Rezension über:

Peter Blickle: Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488-1531, München: C.H.Beck 2015, 586 S., 10 Farb-, 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-67501-0, EUR 34,95
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Rezension von:
Horst Carl
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Horst Carl: Rezension von: Peter Blickle: Der Bauernjörg. Feldherr im Bauernkrieg. Georg Truchsess von Waldburg 1488-1531, München: C.H.Beck 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 11 [15.11.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/11/26892.html


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Peter Blickle: Der Bauernjörg

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Als Bauernkriegsforscher ist Peter Blickle seit vier Jahrzehnten eine Institution der deutschsprachigen Frühneuzeitforschung. Darauf, dass es in dessen Historiografie noch Defizite gebe, hat er in seiner knappen Geschichte des Bauernkrieges, die 1998 erschienen ist und in der er seine Forschungen und seine Sicht der Ereignisse noch einmal zusammengefasst hat, selbst ausdrücklich hingewiesen. Es fehle vor allem eine moderne Biografie des Georg Truchsess von Waldburg, der als Feldherr des Schwäbischen Bundes entscheidenden Anteil an der militärischen Niederschlagung der aufständischen Bauern gehabt habe. An den Biografen werden freilich gehobene Ansprüche gestellt: Ein Golo Mann solle es schon sein, zumal in der Familientradition der Waldburger immer wieder Parallelen zu Wallenstein gezogen worden seien. Ein Golo Mann als Biograf aber habe sich noch nicht gefunden, so das damalige ernüchternde Fazit. [1] Und da ein solcher sich auch weiterhin nicht hat finden lassen, hat Peter Blickle diesen Part schließlich selbst übernommen.

Herausgekommen ist eine umfangreiche und gewichtige Monografie, die den Blickleschen Bauernkriegsforschungen noch durchaus neue Seiten hinzufügt. Sie ist nicht zuletzt gut lesbar, weil Blickle sich Mäßigung bei Abstraktion und Theoriebildung auferlegt, was ja durchaus im Sinne des Geschichtserzählers Mann ist. Die spannendere Frage aber ist, wie Blickle es mit jener Kategorie historischer Gerechtigkeit hält, die ebenfalls eine historische Maxime Golo Manns gewesen ist. Bislang hat Blickle sich in seinen Darstellungen vor allem als Anwalt deutscher Untertanen und deren Revolutionsversuches von 1525 präsentiert und wenig Sympathie für die adeligen und fürstlichen Kontrahenten der Bauern erkennen lassen. Adels- und Dynastiegeschichte waren aus dieser Perspektive überholte Sujets. So überrascht es den mit Blickles Ansätzen und Werk einigermaßen vertrauten Beobachter denn doch, dass ausgerechnet er sich nun dem "Bauernjörg" widmet, dem personifizierten, gelegentlich auch perhorreszierten Widerpart der Bauern.

