Rezension über:

Jan Foitzik (Hg.): Sowjetische Kommandanturen und deutsche Verwaltung in der SBZ und frühen DDR. Dokumente (= Texte und Materialien zur Zeitgeschichte; Bd. 19), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, VI + 632 S., ISBN 978-3-11-037716-3, EUR 74,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Michael C. Bienert
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Michael C. Bienert: Rezension von: Jan Foitzik (Hg.): Sowjetische Kommandanturen und deutsche Verwaltung in der SBZ und frühen DDR. Dokumente, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 11 [15.11.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/11/26597.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Jan Foitzik (Hg.): Sowjetische Kommandanturen und deutsche Verwaltung in der SBZ und frühen DDR

Textgröße: A A A

Die beiden Fragen, welche Rolle die sowjetische Besatzungsmacht beim Aufbau der politischen Strukturen nach 1945 in den von ihr befreiten Gebieten spielte und welchen Einfluss sie auf deren wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nahm, beschäftigen die zeithistorische Forschung seit langer Zeit. War es westlichen Historikern bis 1990/91 praktisch kaum möglich, Einblick in die internen sowjetischen Dokumente zu nehmen, so steht ihnen seit dem Untergang der UdSSR und der damit verbundenen "Archivrevolution" in großen Teilen auch die Aktenüberlieferung der östlichen Siegermacht des Zweiten Weltkrieges zur Verfügung. Die 1990er- und 2000er-Jahre standen daher im Zeichen neuer Forschungen zur Deutschlandpolitik und zur Besatzungspraxis der Sowjetunion. Neben den Darstellungen von Stefan Creuzberger, Jochen Laufer, Norman Naimark, Gerhard Wettig [1] und anderen Autoren wurden gleichfalls mehrere wichtige Quelleneditionen auf den Weg gebracht. Diese gingen in vielen Fällen aus Kooperationsprojekten mit russischen Archiven und Forschungseinrichtungen hervor. [2]

Die hier vorzustellende Publikation stellt sich ebenfalls als das Produkt einer solchen deutsch-russischen Zusammenarbeit dar, denn sie basiert auf einem mehrjährigen Forschungsprojekt, welches das Institut für Zeitgeschichte gemeinsam mit russischen Partnern zur Erschließung, inhaltlichen Auswertung und Veröffentlichung der Unterlagen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) durchgeführt hat. Für die Herausgeberschaft des Bandes zeichnet mit Jan Foitzik einer der besten Kenner der Aktenüberlieferung zur SMAD verantwortlich. Es würde den Rahmen sprengen, an dieser Stelle auf die Zahl der Forschungsbeiträge des langjährigen IfZ-Mitarbeiters zur Geschichte der SMAD einzugehen. Festzuhalten bleibt, dass sich die Organisation und die Tätigkeit der Sowjetischen Militäradministration zum zentralen Sujet seiner Forschungstätigkeit entwickelt haben.

Ausgehend von der Feststellung, dass die Verwaltungsgeschichte der SBZ/DDR in der zeithistorischen Forschung bislang nicht zu den beliebten Sujets gehört habe (7), möchte der Band den im "SMAD-Handbuch" [3] bereits geknüpften Faden aufgreifen und die Kenntnis über die administrative Seite der sowjetischen Herrschaft in Deutschland erweitern. In seiner Einführung geht Jan Foitzik unter anderem auf die unterschiedlichen Interpretationen des Begriffes der "Selbstverwaltung" ein, die sich auf der einen Seite aus der deutschen Verfassungs- und Verwaltungstradition seit dem frühen 19. Jahrhundert, auf der anderen Seite aber aus der sowjetischen Perspektive und derjenigen der SED herleiteten. Foitzik hebt hervor, dass es sich bei dem von den Zeitgenossen gebrauchten und später von der Geschichtswissenschaft der DDR übernommenen Begriff um eine Chimäre gehandelt habe: von nennenswerten eigenständigen Handlungsräumen deutscher Verwaltungsstellen in den Kommunen, Kreisen und den Ländern bzw. Provinzen habe unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzungsherrschaft niemals die Rede sein können. Vielmehr liefert die Edition zahlreiche Belege dafür, dass der Alltag der deutschen Verwaltungsstellen in der SBZ/DDR von dirigistischen Vorgaben, Eingriffen und rigider Kontrolle seitens der Militäradministration geprägt wurde. In Hinblick auf die Auswirkungen der sowjetischen Einflussnahme kommt der Herausgeber zu dem Schluss: "Grundsätzlich wird zwar davon ausgegangen, [...] dass 'Sowjetisierung' intendiert war und auch stattfand. Probleme bereiten jedoch ihre funktonalen und strukturellen Resultate, da sie nicht notwendigerweise den Erwartungen entsprachen." (26) Diese grundsätzlichen Einsichten sind zwar keineswegs neu. Der große Wert des Bandes besteht indes darin, dass mit der Edition ein Werk vorgelegt wird, das die Rahmenbedingungen sowjetischer Militärverwaltung nicht nur erläutert, sondern sie anhand von einschlägigen Quellen auch dokumentiert. Jan Foitzik sieht in dem Band in erster Linie eine Hilfestellung "für regionale, lokale und sektorale Spezialforschung" zur SBZ und frühen DDR (10).

