Rezension über:

Markus Pöhlmann: Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945 (= Zeitalter der Weltkriege; Bd. 14), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, XI + 604 S., 44 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-78355-4, EUR 44,90
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Rezension von:
Roman Töppel
München
Empfohlene Zitierweise:
Roman Töppel: Rezension von: Markus Pöhlmann: Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges. Eine deutsche Geschichte 1890 bis 1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/01/28117.html


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Markus Pöhlmann: Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges

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Kein anderes "militärisches Artefakt", so Markus Pöhlmann, habe vor 1945 "eine derartige Bedeutung für sich beanspruchen" können wie der Panzer. "Diese Bedeutung reichte weit über den militärischen Sachzusammenhang hinaus. Unterstützt durch seine symbolische Strahlkraft wurde der Panzer schließlich zur archetypischen Waffe im Zeitalter der Weltkriege." (522) Zusammen mit den "Stukas" vom Typ Junkers Ju 87 wurden die Panzer der Wehrmacht zum Symbol des Blitzkriegs schlechthin. Doch warum entwickelten die Entente-Mächte die ersten Panzer, nicht das Deutsche Reich? Dieser und zahlreichen weiteren Fragen geht der vorliegende Band nach, den Markus Pöhlmann zugleich als Habilitationsschrift an der Universität Potsdam eingereicht hat.

Pöhlmann liefert in seiner Darstellung keine reine Technik- oder Operationsgeschichte des (deutschen) Panzers, sondern eine umfassende Kulturgeschichte dieses Waffensystems. Zunächst gibt er einen Überblick über die rüstungswirtschaftlichen, militärtechnischen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung - bzw. Nicht-Entwicklung - von Panzern in Deutschland vor 1914. Der Verzicht auf den Bau von Panzern im Kaiserreich bis kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs war, so macht Pöhlmann klar, weder ein rüstungspolitisches Versäumnis noch ein Beleg für eine technikfeindliche Haltung des Offizierkorps. Die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kolportierte Behauptung, die Oberste Heeresleitung habe die Truppe durch die Vernachlässigung des Panzerbaus um den Sieg gebracht, kann Pöhlmann klar widerlegen. In Wirklichkeit wurden die Tanks der Entente auf deutscher Seite als Misserfolg wahrgenommen. Dementsprechend forderte die Truppe keineswegs den Einsatz eigener Panzer. Stattdessen war es Ludendorff, der im Herbst 1916 die entsprechende Entwicklung anstieß. Doch als die deutsche Führung Anfang 1917 den Entschluss fasste, den erhofften Sieg mittels des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs zu erzwingen, wurde der Panzerbau zugunsten der Unterseeboote zurückgestellt.

Erst 1918 verfügte das deutsche Heer mit dem A7V über ein erstes eigenes Panzermodell. Zu einer größeren Serienfertigung kam es jedoch nicht, weil dieser Wagen für die Westfront nur bedingt tauglich war. Erst im Oktober 1918 ordnete die Führung die Massenproduktion neuer Panzermodelle an. Doch zu dieser Zeit war der Krieg längst verloren. Den Tank nahm die deutsche Seite daher vor allem als ein Waffensystem des Gegners wahr, und im "Abwehrjahr" 1917 wurden die britischen Kampfwagen mit ihrer markanten Form ein zentrales Symbol: In der verbreiteten Kriegsmetaphorik standen sie für den sagenhaften Drachen, welchen Siegfried, verkörpert vom deutschen Soldaten, in einem scheinbar ungleichen Kampf bezwingt. Einen nennenswerten Einfluss auf den Kriegsverlauf hatten die Tanks der Entente dann tatsächlich erst ab dem Sommer 1918. Nunmehr wurden sie zum Symbol der weit überlegenen gegnerischen Kriegsmaschinerie.

Im Anschluss an die Schilderung der Kriegs- und Nachkriegseinsätze deutscher Panzereinheiten in den Jahren 1918/19 geht Pöhlmann ausführlich auf die Weiterentwicklung der Panzer und ihrer Einsatzdoktrin ein. Nach der "panzerlosen Zeit", die bis 1928 andauerte, bauten und erprobten deutsche Ingenieure und Militärs verbotenerweise die ersten Kampfwagen für die Reichswehr. Während dies im Verborgenen geschehen musste, fand in der publizistischen Öffentlichkeit eine rege Diskussion über die Entwicklung und den Einsatz von Panzerverbänden statt. Daran beteiligten sich etliche damals namhafte - doch später weitgehend vergessene - deutsche und österreichische Offiziere. Heinz Guderian, der vermeintliche "Schöpfer der deutschen Panzerwaffe", griff erst relativ spät in diese Debatte ein. Und als er es tat, so Pöhlmann, habe er mit seinen Veröffentlichungen "längst etablierte Mainstream-Positionen" vertreten. (206) Daran änderte sich zunächst auch nach Hitlers Machtübernahme nichts: "Guderian hat also bis 1935 publizistisch vor allem koordiniert, was seiner Stellung als Chef des Stabes [der Inspektion für Kraftfahrwesen] auch entsprach. Damit präsentiert er sich für diese Jahre eher als ein gut vernetzter Medienmanager denn als schriftstellerischer Einzelkämpfer." (206)