Der erste im Verhältnis knappe Teil der Darstellung entfaltet zunächst den Kontext adeliger Territorialherrschaft über Bauern im spätmittelalterlichen Oberschwaben, wobei Blickle sein Augenmerk vor allem auf die unterschiedlichen Herrschaftsrechte und die Ausgestaltung der Leibeigenschaft richtet. Er bleibt damit auf ihm vertrauten Terrain. Zur Geschichte des Hauses Waldburg erfährt man dagegen nur wenig, der spezifische Zuschnitt dieser Familie im Kontext des oberschwäbischen Adels - etwa in Gestalt des Konnubiums - interessiert ihn erkennbar nicht. Dass solche klassischen Themenfelder der Adelsgeschichte ausgespart bleiben, ist bedauerlich, denn einige der von Blickle dargestellten Karriereschritte, aber auch wichtige Kontexte für Waldburgs Charakterisierung bleiben so unterbelichtet. Die Tatsache etwa, dass die Zeiler Linie erst 1502 bzw. 1507 in den (alten) Freiherrenstand erhoben worden war und sie erst damit "reichs"offiziell dem Hochadel zugerechnet wurde, kennzeichnet sie als Aufsteigerfamilie. Der Makel ministerialischer Herkunft war den anderen oberschwäbischen Familien sehr präsent, wie das bekannte Diktum in der Zimmerischen Chronik, die Truchsessen von Waldburg hätten sich unter die Grafen und Herren gemischt "wie der Mäusdreck unter den Pfeffer", illustriert. Das intensive Bemühen Georgs um die Memoria seiner Familie und um eine konkurrenzfähige adelige Erinnerungskultur dürfte hierin seinen Grund haben. Und völlig unterbelichtet bleibt auch das Verhältnis Georgs zu Wilhelm dem Älteren aus der Trauchburger Linie: Er taucht in Blickles Darstellung zwar immer wieder an Schlüsselstellen der politischen Karriere Georgs auf, doch wird nicht deutlich, wie weit er dem Jüngeren die Wege geebnet hat. Er war langjähriger Rat des Schwäbischen Bundes, mit den Frundsberg verschwägert, trat unmittelbar vor Georg 1520 in habsburgische Dienste und bekleidete dann das Amt des württembergischen Statthalters, in dem ihn Georg Truchsess 1525 ablöste. Dass er schließlich als Obersthofmeister König Ferdinands das wichtigste Amt an dessen Hof bekleidete, hat wesentlich dazu beigetragen, dass Georg 1529 die Landvogtei Oberschwaben erwerben konnte. Nicht zufällig wurden beide Waldburger 1526 von Karl V. mit der Reichserbtruchsessenwürde ausgezeichnet. Gern hätte man schließlich auch etwas mehr über die offenbar unglückliche zweite Ehe des Truchsessen Georg mit einer Gräfin von Oettingen erfahren, denn dazu bietet die Zimmerische Chronik mehr oder weniger süffisant einige Hinweise. Diese für die oberschwäbische Adelsgeschichte reizvolle zeitgenössische Quelle, die zwar stets mit Vorsicht zu verwenden ist, für die inneradelige Kommunikation aber einen hohen Stellenwert besitzt, hat Blickle ohnehin vernachlässigt. Zum Adelshistoriker jedenfalls hat er sich erkennbar nicht gewandelt.

So tritt der Protagonist auch vergleichsweise unvermittelt in seinen ersten Karrierestationen auf, die ihn über den württembergischen und bayerischen Hof schließlich in den Dienst der Habsburger führten. Früh kam er damit an Brennpunkte der süddeutschen Territorial- und Reichspolitik. In württembergischen Diensten wurde er 1514 aus nächster Nähe Zeuge des großen Bauernaufstandes des "Armen Konrad", an dessen Niederwerfung er bereits prominent beteiligt war. Nach seinem Wechsel in bayerische Dienste musste er schließlich 1519 und 1520 im Heer des Schwäbischen Bundes gegen seinen vormaligen Dienstherren Ulrich von Württemberg ziehen, als Leutnant (Stellvertreter) seines bayerischen Dienstherren. Als es zu Differenzen wegen im Dienst erlittener Schäden und Außenstände kam, wechselte er umstandslos in habsburgische Dienste. Diese raschen Dienstwechsel aber als "befremdlich" zu bewerten, wird der Rationalität des Handelns des Truchsessen nicht gerecht. Die genannten Höfe konkurrierten intensiv um ihre oberschwäbische Adelsklientel, und sich nicht auf einen einzigen Dienstherren zu kaprizieren war ein probates Mittel, die eigene Autonomie und entsprechende Freiräume zu behaupten - der Vetter Wilhelm sowie andere oberschwäbische Adelige agierten da nicht anders.

