Rezension über:

Alexander Weiß: Soziale Elite und Christentum. Studien zu ordo-Angehörigen unter den frühen Christen (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr.; Bd. 52), Berlin: de Gruyter 2015, VIII + 245 S., ISBN 978-3-11-037380-6, EUR 99,95
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Rezension von:
Vera Hirschmann
Theologisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Vera Hirschmann: Rezension von: Alexander Weiß: Soziale Elite und Christentum. Studien zu ordo-Angehörigen unter den frühen Christen, Berlin: de Gruyter 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 3 [15.03.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/03/27198.html


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Alexander Weiß: Soziale Elite und Christentum

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Dem Buch zugrunde liegt die von Alexander Weiß im Wintersemester 2011/2012 eingereichte und für die Publikation erweiterte Habilitationsschrift an der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig.

In acht Kapiteln, die wiederum in zahlreiche Unterkapitel unterteilt sind, geht der Autor der Frage nach, in welchem Ausmaße Angehörige der sozialen Eliten und besonders ordo-Angehörige unter den frühen Christen zu finden sind. Die Engführung des Begriffs "Oberschicht" auf Angehörige der ordines begründet Weiß mit der teilweise sehr unscharfen Definition des Begriffs in der Forschung (6). Dagegen sind die einzelnen ordines in der römischen Gesellschaft historisch klar definierbar und bieten so einen sicheren Hintergrund für seine Überlegungen.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den in den Kapiteln 3 und 4 intensiv behandelten Persönlichkeiten Sergius Paullus (Apg 13,4-14), Dionysios Areopagites (Apg 17,16-34) und Erastos (Röm 16,23), die als mutmaßliche ordo-Angehörige unter den ersten Christen in Frage kommen.

Der Autor hat für seine Untersuchung folgende Ziele: Erstens sollen seine Untersuchungen zeigen, dass bereits in frühester Zeit ordo-Angehörige unter den Christen waren und zweitens neutestamentliche Texte für Altertumswissenschaftler wieder mehr zugänglich zu machen, mit dem Ziel, Disziplingrenzen aufzuweichen und daraus wissenschaftlichen Gewinn zu erzielen. Notwendigerweise geht Alexander Weiß auch auf die oftmals bestrittene Historizität der Apostelgeschichte ein, die er in Kapitel 3.1. ausführlich diskutiert.

Das erste Kapitel gibt mit seinen Unterkapiteln einen prägnanten und sehr wichtigen Forschungsüberblick beginnend mit der bis 1960 gültigen These Gustav Adolf Deissmanns [1], das Christentum sei in seiner Anfangszeit eine reine Unterschichtsreligion gewesen (7).

Erst mit den Arbeiten des Althistorikers Edwin Judge [2] und des Theologen Gerd Theißen [3] kam Bewegung in die Debatte (sog. new consensus). Judge postuliert eine soziale Diversität, die zu Spannungen in den frühen christlichen Gemeinden geführt haben soll (15), so wie es auch die Verhaltensmaßregeln des Paulus in 1Kor 26-29 widerspiegeln. [4]

1974 plädierte der Neutestamentler Gerd Theißen ebenfalls für eine soziale Mischung der frühen Christen (17) und sorgte mit seiner Arbeit in den 1970er und 1980er Jahren für einen neuen Aufschwung in der Debatte.

Alexander Weiß verortet sein Werk in einer Position gegen die Annahmen von Wayne E. Meeks, [5] Gerd Theißen und vor allem der Gebrüder Stegemann (21). [6] Er stellt am Ende des ersten Kapitels gegen Theißen die These auf, dass die Angehörigen der Oberschicht nicht unter Statusinkonsistenzen gelitten und in den christlichen Gemeinden nach Aufwertung gesucht hätten. [7]

Im zweiten Kapitel wendet Alexander Weiß der Frage der Begriffsdefinition zu. Die Schwierigkeiten, die "Oberschicht" für die Kaiserzeit genau zu bestimmen, habe in der Vergangenheit zu Umschreibungen oder Hilfestellungen aus dem soziologischen Vokabular geführt (23). Alexander Weiß folgt für seine Untersuchung den Überlegungen der Gebrüder Stegemann, die in Anlehnung an Geza Alföldys Verständnis der kaiserzeitlichen Gesellschaft [8] auch die Mitglieder der ordines, sowie deren Gefolgsleute, die mit Verwaltungsaufgaben betraut waren, zur Oberschicht rechnen. [9] Der Autor konzentriert sich auf drei mögliche Kandidaten des ordo-Standes: Sergius Paullus, der Prokonsul von Zypern (Apg 13,6-12), Dionysios Areopagites (Apg 17,18-34) und Erastos von Korinth, der als oikonomos tēs poleos bezeichnet wird (28).

