Rezension über:

Anna-Maria C. Bartsch: Form und Formalismus. Stationen der Ästhetik bei Baumgarten, Kant und Zimmermann (= Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie; Bd. 581), Würzburg: Königshausen & Neumann 2017, 297 S., ISBN 978-3-8260-6207-0, EUR 49,80
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Rezension von:
Martina Sauer
Bühl
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Martina Sauer: Rezension von: Anna-Maria C. Bartsch: Form und Formalismus. Stationen der Ästhetik bei Baumgarten, Kant und Zimmermann, Würzburg: Königshausen & Neumann 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/31116.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Anna-Maria C. Bartsch: Form und Formalismus

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Sich den Fragen nach den Ursprüngen des Formbegriffs zuzuwenden, um sie für das heutige Verständnis davon in der Kunstgeschichte und Philosophie fruchtbar zu machen, motivierte zur Lektüre der Doktorarbeit von Anna-Maria C. Bartsch, die diese an der Münchner Philosophischen Fakultät einreichte und 2017 veröffentlichte. [1] Lassen sich aus der Lektüre neue Erkenntnisse für das zum Teil verworrene Verständnis von dem, was eigentlich Form bzw. Formalismus ausmacht, herausziehen? Dass die Autorin mit Blick auf diese Frage Alexander Baumgarten bespricht, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Aufwertung der Sinnlichkeit für das Verständnis der Künste wegweisende Impulse setzte und daran anschließend Immanuel Kant aufgreift, der mit der Kritik der Urteilskraft 1790 u.a. auf Baumgarten aufbauend, den Künsten einen neuen, außerordentlichen Status einräumte und schließlich den längst vergessenen Robert Zimmermann diskutiert, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Formale Ästhetik, wie sie heute besteht, begründete, wirkte vielversprechend.

Und tatsächlich eröffnet die Autorin mit ihrer Untersuchung der Stationen der Ästhetik bei Baumgarten, Kant und Zimmermann neue, fundierte Einblicke in das Verständnis dessen, was eigentlich unter Form bzw. Formalismus zu verstehen ist. Deren Wurzeln liegen weniger, wie Bartsch deutlich macht, in einem sinnlich Gegebenen (Materiellen, 29-31) als in der Formbildungstätigkeit des Betrachters selbst (Organisationsweise des Bewusstseins), die von relational-logischen und damit nicht weiter reduzierbaren Bedingungen geprägt ist (24, 32). Insofern lasse sich der Formbegriff als ein Funktionsbegriff beschreiben (28, zusammenfassend: 281-286). Demnach beruht er, wie es bereits Baumgarten herausstellt, ohne jedoch den Formbegriff als solchen je zu verwenden, auf Reflexion beziehungsweise Logik, über die die "Konformität der Erkenntniskräfte des Subjekts mit den Eigenschaften des Objekts" erfahren werde (25, ferner: 58-67, vgl. parallel das (transzendentale) synthetische Urteil bei Kant: 88-91, 135-147 bzw. die "Form der Vorstellung" bei Zimmermann: 230-233). Der Formbegriff wie er hier aufscheint, lässt sich vor diesem Hintergrund als ein Verfahren verstehen, über das eine Analogie zwischen der subjektiven Vorstellungsfähigkeit und dem Vorgestelltem (der Welt als einer metaphysischen, von einem höheren Prinzip garantierten Wahrheit) hergestellt werden kann (24-29, hier 25 und Anm. 22). Das Schöne und zugleich Wahre und Gute, wie sie als zentrale Begriffe hinter der höheren Wahrheit, dem Ideellen, angenommen werden, scheinen damit erst über die Form (einem Tätigsein des Subjekts) auf und artikulieren sich im ästhetischen Urteil (vgl. bei Baumgarten: 59-70, bei Kant: 166-170, bei Zimmermann: 253-255, bzw. zusammenfassend: 281-284). Mit der Verlagerung in den Erfahrungsbereich des Menschen finde entsprechend, philosophiegeschichtlich relevant, ein Wechsel Weg von rationalistischen (von Verstand und Vernunft getragenen) zu empirischen (von Sinnlichkeit ausgehenden) Prinzipien statt (57-58).