Zu einem Schlüsselereignis in Waldburgs Biografie wurden schließlich die Ermordung seines Schwiegervaters Joachim von Oettingen und die dadurch ausgelöste Absberg-Fehde, die mittlerweile in der Forschung besonders intensiv erforscht ist und geradezu als Paradigma einer späten Adelsfehde gelten darf. Blickle betont zu Recht, dass Waldburg die treibende Kraft hinter dem Engagement des Schwäbischen Bundes gewesen ist, obwohl er selbst dem Bund erst am Vorabend des Bauernkriegs 1524 beitrat. Höhepunkt der Fehde war schließlich 1523 der bekannte Strafzug gegen die Unterstützer Absbergs im fränkischen Niederadel, der als eine der entscheidenden Stationen auf dem Weg der Ausschaltung der Adelsfehden im Reich gilt. Als oberster Feldhauptmann des Bundesheeres legte Waldburg hier die Grundlage seiner militärischen Reputation, auch wenn dieser militärische Spaziergang ihn noch keineswegs in die Liga der etablierten Landknechtsobristen und Söldnerführer wie Frundsberg oder Marx Sittich von Ems führte, die ihren Kriegsruhm auf den europäischen Kriegsschauplätzen erworben hatten. Trotzdem sollte die Absberg-Fehde nicht nur unter der Überschrift "Familiengeschichten" verhandelt werden, wie dies Blickle tut. Es hieße das Bedrohungspotential solcher inneradeligen Auseinandersetzungen zu unterschätzen, weil die Gefahr für einen Adeligen, in solch einer standesinternen Auseinandersetzung sein Leben zu lassen, größer war als von der Hand aufständischer Bauern. Eine solche unmittelbare Bedrohung der eigenen Familie durch Standesgenossen hat Waldburg schließlich auch selbst erfahren müssen, als seine Fehdegegner den eigenen Sohn entführten und als Druckmittel gegen den Vater gebrauchten. Die Auslösung des Sohnes nach sechsjähriger Gefangenschaft hat er selbst nicht mehr erlebt.

Diese persönliche Katastrophe ist Blickle nur eine kurze Erwähnung wert, denn zielstrebig wendet er sich seiner Rolle als Feldherr im Bauernkrieg zu. Dieser Teil bildet mit fast zwei Dritteln des Textes nicht nur quantitativ den Schwerpunkt der Biografie, auch qualitativ bietet Blickle manch Neues. Das gilt weniger für die Passagen zu den allgemeinen Kontexten des Bauernkrieges wie den sozialen Ursachen des Aufstands, der Radikalisierung der Rechtsvorstellungen der Bauern, den Zwölf Artikeln oder der Bedeutung der Leibeigenschaft, in denen er im Wesentlichen seine bekannten Positionen wiederholt oder diese noch zuspitzt. Vielmehr bietet Blickle eine Darstellung des Krieges und seiner Akteure, wie sie in solcher Quellennähe, empirischer Fundierung und struktureller Analyse sicher zum Besten zählt, was aktuell zur Militär- und Kriegsgeschichte am Beginn der Neuzeit auf dem Markt ist. Er beschränkt sich gerade nicht auf eine erzählerische Aneinanderreihung der militärischen Aktionen, sondern schildert detailliert das Funktionieren eines Söldnerheeres, wie es der Truchsess von Waldburg gegen die Bauern ins Feld führte. Die Rolle der Landsknechte und der meist adeligen "Reisigen" wird ebenso präzise und lebendig vorgeführt wie die strukturellen Zwänge von Logistik und Finanzen, denen das Handeln der Verantwortlichen unterworfen war. Mit dem Heer des Schwäbischen Bundes steht Blickle dazu auch ein exemplarisches Modell der Kriegsführung zu Beginn der Neuzeit zur Verfügung, war der Bund doch die bedeutendste Militärmacht der Zeit auf deutschem Boden und sein Heer nach den Maßstäben der Zeit professionell organisiert. Gerade die Quellennähe ist immer eine der Stärken Blickles gewesen, und auch hier kann er sie etwa bei der Interpretation der bislang unbeachteten Feldartikel des Bundesheeres oder der aus den Quellen erhobenen Truppenstärken demonstrieren. Dies gilt auch für die Bezifferung der Kriegskosten. Aufgebracht wurden sie vor allem von den besiegten Untertanen selbst in Gestalt von Brandschatzungen und Strafgeldern. Erwähnt werden sollte freilich auch, dass das Bundesheer 1519 im Krieg gegen Herzog Ulrich - einen Reichsfürsten also - zahlenmäßig stärker als im Bauernkrieg gewesen ist und diese Kriegskosten nur durch den Verkauf des eroberten Territoriums beglichen werden konnten. Und während die im Hegau und im Schwarzwald seit Sommer 1524 um sich greifenden bäuerlichen Unruhen von den Bundesräten lange Zeit unterschätzt wurden und als vorderösterreichisches - also habsburgisches Problem - angesehen wurden, mobilisierte der Bund seine Truppen im Rahmen der allgemeinen Bundeshilfe erst im Februar 1525, als Herzog Ulrich seinen vergeblichen Versuch der Wiedereroberung Württembergs mit eidgenössischen Söldnern startete.

