Rezension über:

Rhiannon Ash / Judith Mossman / Frances B. Titchener (eds.): Fame and Infamy. Essays for Christopher Pelling on Characterization in Greek and Roman Biography and Historiography, Oxford: Oxford University Press 2015, XX + 424 S., ISBN 978-0-19-966232-6, GBP 85,00
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Rezension von:
Alexander Free
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Free: Rezension von: Rhiannon Ash / Judith Mossman / Frances B. Titchener (eds.): Fame and Infamy. Essays for Christopher Pelling on Characterization in Greek and Roman Biography and Historiography, Oxford: Oxford University Press 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 3 [15.03.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/03/27453.html


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Rhiannon Ash / Judith Mossman / Frances B. Titchener (eds.): Fame and Infamy

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"Infamy! Infamy! They' ve all got it in for me." Das Wortspiel aus dem im Jahr 1964 erschienenen Film "Carry on Cleo", das 2007 in einer Umfrage der Zeitung "The Telegraph" zum "best one liner" gewählt wurde, ist titelgebend für die zu besprechende Festschrift für Christopher Pelling, Regius Professor an der Universität Oxford. [1] Der humorvolle und herzliche Rahmen, in den der Band eingebettet ist, mindert indes keineswegs die Seriosität der in ihm versammelten Studien. Einendes Thema aller Beiträge ist die Frage nach den Formen literarischer Charakterisierung innerhalb der antiken Biografie und Historiografie. Die Aufsätze von Freunden, Schülern und Kollegen Pellings lehnen sich dabei zumeist an die Arbeiten des Jubilars selbst an, der sich neben einer generellen Beschäftigung mit den genannten Gattungen maßgeblich um das Studium Plutarchs von Chaironeia verdient gemacht hat. [2]

Die Beiträge spiegeln das weite Interessensfeld des Geehrten wider. In einer bemerkenswerten Einleitung legt Donald Russell zunächst ein Gespräch zwischen Plutarch und seinem Bruder Lamprias auf Altgriechisch vor, in dem sich beide lobend über Pelling äußern. Frances B. Titchener berichtet im Anschluss von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Jubilar. Die vierundzwanzig weiteren in dem Band versammelten Artikel widmen sich zumeist der Charakterisierungstechnik einzelner Autoren. Sie reichen von der frühgriechischen und klassischen Literatur bis zu paganen und christlichen Texten des 2. Jahrhunderts n.Chr.

So widmen sich etwa Emily Baragwanath (17-35) und Katherine Clarke (37-51) der literarischen Technik Herodots. Tim Rood (97-109) und Michael A. Flower (111-127) leisten ähnliches für Xenophon. Timothy E. Duff präsentiert eine luzide sprachliche Analyse der Erzählweise Plutarchs (129-148). Harriet I. Flower beschäftigt sich mit den lediglich in Fragmenten zu greifenden Memoiren Sullas (209-223), David Levene mit den Periochae des Livius (313-325). Teresa Morgan vergleicht schließlich die pagane Biografie mit der biblischen Tradition (353-366). Aufgrund der weiten chronologischen Diversität sowie der Anzahl der Beiträge können im Folgenden nur wenige Themen gesondert herausgehoben werden. [3]

John Marincola ordnet in seinem Beitrag Plutarchs Schrift De malignitate Herodoti in die allgemeine geschichtstheoretische Diskussion ein (83-95). Er beleuchtet die Übereinstimmungen zwischen den Ansichten Plutarchs und jenen des Polybios, aber auch des Dionysios von Halikarnassos und des Arrian, über die rechten Charaktereigenschaften des Geschichtsschreibers. Dadurch kann Marincola die große Bedeutung des historiografischen Ethos innerhalb des antiken Diskurses deutlich herausarbeiten. "A writer's own character was thought to be on display in his work" (90). So versteht auch Plutarch seine eigene Herangehensweise an die Vergangenheit. Marincola erkennt bei dem kaiserzeitlichen Literaten eine übergeordnete Zielsetzung, die eine positive Belehrung des Rezipienten anstrebt. Herodot setzt sich für Plutarch hingegen der Kritik aus, da seine Historien einen solchen Rahmen nicht erkennen lassen.