Im dritten Kapitel diskutiert der Autor die Historizität der Apostelgeschichte, die von deutschsprachigen Wissenschaftlern eher skeptisch, im anglophonen Bereich mit größerer Bereitschaft als Quelle akzeptiert wird. (29) Das läge auch daran, dass vor allem britische Wissenschaftler oft eine altertumswissenschaftliche Ausbildung durchlaufen, ehe sie mit den Studien des Neuen Testamentes beginnen und die Apostelgeschichte als ein Teil der antiken Literatur verstehen (36). [10] Jedoch würden ihre Positionen in der deutschsprachigen Literatur kaum rezipiert. (38) Der Autor sieht jedoch in der "specific local knowledge" (44) ein gutes Argument für die historische Verwertbarkeit der Apostelgeschichte (49). Unter dieser Prämisse analysiert er in Kapitel 3.2 epigraphische Zeugnisse zu Sergius Paullus und identifiziert Sergius mit dem Tiberkurator Lucius Sergius Paulus (62) [11], dessen Statthalterschaft er zwischen 45-48 ansetzt. Aufgrund der zeitlichen Nähe kommt Alexander Weiß zu dem Schluß, dass die Hinwendung des zyprischen Statthalters zum Christentum historisch plausibel ist (78).

Auch bei der Person des Dionysios Areopagites (Kapitel 3.3) ist die Kenntnis des Lokalkolorits der Apostelgeschichte das entscheidende Kriterium für die Historizität der Episode (83-95). Dionysios, den der Autor mit Daniel J. Geagan als Angehörigen des Areopags unter die ordines zählt [12], habe sich dem Christentum als "Gegenentwurf" (97) zum Leben eines typischen Atheners angeschlossen. Der Annahme, Dionysios sei ein reines Phantasieprodukt gewesen [13], hält der Autor den Ephebenkatalog [14] der Jahre 61/62 n. Chr. entgegen, die zweimal einen Vater Dionysios auflisten und so einen realen Dionysios zur Zeit des Paulus möglich machen(100).

Kapitel 3.4 befasst sich kurz mit den Frauen der politischen Amtsträger in Thessalonike (Apg 17,4), deren Männer auf einer Stufe mit den römischen ordines standen (101). Diese Frauen der "ersten Männer" der Stadt (103) hätten als Neuchristinnen sicherlich auch Einfluss auf ihre Männer ausgeübt (104). Nach einem kurzen Einschub zu dem Lukas-Adressaten Theophilos (104-105) wendet sich der Autor dem in Röm 16,23 erwähnten Erastos zu (106-147), den er nach einer aufwendigen epigraphischen Analyse (124-138) durch sein Amt als Oikonomos ebenfalls als Angehörigen des ordo sieht. Er wendet sich allerdings gegen eine Identifizierung des Erastos aus Röm 16,23, mit dem korinthischen Ädilen Erastos, der durch eine Pflasterinschrift bezeugt ist. [15] Gegen Gerd Theißen, der Erastos als Quästor ansieht, plädiert er für eine Interpretation des Oikonomos als Duovir oder Ädil (139).

Kapitel 4.2 widmet Alexander Weiß der Charakterisierung der korinthischen Christen in 1Kor 1,26 als zum Teil Angehörige des ordo-Standes. Er kommt zu dem Schluß, dass die von Paulus gebrauchten Termini eugenēs oder dynatoi durchaus auf die städtischen Eliten zu beziehen sind. (151).

Das fünfte Kapitel geht der Frage nach, ob sich im ersten Jahrhundert Christen unter den Angehörigen des ordo senatorius befunden haben. Während der Autor den bekannten Namen Pomponia Graecina (157) und Flavius Clemens (159) das Christsein abspricht, sieht er bei Flavia Domitilla [16], der Nichte Domitians, die Wahrscheinlichkeit, sie sei Proselytin gewesen. (165) Die christliche Zugehörigkeit des Senators Acilius Glabrio, dem Konsul des Jahres 91, weist Alexander Weiß ebenfalls zurück, da allein die von Sueton berichtete Hinrichtung [17] nicht automatisch ein christliches Bekenntnis des Senators voraussetzen kann (166).