Bei all diesen Entwicklungen stellt Blickle den Truchsessen als treibendes Element dar, der zielstrebig auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Bauern hingearbeitet habe. Die Belege dafür aber sind nicht unbedingt zwingend, denn das Angebot Waldburgs im August 1524, auf eigene Kosten hundert Reiter für Habsburg bereitzuhalten, zielte nicht nur auf die aufrührerischen Bauern, sondern auch auf den Einfall Herzog Ulrichs, der ja auch Waldburgs Feind war. Und dass es schließlich Waldburg selbst gewesen sei, der am 15. Februar den Bauern den Krieg erklärt habe, überzeichnet den persönlichen Anteil des Bauernjörg am Ausbruch des Bauernkriegs denn doch erheblich, zumal wenn Blickle "den eigentlichen Kriegsbeginn" auf diesen Termin festlegt: Dann wäre der Krieg rasch vorüber gewesen - die Mehrzahl der von Waldburg des Landfriedensbruchs und der Empörung beschuldigten Mühlhäuser Untertanen gaben angesichts der scharfen Sanktionsdrohung rasch bei und ergaben sich "in straff des fursten", also Erzherzog Ferdinand als Landesherrn (103).

Doch dahinter steckt bei Blickle ein sachliches Argument: Der Truchsess sei es gewesen, der in einem Mandat erstmals die Untertanen zu Landfriedensbrechern erklärt habe und ihnen die entsprechenden Sanktionen angedroht habe. Kriterium des Landfriedensbruches sei das gemeinsame "Austreten" der Untertanen gewesen. Allerdings fragt man sich, was daran so neu war, denn der kollektive Gehorsamsentzug der Untertanen, der im "Austreten" ja auch räumlich vollzogen wurde, wurde im Schwäbischen Bund seit 1500 als Bruch des Landfriedens qualifiziert, und entsprechende Fälle hatte es bereits gegeben. Und willkürlich handelte der Truchsess deshalb gerade nicht. Fraglich war eher etwas anderes: Mit welcher Perspektive sollte Gewalt gegen landfriedensbrüchige Untertanen angewendet werden?

