Rezension über:

Rolf Steininger: Ein neues Land an Rhein und Ruhr. Die Entstehungsgeschichte Nordrhein-Westfalens 1945/46, unveränderter Nachdruck, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016, 358 S., ISBN 978-3-17-030732-2, EUR 30,00
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Rezension von:
Christoph Nonn
Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
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Christoph Nonn: Rezension von: Rolf Steininger: Ein neues Land an Rhein und Ruhr. Die Entstehungsgeschichte Nordrhein-Westfalens 1945/46, unveränderter Nachdruck, Stuttgart: W. Kohlhammer 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 2 [15.02.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/02/29639.html


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Rolf Steininger: Ein neues Land an Rhein und Ruhr

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So sehr der Titel mit Neuem prunkt, so wenig ist es dieses Buch. Der Untertitel ist zwar ein anderer, aber es handelt es sich um eine Neuauflage von Einleitung und einigen Dokumenten aus der Edition der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, die schon 1988 erschien [1] und die der Verlag 1990 als Taschenbuch druckte, ergänzt um einige Faksimiles und Fotos [2].

Im knappen Vorwort zur Neuauflage heißt es: "An der Gründungsgeschichte des Landes hat sich in den vergangenen 26 Jahren nichts geändert." Es wäre erstaunlich, wenn sich das anders verhielte. Aber auch die neuere Forschung hat die Ergebnisse, die der Pionier Steininger damals aus den gerade freigegebenen britischen, französischen und amerikanischen Akten erarbeitet hatte, nicht modifiziert. Während der kurzen Zeit, als die russischen Archive in den 1990er Jahren teilweise offen waren, sind zum Thema keine wesentlich neuen Erkenntnisse gewonnen worden. Steiningers Darstellung ist daher nach wie vor unübertroffen und "state of the art".

Im Einzelnen zeichnet er minutiös nach, wie die Besatzungsmächte 1945/46 die Frage einer Kontrolle des Ruhrgebiets zu lösen versuchten. Die Ruhr war jahrzehntelang Waffenschmiede des Deutschen Reichs gewesen. Das legte Demontagen, wenn nicht eine völlige Zerstörung der industriellen Infrastruktur nahe, wie sie zeitweise der Morgenthau-Plan vorsah. Angesichts der Notwendigkeit, das Potential der Ruhr für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Europa zu nutzen, waren solche Überlegungen freilich bei Kriegsende schon vom Tisch. Zur Diskussion standen stattdessen nur noch eine Internationalisierung des Ruhrgebiets, seine Integration in einen deutschen Teilstaat und eine Kontrolle der Ruhrindustrie durch ihre Sozialisierung.

Frankreich pochte auf eine Zerstückelung Deutschlands, um sein Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Die Briten, in deren Besatzungszone das Ruhrgebiet lag, glaubten Paris als Bündnispartner bei Laune halten zu müssen. Gleichzeitig fürchteten sie aber nicht nur einen Rückzug der USA aus Europa, sondern seit Anfang 1946 auch zunehmend eine Expansion der Sowjetunion nach Westen. Der erste britische Plan einer Internationalisierung der Ruhr wurde deshalb bald verworfen; die Überlegungen in London konzentrierten sich stattdessen auf die Gründung eines neuen Territoriums.

Unklar war lange dessen Zuschnitt. Schließlich fiel die Entscheidung für die Arrondierung der Ruhr um die alte preußische Provinz Westfalen und Lippe im Osten sowie den nördlichen Teil der Rheinprovinz im Westen. Denn das schienen die Deutschen zu wollen, deren Meinung angesichts des sich ankündenden Kalten Krieges wieder relevant wurde. Und dafür plädierten deshalb auch die britischen Repräsentanten vor Ort. Durch die eher ländlich-konservative Prägung Westfalens hofften manche zudem, kommunistische Sympathien unter der Bevölkerung des Ruhrgebiets austarieren zu können. Das war freilich in der Londoner Labour-Regierung umstritten.

Als Zugeständnis an die Kritiker verfolgten die Briten seit Sommer 1946 das Projekt einer Sozialisierung der Montanindustrie an der Ruhr - ein Projekt, das damals nicht nur in der SPD, sondern auch unter den deutschen Christdemokraten populär war. Außerdem glaubte man, damit den Kommunisten das Wasser abgraben zu können. Doch diese Idee provozierte zunächst Protest aus den westeuropäischen Staaten. Denn die drohten, anders als bei einer Internationalisierung der Ruhr, nun von deren Ressourcen abgeschnitten zu werden. Dann intervenierte auch die US-Regierung gegen das Programm der Sozialisierung, das ihr aus ideologischen Gründen suspekt war. Gleichzeitig erodierte unter den Christdemokraten, wo Konrad Adenauer sich durchsetzte, die Begeisterung dafür. Resultat war schließlich ein Kompromiss: Die Sozialisierung fand nicht statt, dafür wurden den Gewerkschaften weitreichende Mitbestimmungsrechte in der Montanindustrie gegeben, und die Westeuropäer bekamen über den EGKS-Vertrag (Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) Zugang zu den Ressourcen der Ruhr.

All das beleuchtet Steininger ebenso detailliert wie klar. Wenn zum siebzigsten Geburtstag des Landes Nordrhein-Westfalen seine seit längerem vergriffene Darstellung nun wieder auf den Markt kommt, dürfte das deshalb nicht nur für den Verlag von Vorteil sein.


Anmerkungen:

[1] Rolf Steininger: Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen. Britische, französische und amerikanische Akten, Düsseldorf 1988.

[2] Rolf Steininger: Ein neues Land an Rhein und Ruhr. Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung Nordrhein-Westfalens, Köln 1990.

Christoph Nonn