Konkret stellt sich hieran anschließend die Frage: Wie ist das möglich? Bei Baumgarten, so Bartsch, werde die Analogie zwischen Objekt und Idee über die Konformität des inneren und äußeren Sinns bzw. des oberen und unteren Vermögens, von Verstand und Sinnlichkeit mit dem Metaphysischen erkennbar (57-70, vgl. zudem insbesondere 76-82). Kant betone dazu, dass die Möglichkeit der Analogiebildung auf einer Differenzierung bzw. dem In-Beziehung-Setzen (Relationierung) der Vorstellungsbilder nach Raum und Zeit (Formen der Sinnlichkeit) sowie nach Quantität, Qualität und Modalität (Formen des Verstandes) und damit auf einer Verhältnisbestimmung (Relation bzw. Form des Urteils) im Hinblick auf die Ideen (Formen der Vernunft) beruhe (vgl. 94-99, 135-137, 145-155 sowie ergänzend die Differenzierung der Kant'schen Logik nach Gottlob B. Jäsche um 1800, hier 28-29). Zimmermann hebe parallel zu beiden auf eine Reflexion "wohlgefälliger Grundformen" ab (28-29, 34, 204-217, 235-255). Sie seien jedoch nicht als normative Regeln oder Vorgaben für "schöne Dinge" - letztlich ohne Gehalt (vgl. die Kritik von Friedrich Theodor Vischer: 30, ferner: 32, 205, 269) - zu verstehen: "Vielmehr resultieren sie aus dem Bestreben, die formalen Bedingungen der Beziehung des Objekts auf das Subjekt, das sich reflexiv auf das Ästhetische bezieht, herauszustellen." (214) Insofern wird das harmonische Verhältnis in der Vorstellung des Objekts relevant, nicht am Objekt selbst (227-234, 259-260). Wesentlich dafür sei eine Differenzierung zwischen Qualität (Quale, Inhalt, was) und Quantität (Quantum, Stärke / Energie, Intensität, wie) der Vorstellungsglieder. Nur im Wie, so Zimmermann nach Bartsch, liege das eigentliche Maß zur Bestimmung der Vollkommenheit, da es einen unmittelbaren Einfluss auf das Was habe (240-241). Mit dem Ansatz geschichtliche Prozesse - insbesondere der Stilentwicklungen in der Geschichte der Kunst - als Ausdruck eines sich wandelnden Geschmacks am Schönen zu erklären, steht damit vor allem die Formale Ästhetik in der Kunstgeschichte in der Tradition eines Formbegriffs, wie er in der Ästhetik begründet wurde. Zu den Protagonisten dieser Entwicklung gehören einerseits Alois Riegl (Stilfragen, 1893), der bei Zimmermann in Wien studierte, und andererseits Heinrich Wölfflin (Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, 1915) (vgl. 270-286).

Vor diesem Hintergrund gilt es abschließend nochmals zu fragen: Sind damit alle Fragen, die zu den Verwirrungen mit Bezug auf den Formbegriff führten, geklärt? Obwohl mit der Schrift einiges dazu beigetragen wird, deuten jüngere Forschungen zudem auf andere Ursachen hin, die von Bartsch so nicht thematisiert wurden. Sie liegen in der Verbindung des Formbegriffs mit den zugrunde gelegten höheren Prinzipien, konkret dem Schönen, Wahren und Guten. Denn mit der Analogie, die über das Wohl- und Missfallen (der Lust und Unlust), mit Bartsch, der Form nach zwischen dem Objekt zu höheren Ideen aufgezeigt werden kann, werden Prinzipien leitend, die heute so ohne Weiteres nicht mehr anerkannt werden. Die Abwertung des Gehalts der Künste und damit auch der Ästhetik und Kunstgeschichte, wie es sich im l'art pour l'art bekundet, hängt damit unmittelbar zusammen. [2] Vor diesem Hintergrund das Phänomen der Lust und Unlust bzw. das Erleben, das mit der Form in der aktuellen kulturanthropologisch orientierten Forschung in Verbindung gebracht wird, als weiterführenden Ansatz zu sehen, diskutiert Bartsch insofern nicht, da es ihr im Wesentlichen um die Fundierung des Formbegriffs als Tätigkeit des Bewusstseins geht und sie ihn entsprechend - und nicht die Schönheit, das Erleben und Wahrnehmen - als Kernbegriff innerhalb der philosophischen Ästhetik versteht (23, 285). [3]


Anmerkungen:

[1] Konkret diente die Lektüre zudem als Vorarbeit für die beiden Beiträge zu den Lemmata "Formale Ästhetik", in: Glossar für Bildphilosophie, http://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=GIB_-_Glossar_der_Bildphilosophie:Aktuelle_Ereignisse [07.06.2018] und "Spekulative Ästhetik versus Ästhetik als Formwissenschaft (1830-1870)", in: Grundriss der Geschichte der Philosophie, Bd. 1/1-3, Die Philosophie des 19. Jahrhunderts: Deutschland, hg. v. Gerald Hartung, Schwabe: Basel (je geplant für 2018).

[2] Vgl. hierzu u.a. Hans-Georg Gadamer, der zur Rettung der Künste vorschlägt, dass die Anschauung sich nicht vom Geschmack, sondern von Anschaulichkeit leiten lasse solle: "als Weisung auf das, was zu sehen ist": Denn es ist, so Gadamer, "von der Kantischen Voraussetzung aus schwer, den Erkenntnischarakter der Kunst anzuerkennen. Man kann sich dafür kaum auf die klassischen Unterscheidungen berufen, mit denen Kants "Analytik des Schönen" einsetzt. Denn was dort den Ausgangspunkt darstellt, ist lediglich der "Standpunkt des Geschmacks", und das heißt: das Ideal der 'freien' Schönheit, zu der das Dekorative und das Naturschöne das Muster abgibt. Daraus würde folgen, Kunst nicht als Kunst, sondern als Dekoration zu sehen." (4), in: ders.: Anschauung und Anschaulichkeit, in: Neue Hefte für Philosophie, Heft 18/19, Anschauung als ästhetische Kategorie, Göttingen 1980, 1-14.

[3] Die Tätigkeit des Bewusstseins bzw. die Form des Denkens und dessen relationale Verfasstheit als Erleben zu greifen, steht weiterführend an den Ansatz Bartsch anschließend in meinen eigenen Forschungen im Vordergrund. Vgl. hierzu Martina Sauer: Faszination - Schrecken. Zur Handlungsrelevanz ästhetischer Erfahrung anhand Anselm Kiefers Deutschlandbilder, Heidelberg 2012, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/1851/ [07.06.2018] (zweite Auflage erscheint im Juli 2018: https://doi.org/10.11588/arthistoricum.344.471).

Martina Sauer