Auch für Blickle ist die Landfriedenswahrung deshalb der rote Faden der Darstellung - allein schon deshalb ohne Zweifel angemessen, weil der Schwäbische Bund eben zum Zweck der Landfriedenswahrung geschlossen worden ist. An dieser Elle misst Blickle die Niederschlagung des Bauerkriegs und dessen Legitimation, der Bauernjörg wird deshalb auch konsequent als "Landfriedenskrieger" präsentiert. Allerdings ist Blickles Konzept des Landfriedens seltsam einseitig, denn es konzentriert Landfriedenswahrung ganz allein auf die gewaltsame Sanktionierung des Landfriedensbruchs und lässt die rechtliche Seite außen vor. Um gewaltsame Selbsthilfe und Rechtsdurchsetzung zu unterbinden, bedurfte es einer verbindlichen Rechtsinstanz. Immerhin war das Ergebnis des "Ewigen" Reichslandfriedens von 1495 die Schaffung einer zentralen Rechtsinstanz - des Reichskammergerichts - gerade in Landfriedensangelegenheiten, und der Schwäbische Bund verfügte über eine differenzierte Schiedsgerichtsbarkeit. Seit 1500 konnten auch revoltierende Untertanen davor Recht suchen, und solche Untertanenklagen hat es durchaus gegeben. Es waren die Fürsten im Bund, denen dies zu weit ging und die ihre Empörerordnungen ganz aus dem Geist des crimen laesae majestatis zu formulieren suchten wie in Württemberg 1514. Die Versuche, den Untertanen den Zugang zu solchen Rechtsinstanzen zu verwehren - so in der Bundesordnung von 1522 - fruchteten jedoch nicht, wie die massenhaften Eingaben an den Schwäbischen Bund 1525 zeigten.

Vor diesem Hintergrund sei noch einmal darauf verwiesen, dass der Weingartner Vertrag vom 15. April, den der Truchsess in militärisch schwieriger Situation mit den Bauernhaufen am Bodensee schloss, in diese Tradition der Landfriedenswahrung gehört: Gewalt diente wie in der Fehde dazu, die Kontrahenten wieder auf den Rechts- und Vertragsweg zu zwingen. Natürlich findet dies bei Blickle auch weiterhin keine Gnade, weil die Bauern in Weingarten sich auf den Boden der bestehenden Verhältnisse stellten und explizit alle revolutionären Ziele einer Veränderung des Gesellschaftssystems aufgaben. Das Kriterium, diesen Vertrag als "bauernfreundlich" zu charakterisieren, ist deshalb auch nicht, ob man den in Schlachtordnung aufgestellten und mit Landsknechten verstärkten Bauern eine realistische Erfolgschance zubilligt. Wäre dies der Fall, müsste Blickle selbst zu dieser Charakterisierung greifen, denn seine Darstellung und Analyse der Kriegsmacht des Schwäbischen Bundes und dessen Professionalität ist ein einziges Plädoyer für dessen militärische Überlegenheit (siehe sein Fazit 296, 307). Und ob beispielsweise die Landsknechte im Bodenseehaufen wirklich loyal gehandelt hätten, bleibt angesichts der Tatsache, dass viele von ihnen nach Vertragsabschluss kein Problem damit hatten, unter die Fahnen des Truchsessen zu wechseln, fraglich. Das eigentliche Kriterium, den Vertrag im Kontext solcher Schiedsverträge des Bundes als vergleichsweise "bauernfreundlich" zu charakterisieren, ist ein immanentes: Die im Vertrag genannte Schiedsinstanz setzte sich - erstmals im Bund - nur aus städtischen Urteilern zusammen. Von einem solchen Schiedsgericht ohne Adelige waren durchaus Urteile im Sinne der gegen ihre adeligen Herrschaften klagenden Bauern zu erwarten. Als Pointe kommt dies bei Blickle nicht vor. Stattdessen betont er Ratifizierungsprobleme und marginalisiert, anders als noch in seinen früheren Publikationen, die sich an den Weingartener Vertrag anschließenden lokalen Verträge, darunter die des Truchsessen mit seinen eigenen Untertanen. Der Weingartner Vertrag, so das Fazit (188), "hatte keine wirkliche Zukunft". Dies kann man auch ganz anders sehen, wenn man den Bogen von den Untertanen vor den Schiedsinstanzen des Schwäbischen Bundes bis zu den Untertanenprozessen vor den Reichsgerichten schlägt, also zu dem Phänomen, das Winfried Schulze als "Verrechtlichung sozialer Konflikte" im Heiligen Römischen Reich auf den Begriff gebracht hat. Das verrechtlichende Potential von Landfriedenswahrung nimmt Blickle nicht in den Blick, weil dies ja immer auch eine Form der Systemstabilisierung der ständischen Gesellschaft darstellte. Nur im vorgegebenen Rahmen funktionierte solche Verrechtlichung.

