Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Jeanette und Dirk van Laak, Leipzig


Unser historisches Vorstellungsvermögen ist in den letzten Jahren inhaltlich und medial enorm erweitert worden. Wir möchten vier Schwerpunkte nennen und je zwei jüngere Beispiele hierfür empfehlen. Die Zeit "zwischen den Jahren" wäre ja perfekt für neue Entdeckungen.

Weltgeschichte galt lange als Königsdisziplin der Geschichtsschreibung, geschrieben von Männern in der Reife ihres Alters. August Ludwig von Schlözer setzte jedoch schon 1779 eine "Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kinder" dagegen (2011 bei Vandenhoeck & Ruprecht neu aufgelegt), um heranwachsende Söhne und Töchter an der Orientierung durch Geschichte teilhaben zu lassen. Vornehmlich auf Letztere zielt Kerstin Lücker/Ute Daenschel: Weltgeschichte für junge Leserinnen. Zeichnungen von Linda Hüetelin, Zürich: Kein & Aber 2017. Hier werden einmal konzentriert die Anteile von Frauen an der Geschichte dargestellt. Die Autorinnen verstehen dies als eine Suche nach bislang vermissten Puzzlesteinen unserer Geschichte. So wird dem Ötzi die Lucy gegenübergestellt und dem Amerikaner Neil Armstrong die Russin Valentina Tereschkowa. Noch aufwändiger illustriert ist Die Geschichte der Welt. Neu erzählt von Ewald Frie. Illustriert von Sophia Martineck. München: C.H. Beck 2017. Das Werk schildert Orte und Episoden, die uns Europäern wenig geläufig sind. Es nimmt insofern ernst, dass Weltgeschichte heute die Geschichte der ganzen Welt sein muss. Ob die Heranwachsenden sich als so gelehrig erweisen wie Schlözers Tochter Dorothea?

Eine jüngere Darstellungsform des Historischen ist hingegen aus den Jugendzimmern (mit) in die Wohnzimmer der Erwachsenen gewandert. Spätestens seit Art Spiegelmans "Maus" in den späten 1980er Jahren hat die Gattung der Graphic Novel bzw. des Geschichtscomics an Reputation gewonnen. Zwei aktuelle Beispiele: Birgit Weyhe: Madgermanes, Berlin: Avant-Verlag 2016. An wenigen Biographien werden hier Schicksale mozambiquanischer Vertragsarbeiter in der DDR nachgezeichnet. Dieser noch weithin unbekannte Aspekt der ostdeutschen Zeitgeschichte gewinnt durch seine Bild-Text-Komposition, die auch aufgrund des Nichterzählten den Blick und damit die Wahrnehmung insgesamt weitet. Noch ungewöhnlicher zusammengestellt ist Raus Rein. Texte und Comics zur Geschichte der ehemaligen Kolonialschule Witzenhausen, hg. von Marion Hulverscheidt und Hendrik Dorgathen, Berlin: Avant-Verlag 2016. Es rekonstruiert unterschiedliche Aspekte einer heute fast vergessenen Einrichtung, die 1898 in Nordhessen gegründet wurde. Unterstützt durch Historiker hat eine Klasse der Kunsthochschule Kassel die Geschichte von Lehrern und Kolonialschülern rekonstruiert und sehr fantasievoll interpretiert.

Fantasie ist nicht das erste, was man mit Juristen verbindet. Und doch hat gerade dieser Berufsstand unsere Lebenswelt mit am nachhaltigsten geprägt. Daher ist es erstaunlich, dass Bücher über das Leben von Juristen noch relativ rar sind. Die Belletristik ist hier schon weiter: Vor fünf Jahren erschien Ursula Krechel: Landgericht. Roman, Salzburg/Wien: Jung & Jung 2012. Hierin wird die bewegende und gewundene Geschichte eines jüdischen Richters zwischen den 1930er und 1950er Jahren erzählt. Der wird erst in Berlin an einer Karriere gehindert, schlägt sich dann in Havanna durch und kämpft anschließend in Mainz um seine Rehabilitation. Der preisgekrönte Roman basiert auf einem historischen Vorbild und wurde in diesem Jahr verfilmt. Andere Korrekturen an dem erratischen Apparat, als der uns die Justiz oft entgegentritt, nimmt Petra Morsbach: Justizpalast. Roman, München: Albrecht Knaus Verlag 2017 vor. Erzählt wird die Geschichte einer Juristin, der das Fach zugleich zum Halt und zur Stütze durch die Wirren des Alltags werden. Die Welt des Justizpalastes zeigt die Komplexität der Rechtsprechung, aber auch deren Grenzen. Morsbach ist das Sittenporträt einer Berufsgruppe gelungen, das mit der Geschichte der Bundesrepublik kunstvoll und unaufdringlich verwoben ist.

Zuletzt noch zwei Beispiele für die steigende Aufmerksamkeit, die unsere vielfältig vernetzte Welt inzwischen bei Historikern erfährt: Simone M. Müller: Wiring the World. The Social and Cultural Creation of Global Telegraph Networks, New York: Columbia University Press 2016. Nicht die erste, aber eine sehr gelungene Frühgeschichte des Telegrafen und der vielfältigen Folgen, die eine Verdrahtung der Welt im 19. Jahrhundert zeitigte. Demgegenüber widmet sich Stefan Höhne: New York City Subway. Die Erfindung des urbanen Passagiers, Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2017, der technischen und psychosozialen Formung all derer, die seit 1904 die New Yorker U-Bahn nutzten. Das ist ungemein aufschlussreich, weil wir inzwischen alle tagtäglich zu Passagieren, zu Kunden oder zu "Endverbrauchern" geworden sind.