Der Aufsatz von Ewen Bowie (239-253) fällt etwas aus dem Rahmen der übrigen Beiträge. Bowie widmet sich der Gelehrtenwelt Athens im 2. Jahrhundert n.Chr. und legt dafür Philostrats Vitae Sophistarum zugrunde. Anstelle einer Beschäftigung mit Philostrats literarischer Technik präsentiert er dabei ein Panorama der von dem Autor vorgestellten Sophisten. Diese Vorgehensweise entspricht anderen Studien Bowies und besticht durch eine profunde Quellenkenntnis. Gerade im Zusammenhang mit der übergeordneten Thematik des Bandes wäre allerdings eine Auseinandersetzung mit neueren Studien über das kompositorische Vorgehen Philostrats lohnenswert gewesen. [4]

Rhiannon Ash befasst sich eingehend mit einem Passus aus Tacitus' Annalen, in dem ein Punier Kaiser Nero von dem Fund eines Goldschatzes auf seinem Land berichtet (269-283). In einem weiter gefassten literarischen Rahmen kann Ash schlüssig die Funktion von Gold als Marker extremer Formen positiver wie negativer Charakterisierungen erörtern. Sie mutmaßt dabei auch über mögliche Verbindungen zwischen Petrons Satyricon und Tacitus' Annalen. Interessant erscheint zudem die Hypothese, der vermutlich in severischer Zeit ins Lateinische übersetzte Diktys von Kreta weise literarische Anklänge an Tacitus auf. Dies wäre ein wichtiges Zeugnis für die gerade im 2. Jahrhundert nur schwer nachzuweisende Rezeption des Historiografen. Demgegenüber müsste jedoch zunächst das Verhältnis zwischen postulierter Tacitus- und nachgewiesener Sallust-imitatio bei Diktys einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Da Ash darauf nicht näher eingeht, bleibt ihre Hypothese kritisch zu hinterfragen. [5]

Luke Pitcher behandelt die ambivalente Stellung von Appians Syriake zwischen Biografie und Historiografie. Der Seleukidenherrscher Antiochos III. erscheint als Hauptperson des Buches. Dadurch entfernt sich der Text von einem rein annalistischen Ansatz, ist jedoch auch nicht durchgehend biografistisch. Pitcher arbeitet die Themen von Größe und Macht als Leitmotive der Syriake heraus. Er gibt damit nicht nur der Komposition des Buches einen Sinn, sondern leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Aufwertung Appians als originärem Historiografen.

Die gesammelten Beiträge erweisen sich insgesamt als gehaltvolle Weiterführungen der Studien Pellings. Die Wahl eines einheitlichen Grundthemas erleichtert die Lektüre des Bandes und ist anregend für jeden, der sich für literarische Charakterisierungstechniken, die antike Biografie, die in dem Buch versammelten Geschichtsschreiber oder das Werk Christopher Pellings interessiert.


Anmerkungen:

[1] Eine Szene der Komödie, die auf Deutsch "Ist ja irre - Cäsar liebt Kleopatra" heißt, schmückt auch den Schutzumschlag des Buches. Über den titelgebenden Witz informiert Titchener in der Einleitung (xix-xx). Im Film ruft Caesar den Satz, als er versucht, einem weiteren von vielen Attentatsversuchen zu entkommen.

[2] Von den zahlreichen Beiträgen Pellings zu Plutarch und anderen Autoren können nur wenige beispielhaft genannt werden: Der Kommentar Plutarch: Life of Antony, Cambridge 1988. Der Sammelband Characterization and Individuality in Greek Literature, Oxford 1990. Die Aufsatzsammlung Plutarch and History: Eigtheen Studies, Swansea 2002. Der Aufsatz Biographical History? Cassius Dio on the Early Principate, in: Portraits: Biographical Representation in the Greek and Latin Literature of the Roman Empire, hgg. v. Mark J. Edwards / Simon Swain, Oxford 1997, 117-144.

[3] Ein Inhaltsverzeichnis des Buches findet sich unter https://global.oup.com/academic/product/fame-and-infamy-9780199662326?cc=de&lang=en&# (zuletzt eingesehen am 09.02.16).

[4] Vgl. neben Ewen L. Bowie: The importance of sophists, in: YCS 27 (1982), 29-59; und Ders.: The geography of the Second Sophistic, in: Paideia: The World of the Second Sophistic, hg. v. Barbara E. Borg, Berlin u.a. 2004, 65-83; an neuen Arbeiten vor allem Adam Kemezis: Narrative of Cultural Geography in Philostratus's Lives of the Sophists, in: Perceptions of the Second Sophistic and its Times, hgg. v. Thomas Schmidt / Pascale Fleury, Toronto u.a. 2011, 3-22; sowie Ders.: Greek Narratives of the Roman Empire under the Severans. Cassius Dio, Philostratus and Herodian, Cambridge 2014, 196-226.

[5] Zur dürftigen Rezeption des Tacitus in der Antike vgl. Stephan Schmal: Tacitus, Hildesheim u.a. 2005, 168-171. Zur Sallust-imitatio des Diktys siehe Stefan Merkle: Die Ephemeris belli Troiani des Diktys von Kreta, Frankfurt am Main u.a. 1989, 118-122.

Alexander Free