Rezension über:

Sébastien Rossignol / Anna Adamska (Hgg.): Urkundenformeln im Kontext. Formen der Schriftkultur im Ostmitteleuropa des Mittelalters (13.-14. Jahrhundert) (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 65), Wien: Böhlau 2016, 207 S., ISBN 978-3-205-20285-1, EUR 30,00
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Rezension von:
Marcus Wüst
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Marcus Wüst: Rezension von: Sébastien Rossignol / Anna Adamska (Hgg.): Urkundenformeln im Kontext. Formen der Schriftkultur im Ostmitteleuropa des Mittelalters (13.-14. Jahrhundert), Wien: Böhlau 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 9 [15.09.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/09/30805.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Sébastien Rossignol / Anna Adamska (Hgg.): Urkundenformeln im Kontext

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Die hier publizierten Beiträge zu mittelalterlichen Urkundenformeln sind das Ergebnis eines Workshops, der 2013 am Deutschen Historischen Institut in Warschau stattfand. In räumlicher Hinsicht befassen sich die Autoren der Beiträge mit den polnischen Fürstentümern und Böhmen und behandeln den Zeitraum vom 13. bis zum 14. Jahrhundert.

In seinem einleitenden Beitrag nennt Sébastien Rossignol als Ziel "to explore the connections between preambles and other formulae, and between the text and the social and cultural context of medieval charters" (19). Er hebt hervor, dass die Untersuchung von Arengen multiperspektivische Einblicke in das religiöse und staatspolitische Denken und die Propaganda der Aussteller biete. Die Forschung zu den Arengen folgt immer noch ihrem Begründer Heinrich Fichtenau, wie in den Literaturangaben aller Beiträge deutlich wird. [1] Über ihren rechtlichen Inhalt hinaus stellen neuere Forschungsansätze, wie jener der "symbolischen Kommunikation", zum Beispiel ihre symbolische Bedeutung in verschiedenen öffentlichen Kontexten und Ritualen in den Fokus ihrer Untersuchungen. Hier ist auch die Erforschung der jeweiligen Kanzleien bedeutsam.

Anna Adamska fragt in ihrem Beitrag, ob sich gerade angesichts wachsender Digitalisierung von Editionen in der Diplomatik ein Paradigmenwechsel hin zu einer internationalisierten Forschungscommunity anbahne. Sie verneint dies schließlich, da die Forschungsfragen und -ansätze oft noch zu different und auch die sprachlichen Trennlinien noch nicht ausreichend überwunden seien. [2] Mathias Lawo berichtet über das Projekt Arengarum Index Karoli IV. (AIKIV) als Ausgangspunkt für weitere Forschungen und hebt hervor, dass es als Basis diachroner Betrachtung notwendig sei, Volltexte von Arengen in Sammlungen zusammenzustellen. Tomáš Velička bietet einen Einblick in die Arengen königlicher Urkunden in Böhmen in der Luxemburger-Zeit (1310-1419), wobei er betont, dass die tschechische Forschung hier noch am Anfang stehe. Rossignol zeichnet in seinem zweiten Beitrag "Preambles and Politics: Ducal and Princely Charters in Silesia, Western Pomerania, and Rügen (ca. 1200 - ca. 1325)" ein disparates Bild. Sowohl Tradition als auch politische Legitimation seien Beweggrund für die Wahl von Urkundenformeln gewesen. Der Beitrag zeigt, dass eine diachrone Systematisierung auf breiter Quellenbasis wichtig wäre, um eine sichere Grundlage für Aussagen über Traditionen und Diskontinuitäten zu gewinnen. Marek L. Wójcik widmet sich dem Formular der 61 Oppelner Herzogsurkunden im 13. Jahrhundert. Dabei konstatiert er eine geringe Stabilität des Formulars und unterscheidet zwei Phasen in dessen Entwicklung. In der ersten Phase (1211-1246) habe die Breslauer Bischofskurie das Formular bestimmt, in der zweiten Phase (1246-1281) sei in immer stärkerem Maße das Diktat des Ausstellers dominant gewesen. Zofia Wilk-Woś beschäftigt sich mit memorativen Arengen in den Urkunden der Gnesener Erzbischöfe im 14. Jahrhundert, wobei sie die hohe Formularstabilität dieser Urkunden betont. Dies offenbare nicht nur den "didaktisch-moralisierenden Charakter der memorativen Aussagen, die den Rezipienten [...] zur Reflexion über die Unbeständigkeit der ihn umgebenden Welt drängen", sondern sollte auch zeigen, "was man tun müsse, um dem Rezipienten wichtige Dinge vor ihrer Zerstörung durch das Vergehen der Zeit zu bewahren" (162). Den letzten Beitrag liefert Adam Szweda, der das Urkundenformular der großpolnischen Ritterschaft, also von Privaturkunden, im 13.-14. Jahrhundert untersucht und feststellt, wie sehr diese vom Formular herzoglicher und königlicher Urkunden profitierten. In seiner Zusammenfassung betont Benoît-Michel Tock die Notwendigkeit weiterer Forschung und des internationalen Austauschs innerhalb der Forschung. Abstracts in polnischer und englischer Sprache beschließen den Band.

In dem Werk wird deutlich, dass auch in der Diplomatik neue Ansätze und Fragestellungen fruchtbar werden, obwohl diese doch schon zu den klassischen Teildisziplinen der historischen Mediävistik gehört. Ergebnisse der jüngeren ostmitteleuropäischen Forschung werden hiermit in englischer und deutscher Sprache einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich. Die hier publizierten Beiträge zeigen die Notwendigkeit der Internationalisierung und Verzahnung der ostmitteleuropäischen mit der sonstigen mediävistischen Urkundenforschung und stellen die Ergebnisse in den Kontext aktueller Forschungen zu Schriftlichkeit und Kommunikation.


Anmerkungen:

[1] Grundlegend Heinrich Fichtenau: Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln, München 1957.

[2] Als Gegenbeispiel für eine erfolgreiche transnationale Kooperation vgl. Tomasz Jasiński: Kruschwitz, Rimini und die Grundlagen des preußischen Ordenslandes. Urkundenstudien zur Frühzeit des Deutschen Ordens im Ostseeraum, Marburg 2008.

Marcus Wüst