Wenn man solche alternativen Wertungen vorschlägt, heißt dies nicht, den Truchsessen zu exkulpieren oder die Grausamkeiten seiner Kriegführung zu unterschlagen. Dafür bieten die furchtbaren Rachespektakel an Melchior Nonnenmacher und Jäcklein Rohrbach, die Hinrichtungen, vor allem aber das gnadenlose Abschlachten der unterlegenen Bauern in den meisten von ihm geschlagenen Schlachten genug Anschauungsmaterial, und Blickle führt dies auch breit aus. Interessanterweise unterschätzt er gelegentlich sogar seine Quellen noch: Die Menschenjagd und das "Zur-Strecke-Bringen" der Flüchtenden war keineswegs nur metaphorisch gemeint (239). Der Truchsess selbst nutzte seine Ortskenntnisse im Schönbuch, um mit den adeligen Reisigen nach der Schlacht bei Böblingen den flüchtenden Bauern den Weg an einer ihm von der Jagd bekannten Lichtung abzuschneiden. Blickle differenziert dabei durchaus, wenn er die zahlreichen Hinrichtungen von Rädelsführern durch den Truchsessen von den in die Hunderte gehenden Hinrichtungen des Bundesprofos Aichelin unterscheidet. Letztere seien nur noch ein dumpfes Abschlachten gewesen. Ob dies nicht auch dahingehend interpretiert werden kann, dass der Truchsess durchaus vielschichtigere Ansichten über das Verhalten gegenüber den aufständischen Bauern als andere Bundesvertreter gehabt hat, bleibt leider eine offene Frage - nicht umsonst setzte ihm der Bundesrat nach Weingarten als Kriegsräte deklarierte Aufpasser an die Seite und entließ ihn im Sommer nach getaner Arbeit so rasch wie möglich aus der Verantwortung.

In den Kapiteln, die sich der Karriere Waldburgs nach dem Bauernkrieg widmen, zeichnet Blickle denn auch ein weitgehend positives Bild der politischen Qualitäten des Truchsessen. Als habsburgischer Statthalter in Württemberg habe er aus der prekären Position noch das Beste gemacht, indem er mit der Landschaft kooperiert und für eine effiziente Verwaltung gesorgt habe. In der Reichspolitik stieg Waldburg zum "Orator", zum Sachwalter habsburgischer Politik auf den Reichstagen auf, und gerade beim entscheidenden Augsburger Reichstag von 1530 war er einer derjenigen, die für einen Ausgleich in der Religionsfrage eintraten. Wenn Blickle Waldburg insgesamt als verantwortungsvollen Reichspolitiker charakterisiert, entgeht ihm allerdings, dass Waldburgs Plädoyer für einen "Anstand" in der Religionsfrage durchaus landfriedenstypische Züge trug: Man sistierte die Konfliktpunkte auf der Basis eines Status quo, um Zeit für eine inhaltliche Beilegung der Streitpunkte zu gewinnen. Da dies schließlich nicht gelang, blieb es bei einem Status quo - die Eidgenossen haben nur ein Jahr später ihre Religionsstreitigkeiten mit den Mitteln des Landfriedens in Kappel dauerhaft sistiert. Waldburg war eben nicht nur "Landfriedenskrieger", sondern auch Landfriedenspolitiker.

