Rezension über:

Ronny Heidenreich / Daniela Münkel / Elke Stadelmann-Wenz: Geheimdienstkrieg in Deutschland. Die Konfrontation von DDR-Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953 (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968; Bd. 3), Berlin: Ch. Links Verlag 2016, 463 S., 41 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-922-3, EUR 45,00
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Rezension von:
Christian Rau
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Christian Rau: Rezension von: Ronny Heidenreich / Daniela Münkel / Elke Stadelmann-Wenz: Geheimdienstkrieg in Deutschland. Die Konfrontation von DDR-Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953, Berlin: Ch. Links Verlag 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 4 [15.04.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/04/29517.html


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Ronny Heidenreich / Daniela Münkel / Elke Stadelmann-Wenz: Geheimdienstkrieg in Deutschland

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"Geheimdienstkrieg in Deutschland" ist der dritte Band, der unter Leitung der 2011 vom Bundesnachrichtendienst (BND) beauftragten Unabhängigen Historikerkommission entstand. Er widmet sich einem der bekanntesten Coups der DDR-Staatssicherheit gegen die Vorgängerorganisation des BND, die Organisation Gehlen (kurz "Org." genannt) - der Aktion "Feuerwerk" vom Herbst 1953, in deren Verlauf zahlreiche Westagenten verhaftet, zu hohen Zuchthausstrafen bzw. zum Tode verurteilt und für Propagandazwecke instrumentalisiert wurden. War diese "konzertierte Aktion" gegen die "Org." bislang nur aus ostdeutschen Quellen rekonstruierbar, so nutzten die Autoren die Chance, bisher verschlossene BND-Quellen heranzuziehen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der "Interaktion zwischen den beiden Geheimdiensten vor dem weltpolitischen Hintergrund des Ost-West-Konfliktes" (12). Die Stärke des Buches liegt dabei vor allem darin, neue Erkenntnisse über das Innenleben und die Mentalität des Gehlen-Dienstes gewonnen zu haben.

Kapitel I untersucht die Unterschiede in Organisation und Handlungsorientierung der gegnerischen Geheimdienste im Vorfeld der Aktion. Dabei zeichnen die Autoren überzeugend die Organisationsdefizite des Gehlen-Dienstes nach, die maßgeblich zum Erfolg der Stasi beitrugen. So lag das Hauptaugenmerk der "Org." nicht auf letztgenannter, sondern auf den sowjetischen Besatzungstruppen. Das konkrete operative Geschäft entzog sich weitgehend der Kenntnis der Zentrale in Pullach, sondern war Sache der Außenorganisationen, die hinsichtlich der Rekrutierung von V-Leuten und Spionagemethoden geradezu autonom von Pullach agierten und durch ein "schwer zu durchschauendes Geflecht persönlicher Loyalitäten" (32) zusammengehalten wurden. Das Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) hatte es dagegen seit längerem auf den Gehlen-Dienst abgesehen. Die Strategie der "konzertierten Schläge" und deren propagandistische Ausnutzung waren indes eine direkte Folge der aus Sicht der SED-Führung unrühmlichen Rolle der Stasi während des Volksaufstands vom 17. Juni 1953.

Kapitel II rekonstruiert den Ablauf der Aktion "Feuerwerk" und die Reaktion Gehlens. Von Ende Oktober bis Mitte Dezember 1953 wurden den Recherchen der Autoren zufolge mindestens 218 V-Leute des Gehlen-Dienstes auf dem Gebiet der DDR festgenommen. Zudem gelang es, zahlreiche Dokumente sicherzustellen, die Aufschluss über die operative Arbeit der "Org." gaben. In seiner Reaktion versuchte Reinhard Gehlen, die Erfolge des SfS kleinzureden. Indem er die Aktion und den Verrat des zwischenzeitlich öffentlich als "Überläufer" vorgeführten Hans-Joachim Geyer als erwartete Einzelaktion deutete, lenkte er von den strukturellen Problemen ab. Obwohl sämtliche Außenstellen von "Zwischenfällen" betroffen waren und der interne Abschlussbericht rund 400 gefährdete bzw. verhaftete V-Leute auswies, hielt Gehlen am bisherigen System autonomer Filialen fest. Dies habe einerseits personelle Gründe gehabt, sei aber auch im Interesse Gehlens gewesen, der die Umgestaltung seines Dienstes zum BND nicht gefährden wollte.