Es wäre allerdings nur die halbe Wahrheit, wenn man dem Band den Charakter einer Quellenedition in der klassischen Bedeutung des Wortes zuschreiben wollte. Vielmehr muss man ihn als eine Mischung aus verschiedenen Formaten verstehen. Der editorische Teil, in dem 82 Dokumente sowie ein ausführlicher Bericht abgedruckt sind - teils wurden diese schon an anderer Stelle veröffentlicht, teils werden sie erstmals in deutscher Sprache vorgelegt -, macht lediglich die Hälfte des Gesamtumfangs aus. Mit der 85 Seiten umfassenden Geschichte der Militärkommandantur des Kreises Zauch-Belzig in Brandenburg, die ebenfalls in dem Band abgedruckt wird, findet sich ein sehr aussagekräftiges Zeugnis, das nicht nur für die Lokalgeschichte von Interesse ist. Die amtliche Darstellung lässt einen exemplarischen Blick auf die sowjetische Selbstwahrnehmung während der administrativen und politischen Neuordnung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu. Hinzu treten zwei umfangreiche Einführungen von Jan Foitzik und Nikita W. Petrow. Sie nehmen mit rund 250 Seiten Umfang fast den Charakter einer eigenen Monografie an. Weiterhin bietet das Buch eine von Sylvia Nagel und Dina N. Nochotowitsch erarbeitete Auflistung der in der SBZ bestehenden Kommandanturen sowie die Namen und, sofern bekannt, die Dienstzeiten ihrer jeweiligen Leiter. Die hilfreiche Übersicht ergänzt die entsprechenden Ausführungen im "SMAD-Handbuch". Aufgrund dieser unterschiedlichen Elemente erscheint es also durchaus zulässig, bei dem vorliegenden Band von einer Mischform aus Quellenedition, Darstellung und Handbuch zu sprechen. Sie bietet den großen Vorteil, dass sie für den Leser konzise und schnell greifbar wesentliche Informationen nebst prägnanten Quellen zum Thema bereithält.

In den Dokumenten, die Aufnahme in den Band gefunden haben, spiegeln sich zahlreiche Facetten der sowjetischen Verwaltungspraxis in der SBZ/DDR wider. In den ersten Befehlen, Anordnungen und Denkschriften aus dem Frühjahr 1945 geht es vor allem darum, dem Militärapparat Richtlinien für den Umgang mit den Deutschen sowie für die Bildung und die "Anleitung" neuer deutscher Verwaltungsstellen auf lokaler Ebene mitzuteilen. Später treten dann andere Themen wie etwa die Entnazifizierung in den Behörden, die Arbeit der Verwaltungen, der Landesregierungen und Parlamente sowie die Kultur- und Bildungspolitik in den Vordergrund. Zugleich finden sich Quellen, die sich der inneren Entwicklung der SMAD und ihrer Landesgliederungen widmen. Der zeitliche Schwerpunkt der Dokumente ist in die Jahre 1945 bis 1948 zu verorten. Ein besonderes Augenmerk legt Foitzik bei der Auswahl darauf, die große Diskrepanz zwischen dem nach außen hin gewahrten Schein der deutschen "Selbstverwaltung" einerseits und der Realität der Kontrolle durch die Besatzungsmacht andererseits aufzuzeigen. Es finden sich mehrere Dokumente, die die internen Versuche der Militäradministration belegen, genau diese Einflussnahme zu kaschieren.

Das Bestreben, möglichst umfassende Informationen zur sowjetischen Besatzungsverwaltung in dem Band zusammenzutragen, kommt nicht zuletzt in einem umfangreichen Anmerkungsapparat zum Tragen. Gerade in Foitziks Einführung nimmt dieser bisweilen Züge einer parallelen Darstellung an. Überhaupt muss man feststellen, dass einem die Lektüre in Teilen nicht ganz leicht gemacht wird: Die Dichte an Fakten und Verweisen wirkt bisweilen erdrückend, und sie verlangt dem Leser ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration ab. Ein wohlgefälliger Textfluss sieht sicherlich anders aus. Er mag aber auch gar nicht als Zielsetzung im Raum gestanden haben, denn anders wäre es kaum möglich gewesen, eine solche beeindruckende Fülle an Informationen zur sowjetischen Besatzungsverwaltung nebst den entsprechenden Nachweisen auf einer noch handhabbaren Zahl an Druckseiten unterzubringen. Das große Verdienst des Herausgebers und seiner Mitstreiter ist es, einen wissenschaftlich überaus fundierten Leitfaden zur Struktur und Tätigkeit der SMAD in Deutschland vorgelegt zu haben. Für die künftige Forschung zur SBZ und frühen DDR wird sich der Band als ein unverzichtbarer und sehr wertvoller Begleiter erweisen.


Anmerkungen:

[1] Stefan Creuzberger: Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 3), Weimar u.a. 1996; Jochen Laufer: Pax Sovietica. Stalin, die Westmächte und die deutsche Frage 1941-1945 (= Zeithistorische Studien; Bd. 46), Köln u.a. 2009; Norman M. Naimark: Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945-1949, Berlin 1997; Gerhard Wettig: Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschlandpolitik 1945-1955, München 1999.

[2] Vgl. hierzu ausführlich die Projektberichte von Jan Foitzik / Kai von Jena / Alexander von Plato / Jochen Laufer, in: Detlev Brunner / Elke Scherstjanoi (Hgg.): Moskaus Spuren in Ostdeutschland 1945 bis 1949. Aktenerschließung und Forschungspläne (= Zeitgeschichte im Gespräch; Bd. 22), Berlin u.a. 2015, 41-73.

[3] Horst Möller / Alexandr O. Tschubarjan (Hgg.): SMAD-Handbuch. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland 1945-1949, München 2009.

Michael C. Bienert