Doch bereits ab 1943, nach seiner Ernennung zum Generalinspekteur der Panzertruppen, wurde Guderian in der Öffentlichkeit zum "Schöpfer der deutschen Panzerwaffe" verklärt. (513) Dazu trug er selbst entscheidend bei und schrieb sich diese Rolle nachträglich bewusst auf Kosten von General Ludwig Beck zu, und zwar, wie Pöhlmann feststellt, in geradezu "rufmörderische[r] Qualität" gegenüber dem ehemaligen Chef des Generalstabs des Heeres. (231) Denn Beck war in Wirklichkeit alles andere als jener Panzergegner, als den ihn Guderian in seinen Memoiren hinstellte. Tatsächlich war er der Erste gewesen, der den Ausbau der Panzerwaffe anstieß. Dementsprechend konstatiert Pöhlmann: "Nicht weil Guderian mit seinem vermeintlichen Kampf gegen das Wehrmacht-Establishment Erfolg gehabt hätte, sondern weil Entscheidungsträger wie Beck, Halder oder auch Hitler die innovativen Konzepte prinzipiell anerkannt haben, konnte die Wehrmacht 1939 den Krieg mit einer im internationalen Vergleich modernen Panzerwaffe beginnen." (520) Dass Guderian die zentrale Rolle, die er sich später selbst zuschrieb, nicht zukam, ist zwar nicht neu und wurde bereits durch Autoren wie James Corum, Robert Citino und Russell Hart gezeigt. [1] Pöhlmann kann seine Kritik aber auf eine besonders breite Quellengrundlage zur Frühzeit der Entwicklung der Panzerwaffe und ihrer Doktrin stellen.

Im Gegensatz zu Karl-Heinz Frieser, der dies in seinem grundlegenden Werk zur ersten Phase des Westfeldzugs 1940 in Abrede gestellt hat [2], konstatiert Pöhlmann, die Wehrmacht habe durchaus eine Blitzkriegsdoktrin gehabt. Die Waffe des Blitzkriegs seien aber nicht die Panzer, sondern die Schnellen Truppen gewesen. Zudem widerspricht der Autor der jahrzehntelang dominierenden Sicht der Memoirenschreiber, wonach Hitler ein militärischer Dilettant gewesen sei und fordert zu Recht: "Wer Hitler als Persönlichkeit und als historischen Akteur verstehen will, muss ihn ernst nehmen als Politiker und Soldaten." (486)

Dass sich bei einer so umfassenden Darstellung auch Fehler einschleichen, etwa eine Reihe falscher Datierungen, ist eigentlich unvermeidlich. Einige Schwächen finden sich namentlich in den Detaildarstellungen der einzelnen Panzeroperationen des Zweiten Weltkriegs, die der Autor exemplarisch behandelt. Zudem vermisst man mitunter die eine oder andere Spezialstudie, die Pöhlmanns Darstellung noch hätte bereichern können. [3] Etwas störend wirkt zuweilen auch die akademische Diktion, die für viele universitäre Qualifikationsarbeiten kennzeichnend ist und dem Leser aufgrund der Häufung von Fremdwörtern einige Mühe abverlangt.

Die besondere Stärke von Pöhlmanns Studie ist hingegen zweifellos die umfassende Auswertung der damaligen Publizistik zu Panzerfragen. Zudem geht der Autor nicht nur auf organisatorische, taktische, technische und wirtschaftliche Aspekte ein, sondern auch auf die jeweilige zeitgenössische Darstellung des Panzers und des Panzerkriegs in Kunst und Literatur, im Film und sogar in Alltagsgegenständen wie Kinderspielzeug. Die strategischen Rüstungsentscheidungen und die Produktionsgeschichte legt er anhand guter Quellenarbeit dar und erleichtert dem Leser die Orientierung durch Zwischenresümees nach den einzelnen großen Kapiteln.

Insgesamt hat Markus Pöhlmann ohne Zweifel ein Grundlagenwerk zur Geschichte des Panzers in Deutschland bis 1945 vorgelegt. Zu den vielen Aufschlüssen, die seine Studie bietet, gehört nicht zuletzt die Erkenntnis, dass kritische Historiker weiterhin viel zu tun haben, um die Lügen und Legenden aus der Memoirenliteratur, die das Bild des Zweiten Weltkriegs so nachhaltig geprägt haben, zu entlarven und zu widerlegen.


Anmerkungen:

[1] James S. Corum: The Roots of Blitzkrieg. Hans von Seeckt and German Military Reform, Lawrence (KS) 1992, 122-143; Robert M. Citino: The Path to Blitzkrieg. Doctrine and Training in the German Army, 1920-1939, Boulder (CO) / London 1999, 201-204; Russell A. Hart: Guderian. Panzer Pionieer or Myth Maker, Dulles (VA) 2006, 15-26.

[2] Karl-Heinz Frieser: Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940, 2. Auflage, München 1996.

[3] Etwa das nach Ansicht des Rezensenten nach wie vor wichtigste Überblickswerk zu den Panzerfahrzeugen der Wehrmacht von Peter Chamberlain / Hilary L. Doyle: Encyclopedia of German Tanks of World War Two. A Complete Illustrated Directory of German Battle Tanks, Armoured Cars, Self-Propelled Guns and Semi-Tracked Vehicles, 1933-1945, 2. Auflage, London 1993.

Roman Töppel