Rezension über:

Christina Link: Der preußische Getreidehandel im 15. Jahrhundert. Eine Studie zur nordeuropäischen Wirtschaftsgeschichte (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte. Neue Folge; Bd. 68), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 386 S., ISBN 978-3-412-22123-2, EUR 49,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Angela Huang
SAXO-Instituttet, Københavns Universitet, København
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Angela Huang: Rezension von: Christina Link: Der preußische Getreidehandel im 15. Jahrhundert. Eine Studie zur nordeuropäischen Wirtschaftsgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 11 [15.11.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/11/27981.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Christina Link: Der preußische Getreidehandel im 15. Jahrhundert

Textgröße: A A A

Preußen gilt als wichtiger Getreideproduzent und -exporteur in der mittelalterlichen Wirtschaft. Jedoch fehlte bislang eine systematische Auseinandersetzung mit dem preußischen Getreidehandel. Diese Lücke schließt Christina Link durch eine auf umfangreicher Archivarbeit beruhende quantitative Untersuchung. In einem ersten Hauptteil widmet Link sich Umfang und Entwicklungstendenzen des preußischen Getreidehandels im 15. Jahrhundert anhand einer ausführlichen Betrachtung des Exports nach Menge, Wert, Anteil am preußischen Außenhandel, Konjunkturverläufen im Handel, Zielrichtung des Warenverkehrs und einer Verortung der preußischen Zahlen im europäischen Kontext. Der zweite Hauptteil erörtert die Geschichte der Getreidepreise in Preußen anhand von drei aus verschiedenen Kontexten und Orten stammenden "Preiskomplexen", die untereinander verglichen und schließlich in einen überregionalen Kontext gestellt werden. Die Zusammenführung beider Hauptteile in einer recht kurzen abschließenden Bewertung dient der Erörterung der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung Preußens beziehungsweise des preußischen Getreidehandels im 15. Jahrhundert und der europäischen Bedeutung des Getreidehandels (189-197). Ein wichtiger Beitrag der Arbeit ist die Bereitstellung der erhobenen Daten, deren Zustandekommen und Belastbarkeit die Verfasserin gut nachvollziehbar darstellt. Die quantitativen Grundlagen der Untersuchung werden im Text mit 38 Tabellen und 62 Grafiken anschaulich präsentiert. Vor allem der umfangreiche Anhang mit den gesammelten preußischen Getreidepreisen (199-373) stellt eine wichtige Grundlage für künftige Forschungen dar.

Die vorgelegten Ergebnisse sind vielfältig und können hier nur anhand einiger Hauptergebnisse, die Link im Laufe der Arbeit entwickelt, vorgestellt werden. Gegenstand der preußischen Exporte waren nach Auskunft der Hafenbücher primär Nahrungsgetreide, so vor allem und mit zunehmender Bedeutung das Brotgetreide Roggen, dann das Luxusgetreide Weizen und in geringem Umfang die zur Bierherstellung benötigte Gerste. Die Exporte wurden ergänzt um die Verarbeitungsprodukte Mehl und Malz. Das Futtergetreide Hafer hingegen muss als Importware charakterisiert werden. Insgesamt beobachtet Link sortenspezifische Muster in der Preisbewegung, die Handelsbedeutung und Verwendungszweck der gehandelten Sorten entsprachen: Roggen als führendes Ausfuhrgetreide und Brotgetreide zur Versorgung der breiten Massen verzeichnete den stärksten Anstieg; Weizen entwickelte sich verzögert dazu. Hafer war als Importware und substituierbares Produkt von niedrigem Preis und keinen starken Schwankungen unterworfen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammte das exportierte Getreide überwiegend aus Preußen, während der Anteil polnischen Korns am preußischen Getreidehandel im späten 15. Jahrhundert an Bedeutung gewann.

