Rezension über:

Angela Abmeier: Kalte Krieger am Rio de la Plata? Die beiden deutschen Staaten und die argentinische Militärdiktatur (1976-1983) (= Schriften des Bundesarchivs; 76), Düsseldorf: Droste 2017, XXX + 562 S., 34 s/w-Abb., ISBN 978-3-7700-1634-1, EUR 58,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Victor M. Lafuente
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Victor M. Lafuente: Rezension von: Angela Abmeier: Kalte Krieger am Rio de la Plata? Die beiden deutschen Staaten und die argentinische Militärdiktatur (1976-1983), Düsseldorf: Droste 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/31442.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Angela Abmeier: Kalte Krieger am Rio de la Plata?

Textgröße: A A A

Zwischen 1976 und 1983 herrschte in Argentinien das Militär, das eine traurige Bilanz hierließ: Tausende von Toten und Verschwundenen, eine marode Wirtschaft mit einer immensen Steigerung der Außenverschuldung, ein verlorener Krieg gegen Großbritannien um die Falkland/Malwinen-Inseln und die internationale Isolierung des Landes. Argentinien, dessen Geschichte von einer tiefen Bindung an Europa geprägt wird, ist einer der wichtigsten Agrarproduzenten der Welt und daher auf den Außenhandel angewiesen.

Das Buch hat sich zum Ziel gesetzt, zu erforschen, wie beide deutsche Staaten zwischen Menschenrechtsverletzungen und Wirtschaftsinteressen ihre Beziehungen zu Argentinien gestalteten. Auf dieser Grundlage stellt sich die Autorin außerdem die Frage, ob und inwieweit es zwischen den außenpolitischen Maßnahmen Bonns und Ost-Berlins gegenüber Buenos Aires zu Wechselwirkungen kam.

Während die Politik der Bundesrepublik zu Beginn der Militärdiktatur 1976 bereits auf eine jahrzehntelange starke Beziehung mit Argentinien zurückblicken konnte, die nicht zuletzt auf ihrer wirtschaftlichen Kraft beruhte, unterhielt die DDR erst seit 1973 diplomatische Beziehungen mit dem südamerikanischen Land und hatte ein wesentlich geringeres wirtschaftliches Potenzial. Somit stellte sich der Bundesrepublik die Frage, wie man die bilateralen Beziehungen unter der Diktatur fortsetzte; für die DDR hingegen ging es um den Aufbau dieser Beziehungen. Ein weiterer Faktor war, dass sich Argentinien im Kalten Krieg eindeutig als Teil der westlichen Welt positionierte, womit Bonn und Buenos Aires im Ost-West-Konflikt demselben Lager angehörten. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille, denn Argentinien nahm in den 1970er Jahren unter Präsident Perón eine sogenannte Dritte Position ein, in der die Autorin eine "Schaukelpolitik zwischen Ost und West" (210) sieht. Des Weiteren hatten die Beziehungen Argentiniens zum Ostblock insgesamt eine lange Tradition. Die bestanden auch während der Militärdiktatur weiter und gewannen während des Falkland/Malwinen-Krieges an Bedeutung.

Beide deutsche Staaten gingen von einer Spaltung der argentinischen Streitkräfte in zwei Flügel aus, einen gemäßigteren und einen radikaleren. Präsident Videla wurde dem gemäßigteren Flügel zugeordnet, daher schien es ratsam, ihn zu unterstützen oder ihn in der Öffentlichkeit zumindest nicht offen zu kritisieren. So sollte eine Stärkung des radikalen Flügels und damit die Entwicklung zu einer Diktatur nach chilenischem Vorbild vermieden werden. In diesem Zusammenhang wäre für die deutschsprachige Leserschaft ein Überblick über die Entwicklung dieser beiden Gruppierungen seit den 1960er Jahren und ihren Einfluss auf die Beziehungen Argentiniens zu den beiden deutschen Staaten von Interesse gewesen.