Schließlich folgt noch der Gewinn, den Waldburg für sein Haus aus seinen politischen Erfolgen und dem Nimbus des Bauernbezwingers zog. Mit der Verpfändung der Landvogtei Oberschwaben 1529 an Waldburg wurde allen Territorialisierungsversuchen Habsburgs in diesem Raum ein Riegel vorgeschoben, machte Habsburg doch mit Waldburg ein potentielles Opfer dieser Bestrebungen zum Landvogt und damit aus seiner Sicht den Bock zum Gärtner. Die Verdienste und die abzugeltenden Schulden an Waldburg aus dem Bauernkrieg zwangen schließlich zu diesem Bruch in der habsburgischen Oberschwabenpolitik. Und diese Reputationsrendite mochte der Truchsess schließlich auch mit der Erhebung seiner Familie zu Reichserbtruchsessen und der Pfandschaft Zeil zu einem Reichslehen in dauerhafte Statusverbesserungen für sein Haus umzumünzen.

Mit der These, dass der Truchsess in ganz ungewöhnlichem Maße für das Nachleben seiner eigenen Person gesorgt hat, liegt Blickle sicher richtig. Einmal mehr kann er aus den Quellen aufweisen, dass Waldburg schon für die sogenannte Truchsessen-Chronik des Matthäus von Pappenheim in hohem Maße inhaltlich verantwortlich gewesen ist. Vor allem aber führt er den Nachweis, dass die detaillierte Darstellung des Bauernkriegs durch den sogenannten "Schreiber des Truchsessen" eine verkappte Autobiografie ist, mit der sich der Truchsess sehr gezielt die Deutungshoheit über das Kriegsgeschehen zu verschaffen suchte. Ob er sich hier wirklich zum "Retter des Reiches" und zum "größten Feldherr, den das Reich je gesehen hat", stilisieren wollte (415, 425), erscheint eher fraglich. Für die adeligen Standesgenossen, an die der Truchsess in erster Linie als Adressaten gedacht hat, belegten die inflationären Siege gegen die Bauern nur, dass sie gegen einen zweitklassigen militärischen Gegner errungen worden waren. Zum bedeutenden Feldherrn und Söldnerführer vom Format eines Frundsberg qualifizierte dies letztlich nicht.

Die Darstellung schließt mit einem Exkurs in die historiografische Erinnerungskultur an den Truchsessen in den letzten zwei Jahrhunderten. In dem Maße, wie im Gefolge von Aufklärung und Französischer Revolution die aufständischen Bauern zu Freiheitskämpfern umgewertet wurden, verdüsterte sich das Bild des Retters des Reiches immer mehr zum Bauernjörg als Inkarnation des Bauernschlächters. Dass die Bewertung in hohem Maße politischen Konjunkturen folgte, überrascht als Befund nicht - allerdings, dass Blickle diesen Überblick mit einer positiven Reminiszenz an Bernt Engelmanns und Günter Wallraffs 1973 erschienenen, vulgärmarxistisch angehauchten Bestseller "Ihr da oben - wir da unten" beschließt (450). Gerade dieses journalistische Pamphlet, auf dessen Suggestivität als Methode Blickle selbst hinweist, habe den Bauernjörg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Rang eines "lieu de mémoire" erhoben, und zwar mit einer "erfrischenden Wut", mit der sich hier die Gegenwart die Vergangenheit erträglich gemacht habe.