Wert und Menge des Getreidehandels wie auch sein Anteil an den preußischen Ausfuhren war im Vergleich der in den Hafenbüchern überlieferten "Querschnitte" von 1409 und 1492 im späten 15. Jahrhundert deutlich gestiegen, eine Entwicklung ist aus den Handelsquellen alleine jedoch nicht ablesbar. Auch war im Laufe des 15. Jahrhunderts eine langfristige Zunahme des Nominalpreises zu verzeichnen. Jenseits dieser allgemeinen Tendenzen geben die gemeinsamen Preisbewegungen der preußischen Getreidepreise im Untersuchungszeitraum auch Aufschluss über Phasen der Teuerung beziehungsweise des Preisverfalls, die in Parallelentwicklungen zur allgemeinen Preisentwicklung und spezifische Entwicklungen für Getreide unterschieden werden können. Die Preisentwicklung war dabei nicht an die Erntejahre gebunden, sondern fand, wie bereits für Flandern und Brabant gezeigt (130f.), in mehrjährigen Zyklen statt. Ein Blick auf preußische Exportzahlen und Getreidepreise im Zusammenspiel lässt letztlich keine kontinuierliche Expansion des preußischen Getreidehandels im 15. Jahrhundert erkennen. Vielmehr wurde die Entwicklung des preußischen Getreidehandels vor allem durch das Preisniveau und innenpolitische Faktoren bestimmt. Während der störende Einfluss der politischen Konflikte der Jahrhundertmitte auf den Getreidehandel wenig überrascht, stellt der positive Zusammenhang zwischen Preisniveau und Exportzahlen eine wichtige neue Erkenntnis dar, die zeigt, dass in Zukunft die dem Getreidehandel zugrundeliegenden Mechanismen näherer Erforschung bedürfen.

Im Lichte der vorgelegten Ergebnisse kann Link drei bislang vorherrschende Standpunkte - der Getreidehandel habe die Agrarverfassung Osteuropas entscheidend beeinflusst, der Deutsche Orden habe im preußischen Getreidehandel eine zentrale Rolle gespielt und Preußen sei bereits im Mittelalter von großer Bedeutung als "Versorger Westeuropas" gewesen (9-12) - ins rechte Licht rücken. Diesen Thesen ist laut der Verfasserin zu entgegnen, dass vor dem Hintergrund eines unsteten Getreidehandels kaum Anreize für preußische und polnische Adelige bestanden, Leibeigenschaft zu forcieren, und dass also der Getreidehandel keine bedeutende Auswirkungen auf die Agrarverfassung Osteuropas hatte (195). Weiterhin fehlen Belege, die den Deutschen Orden als bedeutenden Getreidelieferanten oder -exporteur ausweisen, womit keine Konkurrenz zwischen Orden und Städten im Getreidehandel bestand und der Getreidehandel auch keine bedeutende Auswirkung auf die innenpolitischen Konflikte Preußens im 15. Jahrhundert hatte. Zwar waren schätzungsweise zwei Drittel des unverarbeiteten Getreides für Westeuropa bestimmt; auch weisen die exportierten Mengen Danzig beziehungsweise Preußen im nordeuropäischen Vergleich als einen bedeutenden Getreideexporteur aus. Jedoch kann die Verfasserin zeigen, dass die Bedeutung von preußischem Getreide für die Versorgung des Westens eher als gering einzuschätzen ist. Diese Erkenntnis bestätigen Forschungsarbeiten zur nordwesteuropäischen Getreideversorgung, die eine überwiegend regionale Versorgung des Westens mit Getreide feststellen.

Indem sie die preußischen mit ausländischen Preisen vergleicht, demonstriert Link, wie sich die preußischen Daten in einem überregionalen Kontext nutzen lassen. Eine komparative Analyse von Preisniveau und Preisfluktuation von nordeuropäischen Getreidepreisen zeigt für Preußen eher niedrige Preise und hohe Preisschwankungen, was auf eine grundsätzlich geringere ökonomische Entwicklung Preußens im Vergleich zu den westlichen und nördlichen Regionen hindeutet. Jedoch stellt die Verfasserin insgesamt fest, dass eine "fortschreitende Ökonomisierung Preußens" (192) im 15. Jahrhundert stattgefunden habe. Betrachte man die preußischen Preise hinsichtlich einer nordeuropäischen Preisintegration, so zeige sich auch für Preußen, dass eine Angleichung von Preisen überwiegend regional stattfand, dass hingegen der überregionale Handel zu unbeständig war, um integrierte Marktpreise zu verursachen.

Viele der vorgelegten Ergebnisse müssen aufgrund der Limitationen des bearbeiteten Materials als vorläufig gelten, sehen sich jedoch in der einbezogenen allgemeinen Forschungsdiskussion zur nordeuropäischen Wirtschaftsgeschichte bestätigt. Die bereitgestellten Daten sollten in Zukunft die Forschung dazu einladen, den hier vorgestellten quantitativen und vergleichenden Ansatz weiter auszubauen, um vor allem überregionale Forschungsergebnisse zur spätmittelalterlichen Wirtschaft gewinnen zu können.

Angela Huang