Rezension über:

Marian Füssel / Antje Kuhle / Michael Stolz (Hgg.): Höfe und Experten. Relationen von Macht und Wissen in Mittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 228 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-30123-4, EUR 55,00
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Rezension von:
Wolfgang E. J. Weber
Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang E. J. Weber: Rezension von: Marian Füssel / Antje Kuhle / Michael Stolz (Hgg.): Höfe und Experten. Relationen von Macht und Wissen in Mittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/09/31229.html


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Marian Füssel / Antje Kuhle / Michael Stolz (Hgg.): Höfe und Experten

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Die neue kulturhistorische Hofforschung hat seit ihrem Take-Off Ende des vergangenen Jahrhunderts eine Vielzahl faszinierender Untersuchungsperspektiven entwickelt. Eine der wichtigsten von ihnen ist diejenige, die vom spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hof als "komplexem Macht- und Wissensraum" ausgeht (8). Der Herausgeber des vorliegenden Bandes konzeptualisiert und systematisiert diesen Ansatz einführend. Seine Mitautoren konkretisieren und exemplifizieren ihn in ausgewählten Hinsichten.

Als Hofexperten verstehen die Beiträger und das Göttinger Graduiertenkolleg "Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts", aus dem die Kollektion im Zuge einer einschlägigen Tagung hervorging, diejenigen Akteure an den diversen Höfen, die sich erfolgreich als Träger hofrelevanten Spezialwissens präsentierten und in allgemeinen und besonderen Herausforderungen dadurch bewährten (vgl. 10-12). Dem Hof als Bedingungs- und (primärem) Wirkungsraum schreiben die Verfasser die Qualität einer spezifischen "institutionellen Wissenskultur" (11) zu. Daraus ergibt sich ein doppeltes, aber aufeinander bezogenes und sich wechselseitig befruchtendes, nämlich einerseits akteursorientiertes, andererseits institutionsgeschichtliches Forschungsprogramm. Timo Reuvekamp-Felber wendet sich in seinem Beitrag zu den Fürstenhöfen des 12. und 13. Jahrhunderts gegen die These von Johannes Fried, diese hätten als "Distributionszentren und Knotenpunkte einer vernetzten Wissensgesellschaft" fungiert (27). Vielmehr sei "vom Fürstenhof vor allem in Bezug auf die Verwaltungspraxis, Sachkultur und Repräsentation eine Vielfalt pragmatischer Bedürfnisse aus[gegangen], die ab dem 12. Jahrhundert und verstärkt im 13. Jahrhundert dazu führ[t]en, sehr flexibel benötigtes Expertenwissen und seine Träger einzubinden" (37); von einer spezifischen höfischen Expertenkultur kann also noch kaum gesprochen werden. Zu einem ähnlichen Resultat gelangt auch Gerrit Deutschländer in Hinsicht auf die gelehrten Prinzenerzieher um 1500. Sie "waren zwar Experten am Hof" für die "Frage, wie ein Fürst die Herrschaft führen konnte, ohne sein Seelenheil aufs Spiel zu setzen", jedoch "Experten des Hofes, das heißt Experten für die ganz eigenen Fragen der höfischen Lebenswelt, waren sie in der Regel nicht" (51). Die reichsfürstlichen Präzeptoren wiederum, zuständig unter anderem für die lateinische Spracherziehung, erfuhren in ihren Versuchen, ihr gelehrtes Wissen mehr oder weniger passgenau an den Hof zu bringen, allerhand Widerstand, wie Benjamin Müsegades herausarbeitet. Im vielleicht interessantesten Beitrag des Bandes widmet sich Jörg Bölling den Zeremoniaren und der Zeremonialkultur der Renaissancepapstkurie. Weniger die genuinen Bedürfnisse und Eigendynamiken des römischen Hofes auch als Zentrale des Kirchenstaates, sondern kirchliche Liturgie und Kirchenrecht scheinen selbst in dieser Phase bestimmend gewesen zu sein. Von einer Verweltlichung des Papsttums, wie es die zeitgenössische protestantische Polemik wollte, kann also zumindest an dieser Stelle keine Rede sein. Sabine Herrmann richtet den Blick eher deskriptiv auf die Ärzte am Hof von Mantua im 'langen' 16. Jahrhundert. Annette C. Cremer hingegen kann in ihrer Untersuchung von Hofakteuren der unteren und mittleren Ränge, von der Magd und anderen "Funktionsuntertanen" (163 und öfter) bis zum im weitesten Sinne administrativen Helfern, überzeugend sowohl den Basisbegriff des Wissens hin zur Kompetenz erweitern als auch die mit dem Expertenbegriff implizierte Hierarchie umkehren. Leonhard Horowski vermittelt in schwungvoller Diktion die Bandbreite und den Variantenreichtum hofadeligen Expertentums. Der abschließende Beitrag von Anna-Victoria Bognár leuchtet am Beispiel Balthasar Neumanns in das unter der Forschungsperspektive der Kollektion noch wenig erschlossene Feld des Bauexpertentums hinein; "einige Höfe [...] produzierten tatsächlich Bauexperten über den 'Eigenbedarf' hinaus" und wirkten so wesentlich in die außerhöfische Welt hinein (217). Am Ende erhöhen ein zuverlässiges Personen- und separates Ortsregister die Benutzbarkeit der Sammlung.

Der Nichtexperte unter den Lesern hätte sich nicht zuletzt aufgrund der knappen, aber spannenden Einführung einerseits ein abschließendes Fazit, andererseits nähere Ausführungen zur zeitgenössischen Begriffs- und Konzeptgeschichte des Experten und der Expertenkultur gewünscht. Anstöße dazu hätte zum Beispiel der Diskurs des ausgehenden 17. Jahrhunderts um den akademischen und bloß 'empirischen', das hieß höfischen Politiker geben können. Inhaltlich und konzeptionell ohnehin etwas blasser scheint mir außerdem die Grenze zwischen Hof und außerhöfischem Raum geblieben zu sein. Doch auch in der vorliegenden Gestalt bietet der Band zugleich konzeptionell-theoretische und methodische Zuschärfungen und neue historisch-empirische Befunde, die ihn für die weitere Forschung schlicht unverzichtbar machen.

Wolfgang E. J. Weber