Man könnte dies als zeithistorische Reminiszenz an oberschwäbische Erweckungserlebnisse nach 1968 abtun, deren Faszination mit Blick auf eine so problematische Figur wie Bernt Engelmann heute nicht mehr zeitgemäß erscheint. Aber Blickle selbst bietet in seiner Darstellung immer wieder Beispiele dafür, dass er sich solche Verquickung von "erfrischender Wut" in der Parteinahme für die Bauern und Suggestion zu Lasten der empirischen Befunde wiederholt zu eigen macht. Zwei Beispiele mögen dies belegen: Erheblicher argumentativer Aufwand wird betrieben, um die singuläre Weingartner Tat, bei der die Bauern 16 Adelige durch die Spieße jagten, nicht als bloßen Rache-, sondern als Rechtsakt der Bauern im Einklang mit dem Kriegsrecht zu erweisen (212-220). Aus der Tatsache, dass die Bauern den Tötungsbeschluss in der Gemeinde fassten und mit der Exekution durch die Spieße das Hinrichtungsritual der Landsknechte reproduzierten, schließt er auf einen "zumindest rudimentären oder verkürzten Prozess". Der müsste allerdings schon sehr rudimentär gewesen sein, denn davon, dass wie in der Landsknechtsgemeinde Ankläger und Fürsprecher der Angeklagten agierten, ist in den Quellen ja nicht die Rede. Noch eine weitere argumentative Hürde hat Blickle zu nehmen, denn er konzediert durchaus, dass das Spießrecht der Landsknechte nur gegen Mitglieder der eigenen Gruppe, nicht etwa gegen Kriegsgegner angewendet wurde. Folglich muss eine gemeinsame Gruppenzugehörigkeit konstruiert werden: Ludwig von Helfenstein sei nicht nur als Adeliger, sondern als Obervogt von Amt und Stadt Weinsberg hingerichtet worden, als Teil des genossenschaftlich organisierten Verbandes "Amt". Die Suggestivität der Konstruktion - oder der hochgradig hypothetische Charakter - wird schon sprachlich markiert: "Hätten die Bauern im Vogt jemanden gesehen, der zur Rechtsgemeinschaft und zum Fähnlein des Amtes gehörte, würde sich seine Hinrichtung durch ein Spießgericht erklären [...]" (220) - ein Quellenbeleg dafür wird freilich nicht geboten. Auf welch schwachen Füßen dieses Argument steht, wird nur wenige Seiten später deutlich, denn Blickle bietet gleich mehrere Namenslisten der getöteten Adeligen. Sie belegen, dass die Weinsberger Amtshypothese sich lediglich für Helfenstein anwenden lässt, für die anderen Adeligen nicht - und damit trägt das ganze Argument nicht.

Ein weiteres Beispiel: Zur Schlacht von Wurzach, in der der Truchsess am 14. April 1525 auf die Bauernhaufen seiner eigenen Untertanen traf, schildert Blickle detailliert die unterschiedlichen Opferangaben, doch weiß auch er um die relativ geringen Opferzahlen, weil die Nacht hereinbrach und auf die übliche Verfolgungsjagd mit vielen Opfern verzichtet wurde (171). Weshalb es dann später im Text heißt, dass nur "Wenige im Heiligen Römischen Reich einen höheren Blutzoll gezahlt haben [dürften] als diese [cf. die Untertanen Waldburgs] in der Schlacht bei Wurzach" (330), bleibt unerklärt. Der offensichtliche Widerspruch dürfte nur aufmerksamen Lesern auffallen, es bleibt stattdessen die Suggestion des Bauernjörgs als Schlächter der eigenen Untertanen.

Man tut also gut daran, Blickles Argumentation immer wieder kritisch zu prüfen, wo sie aus der Neigung, Partei für die Bauern und deren Protagonisten zu ergreifen, suggestiv wird; dafür gibt es bei Historikern keine mildernden Umstände. Problematisch wird es jedenfalls immer dort, wo er versucht, eine Biografie des Truchsessen aus der Warte der unterlegenen Bauern zu schreiben. So hat Blickle zweifellos - wie nicht anders zu erwarten - ein zwar bemerkenswertes Buch geschrieben, doch bleibt ein Gesamtfazit zwiespältig. Man kann es mit Blick auf historiografische Referenzautoren auch folgendermaßen auf den Punkt bringen: Etwas mehr Golo Mann und etwas weniger Engelmann hätten dem Buch gutgetan.


Anmerkung:

[1] Peter Blickle: Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes, München 1998, 17.

Horst Carl