Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Claudia Weber, Frankfurt/O.


Die Maiski-Tagebücher. Ein Diplomat im Kampf gegen Hitler 1932-1943, herausgegeben von Gabriel Gorodetsky, München: C.H.Beck 2016.
Auch wenn der Buchuntertitel unzutreffend ist, gehören die im C. H. Beck-Verlag sorgfältig editierten Maiski-Tagebücher zu den überzeugenden Neuerscheinungen des Jahres. Iwan M. Maiski, Stalins loyaler und langjähriger Botschafter in London, beschreibt die diplomatische und politische Szenerie in der europäischen Vorkriegszeit der 1930er Jahre. Seine Aufzeichnungen sind aus mindestens drei Gründen empfehlenswert. Erstens erzählen Tagebucheintragungen naturgemäß nicht aus der ex post Position der Historiker. In ihnen ist die Zukunft kontingent, umso aufschlussreicher sind Maiskis Schilderungen der britischen Appeasementpolitik und der europäischen Arrangements mit beiden Diktatoren: mit Hitler und mit Stalin. Zweitens haben die Berichte über das Sich-Arrangieren mit der Diktatur im Ringen um den europäischen Frieden einen erschreckenden Aktualitätsbezug. Und drittens schildern die Maiski-Tagebücher eben keine heroische Widerstandsgeschichte. Stattdessen erlauben sie einen nüchternen Einblick in politischen Pragmatismus, menschliche Schwächen und gewinnen gerade dadurch an Glaubwürdigkeit.


Marek Krajewski: Finsternis in Breslau, München: dtv 2012; Festung Breslau, München: dtv 2008.
Marek Krajewski, ein 50jähriger Altphilologe aus Polen, ist in den vergangenen fünfzehn Jahren mit seinen Breslau-Krimis weltbekannt geworden. Nun gehört ein tiefer Lokalpatriotismus zu den Basiszutaten der zahllosen Stadt- und Regionalkrimis, die den Büchermarkt gegenwärtig überfluten. Krajewski aber sticht heraus, denn er lässt liebevoll, betont lustvoll und mit historischer Akribie die Stadt Breslau vor dem Zweiten Weltkrieg auferstehen. Sein selbstverständlicher Umgang mit einem oftmals verkomplizierten und politisierten Kapitel der Stadtgeschichte wirkt trotz der Düsternis und Gewalt der Krimihandlung angenehm und erleichtert. Dass Krajewskis Schwäche für die Roaring Twenties dabei gelegentlich ins Klischee abgleitet, ist zu verkraften. Dafür bietet er eine spannende und unterhaltsame Begegnung mit einer bemerkenswerten Stadt, die als europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2016 endlich wieder mehr Beachtung erfahren hat.


Heiner Müller: Warten auf der Gegenschräge. Gesammelte Gedichte, Berlin: Suhrkamp 2014.
In der gehetzten Vorlesungszeit sind Gedichte leider oft die einzige Gelegenheit für ein kurzes Innehalten. "Warten auf der Gegenschräge" versammelt Heiner Müllers sämtliche zu Lebzeiten und postum veröffentlichten Gedichte, dazu unbekannte Texte aus dem Nachlass, in chronologischer Reihenfolge. Damit kann man durch das 20. Jahrhundert reisen und dessen großen Dramatiker begleiten, bei den durchlebten Hoffnungen, politischen Enttäuschungen, allen Lieben und den nötigen Reibungen an der Historie. Die präzise Sprachgewalt Heiner Müllers beeindruckt immer wieder zutiefst, die Pfeile, z.B. gegen Rudolf Augstein, sind treffsicher und ohne "Mommens Block" gelesen zu haben, kann der historische Beruf ohnehin nicht verstanden werden. Müller wird seit einigen Jahren gottlob "wiederentdeckt".


Iréne Némirovsky: Suite française, München: btb 2005.
Die Schriftstellerin Iréne Némirovsky wurde 1903 in Kiew geboren. Ihre Familie verließ Russland nach den Wirren der bolschewistischen Revolution und ließ sich in Frankreich nieder. Dort erlebte sie den Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Juni 1940. Zwei Jahre später wird Iréne Némirovsky verhaftet und stirbt wenig später in Auschwitz. Erst sechzig Jahre später erscheint ihr Buch über jenen Sommer 1940 in Frankreich, das die menschlichen Reaktionen auf den Einmarsch eindringlicher zeigt als jede historiographische Darstellung es vermag und vielleicht auch nicht muss. Die Stärke von Suite française liegt in der einfachen und erzählerisch großartigen Beschreibung menschlichen Handelns in extremen Situationen. Suite française ist einer der besten Romane über den Alltag im Krieg und auf der Flucht.