Bonn betrieb eine stille Diplomatie am Río de la Plata: Man lobte die ersten liberalen finanzpolitischen Maßnahmen der argentinischen Diktatur, verkannte aber den Umfang der Menschenrechtsverletzungen, obwohl eine Zusammenarbeit mit argentinischen Sicherheitsdiensten bestand. Die Bundesrepublik setzte sich nur für die Freilassung deutscher Inhaftierter ein, ohne jedoch starke Töne anzuschlagen. Die Forderungen von Angehörigen deutscher Verschwundener nach Information über ihre Verwandten wirkte dabei störend. Ausschlaggebend für Bonn war der Druck der bundesdeuten Öffentlichkeit, angesichts der Menschenrechtsverletzungen Geschäfte mit der Militärregierung zu unterlassen. Unklar bleibt, wie weit die Zusammenarbeit zwischen argentinischen und westlichen Sicherheitsdiensten tatsächlich ging und welche Informationen Bonn tatsächlich zur Verfügung standen. Die Behauptung, dass der Bundesregierung und der bundesdeutschen Botschaft nichts vorzuwerfen sei, obwohl sie sich zu wenig mit den Fällen ermordeter deutscher Staatsbürger beschäftig hätten, ist schwer zu beweisen.

Mit der Eskalation des Konflikts um die Falkland/Malwineninseln positionierte sich die Bundesrepublik auf der Seite ihres Nato-Partners Großbritannien, was zu einer Reduzierung des kommerziellen Austauschs und der politischen Beziehungen mit Buenos Aires beitrug. Bis dahin wurden von Seiten der Bundesrepublik keine bedeutenden Maßnahmen gegen die argentinische Militärregierung unternommen, denn man wollte nicht riskieren, Argentinien an den Osten zu verlieren. Auch wären die Rüstungsgeschäfte dann an andere Länder wie Frankreich und die UdSSR verloren gegangen.

Die DDR-Botschaft wurde von der Kommunistischen Partei Argentiniens (KPA) informiert, so dass sie besser über die Existenz illegaler Haft- und Folterzentren im Bilde war. Auch wurden in den Berichten der Botschaft die Folgen der wirtschaftlichen Maßnahmen für die argentinische Bevölkerung kritisiert. Da in der DDR keine freie Presse existierte, gelangte die Information über die Menschenrechtslage in Argentinien jedoch nicht an eine breitere Öffentlichkeit. Für die DDR spielte die Menschenrechtsfrage an sich so gut wie keine Rolle und - anders als die Bundesrepublik - gewährte die DDR kaum jemandem aus Argentinien politisches Asyl, obwohl man die Direktive erhielt, KP-Funktionäre diskret nach Ostdeutschland zu befördern. Aus Ost-Berlin erhielt die KPA wiederum nur geringe Unterstützung. Im Handel war die Bundesrepublik ein sehr bedeutender Partner Argentiniens, die DDR dagegen nahm eine deutlich geringere Rolle ein. Dies änderte sich vorübergehend während des Falklandkonfliktes.

Die Autorin hat in den relevanten Beständen im Bundesarchiv und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts gründlich recherchiert. Zum ersten Mal werden deutsche Dokumente zum Thema ausführlich dargestellt und analysiert. Die Autorin misst den argentinischen Archiven eine "geringe Bedeutung" zu, da ihre Arbeit sich auf die deutsch-deutsche Politik am Río de la Plata konzentriert. Sie behauptet, dass die Unterlagen der argentinischen Botschaft in Bonn "irrelevant" bzw. für die Forschung weiterhin nicht zugänglich seien. Die Unterlagen der argentinischen Botschaft in Ost-Berlin seien vernichtet worden oder befänden sich in Privatarchiven (15). Der Bestand der argentinischen Botschaft in Bonn ist jedoch seit 2015 vollständig zugänglich, der größte Teil der Unterlagen der argentinischen Botschaft in Ost-Berlin kann auch eingesehen werden. Da die Politik der beiden deutschen Staaten gegenüber Argentinien nicht miteinander verflochten war, unternimmt die Autorin einen Vergleich, wie sich Bonn und Ost-Berlin parallel zur argentinischen Diktatur verhielten und wie erfolgreich sie dabei waren. Dafür wäre die Analyse argentinischer Quellen sehr fruchtbar gewesen: Es ließe sich klären, welche Grenzen und Erfolgsaussichten die Politik beider deutschen Staaten an Río de la Plata hatten. Auch für eine Antwort auf die Frage, inwiefern und auf welche Art und Weise die SED den argentinischen Genossen beistand, dürften Quellen aus dem KPA-Archiv relevante Information enthalten.

Insgesamt bietet das Buch eine solide und grundlegende Analyse deutscher Quellen sowie weiterführende Information über die Außenpolitik der beiden deutschen Staaten am Río de la Plata und schließt damit zumindest teilweise eine noch offene Lücke in der Geschichte der deutsch-deutschen Außenpolitik.

Victor M. Lafuente