Kapitel III untersucht das Sozialprofil der von der Stasi Verhafteten, wobei umfassende Aussagen nur für 93 Personen verfügbar waren. Aufschlussreich, aber nicht besonders überraschend sind die Ergebnisse über Rekrutierungswege und Einsatzbereiche der V-Leute. Diese waren überwiegend als Nachrichtenübermittler im Bereich Militäraufklärung tätig. Sie stammten aus der Mitte der Gesellschaft und schienen damit unverdächtig. Gleichwohl war ein großer Teil der Verhafteten vom Gehlen-Dienst als "unzuverlässig" eingestuft worden, was die Erfolgsmeldungen der Stasi deutlich relativiert. Bei der Werbung der V-Leute nutzte die "Org." vor allem Familienbeziehungen und Freundeskreise aus; als wichtigste Rekrutierungsbasis fungierten die Aufnahmestellen für DDR-Flüchtlinge in Berlin. Über die Motivlagen, das räumen die Autoren selbst ein, geben die Akten nur bedingt Auskunft. Die genannten Motive (besonders Antikommunismus, nationales Zusammengehörigkeitsgefühl, Geldsorgen und Abenteuerlust) bestätigen im Wesentlichen bisherige Forschungen. Interessant ist aber, dass 22 Personen Mitglieder der SPD und SED waren.

Kapitel IV widmet sich der Medienarbeit des SfS und des Gehlen-Dienstes. Dabei zeigen die Autoren, dass die "Org." dieser Dimension wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmete als der Abstellung struktureller Mängel im eigenen Apparat, was wiederum deutlich macht, dass Gehlen sich mehr um die Übernahme seines Dienstes in das Institutionsgefüge der jungen Bundesrepublik sorgte als um dessen operatives Geschäft. Mit ihrer minutiös inszenierten Propagandaoffensive (Medienkampagne, Schauprozesse, Ausstellungen usw.) habe die Stasi mehrere Ziele verfolgt. Der Gehlen-Dienst sollte öffentlich als "faschistische Organisation" delegitimiert, das eigene Image aufpoliert, neues Personal geworben und der EVG-Vertrag durchkreuzt werden. Den Erfolg dieser Offensive schätzen die Autoren als in Teilen gut ein. Gehlen reagierte unter Nutzung eigener Pressekontakte mit einer medialen Gegenoffensive. Auch dabei habe er den Eindruck erwecken wollen, dass der Schaden auf wenige (medial überhöhte) Einzelfälle beschränkt war. Das Gegenüber zweier völlig überzogener Medienkampagnen habe am Ende maßgeblich dazu beigetragen, dass das Bundeskanzleramt der Version Gehlens Glauben schenkte.

Kapitel V thematisiert den Gefangenenalltag der Verhafteten in der DDR und die Gefangenenfürsorge des Gehlen-Dienstes, wirkt in methodischer Hinsicht allerdings nicht ganz überzeugend. Die Ausführungen über die unmenschlichen Haftbedingungen in den Gefängnissen der Stasi, die fragwürdigen Methoden der Geständniserpressung und die detaillierte Vorbereitung der Schauprozesse stehen etwas unverbunden neben der in den Quellen ungleich weniger dicht nachvollziehbaren Untersuchung der Gefangenenfürsorge des Gehlen-Dienstes. Die Konflikte in der Kommunikation mit den DDR-Behörden werden nur an einem Beispiel rekonstruiert, sodass es für den Leser schwer zu beurteilen ist, wie repräsentativ dieser Fall ist. Hier wäre eine Einschätzung der Autoren wünschenswert gewesen. Auf nur wenigen Seiten weisen die Autoren abschließend auf langfristige Lernprozesse in Pullach hin. Danach sei die Stasi nun als Hauptgegner in den Blick genommen und intensiv über neue Methoden der Informationsgewinnung nachgedacht worden.

Insgesamt haben die Autoren einen quellengesättigten, abwägend argumentierenden und sprachlich ausgezeichnet gestalteten Band vorgelegt. Insbesondere die stärker vergleichend angelegten Kapitel I, II und IV überzeugen und leisten einen wichtigen Beitrag zu einer deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte. Kapitel III und V bieten dagegen nur wenige neue Einsichten und bleiben etwas zu sehr auf der deskriptiven Ebene stehen. Ungeachtet dessen hätte an einigen Stellen weniger Detailverliebtheit die Argumentation flüssiger gestaltet; den roten Faden verlieren die Autoren aber zu keinem Zeitpunkt. Für das Fachpublikum aufschlussreich wäre es zudem gewesen, wenn der jeweilige Anteil der drei Autoren deutlich geworden wäre. Das alles schmälert den Wert dieser hervorragenden Studie aber keinesfalls.

Christian Rau