zukünftige Konzeptionen von Handbüchern mit ähnlichem Darstellungsziel und -zweck. Es gilt aber darüber hinaus grundsätzlicher für den Umgang mit vielen uns überkommenen Deutungskategorien der frühneuzeitlichen Kirchen- und Christentumsgeschichte. Denn es hilft ja auch nicht weiter, die uns vornehmlich aus dem 19. Jahrhundert überkommenen narrativen Muster zu verabschieden, ohne produktive Alternativen anzubieten. Der Band zeigt, wie solche Alternativen aussehen können.

Christopher Voigt-Goy