Das sechste Kapitel (165-187) ist den Hindernissen gewidmet, die ordo-Angehörigen das Christsein erschweren könnten, wie etwa Opferpflicht, Amtseid oder das Übernahmeverbot der lokaler Ämter. Er folgert (vor allem für die Übernahme lokaler Ämter), dass es tatsächlich Faktoren gab, die einen Übertritt zum Christentum für ordo-Angehörige erschwerten, dennoch aber durchaus Grauzonen zwischen den offiziellen Verboten und der Realität existierten. Allerdings sind seine Belegquellen für die Praxis der lokalen Ämter wie etwa bei Tertullian oder in Canon 56 der Synode von Elvira aus späterer Zeit (182-183).

Das siebte und letzte Kapitel (188-208) gibt einen Ausblick zu ordo-Angehörigen im zweiten bis vierten Jahrhundert. Hier kann er anhand schriftlicher wie epigraphischer Quellen eine vergleichsweise hohe Anzahl von ordo-Angehörigen nachweisen.

Alexander Weiß gelingt es gut, seine Hauptthese, auch schon in der Anfangszeit hätten sich Angehörige der höchsten Kreise dem Christentum zugewendet, in dichter, gut recherchierter Struktur aufzubauen. Das Buch ist dabei sehr lesbar und ermüdet trotz der Stofffülle nicht. Durch seine Konzentration auf die ordines unter den Christen vermeidet Alexander Weiß die oft so unklare Definition der sozialen Eliten. Den bekannten Problemen wie bei der Person des Erastos begegnet er mit der angemessenen Tiefe. Bei der Auswertung Tertullians fällt auf, dass nicht konsequent mit dem Schriftsteller verfahren wird. Einerseits häuft sich die Betonung des späteren Rigorismus Tertullians (vor allem im sechsten Kapitel), wenn sein Wert als historische Quelle kritisiert wird, andererseits stützen sich vor allem im siebten Kapitel viele Argumente für Christen im ordo senatorius. Insgesamt ist das Buch ein interessanter Beitrag zur sozialen Struktur des frühen Christentums und zeigt, wie wertvoll der Blick über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus sein kann.


Anmerkungen:

[1] Gustav Adolf Deissmann: Licht vom Osten, Tübingen 1909, 41923.

[2] Edwin A. Judge: The social pattern of the Christian groups in the first century, in: ders., Social distinctive of the Christians in the first century. Pivotal essays (Peabody/Mass. 2008), 1-56 (orig. 1960).

[3] Gerd Theißen: Studien zur Soziologie des Urchristentums. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 19, 3Tübingen 1989.

[4] Vgl. Werner Eck: Das Eindringen des Christentums in den Senatorenstand bis zu Konstantin d. Gr. Chiron 1 (1971), 381-406.

[5] Wayne E. Meeks: The first urban Christians. The social world of the apostle Paul, New Haven 1983.

[6] Ekkehard W. Stegemann / Wolfgang Stegemann: Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinde in der mediterranen Welt 2Stuttgart u.a. 1997.

[7] Gerd Theißen: Social Structure of Pauline Communities. Some critical remarks on J.J. Meggitt, Paul, Poverty and Survival. Journal for the Study of the New Testament 84 (2001), 65-84, 73.

[8] Geza Alföldy: Römische Sozialgeschichte, 4Stuttgart 2011.

[9] Ekkehard W. Stegemann / Wolfgang Stegemann: Urchristliche Sozialgeschichte, 71f.

[10] So z.B. William Mitchell Ramsey: The Bearing of recent discovery on the trustworthiness of the New Testament, London 1915, 39-52, oder Joseph Barber Lightfoot: Discoveries illustrating the Acts of the Apostles, in: Ders.: Essays on the work entitled Supernatural Religion, London / New York 1889, 291-302, 292.

[11] CIL VI 31545.

[12] Seit der sullanischen Neuordnung fungierte der Areopag als Gegenstück zum ordo cecurionum, siehe Daniel J. Geagan: Ordo Areopagitorum Atheniensium, in: Phoros. A tribute to B.D. Meritt, New York 1974, 56.

[13] David W.J. Gill: Dionysios and Damaris. A note on Acts 17,34, in: Catholic Biblical Quarterly 61 (1999), 483-490.

[14] IG II2 1990, 23.25.

[15] John H. Kent: Corinth VIII 3. The Inscriptions 1926-1950, Princeton 1966, Nr. 232.

[16] Cassius Dio 67,14,1-2.

[17] Sueton, Domitian 10,2.

Vera Hirschmann