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Christine Bach: Bürgersinn und Unternehmergeist. Stifter und Stiftungen in Hamburg nach 1945, Baden-Baden: NOMOS 2014, 227 S., ISBN 978-3-8329-7915-7, EUR 44,00
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Rezension von:
Thomas Adam
The University of Texas at Arlington
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Thomas Adam: Rezension von: Christine Bach: Bürgersinn und Unternehmergeist. Stifter und Stiftungen in Hamburg nach 1945, Baden-Baden: NOMOS 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/26523.html


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Christine Bach: Bürgersinn und Unternehmergeist

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Christine Bach legt mit diesem Buch die erste fundierte Fallstudie vor, die sich ausschließlich mit der Geschichte des Stiftens in der Bundesrepublik beschäftigt. Damit unterscheidet sich das hier zu besprechende Buch deutlich von älteren Arbeiten wie etwa den Studien von Andreas Hansert über den Städelschen Museums-Verein und Dieter P. Herrmann über die privaten Hochschulfördervereine, die eine spezifische Organisation bzw. Organisationsform des Stiftens herausgreifen und deren Entwicklung dann über nahezu ein Jahrhundert nachverfolgen. [1] Im Gegensatz dazu konzentriert sich Bach auf das Stiften in der Stadt Hamburg, die im Wilhelminischen Kaiserreich neben Frankfurt am Main und Leipzig als eine der stiftungsreichsten Bürgerstädte galt. Michael Werner verweist in seiner Arbeit zum Stiftungswesen in Hamburg von 1871 bis 1945 darauf, dass allein die sozialen Stiftungen der Stadt im Jahre 1913 "fast drei Millionen Mark an Barleistungen, in Naturalien und für Erziehungszwecke" ausgaben. [2]

Die Autorin betritt mit ihrer Arbeit Neuland in der historischen Stiftungsforschung. Die Mehrzahl der Historiker, die sich in den letzten drei Jahrzehnten mit der Geschichte des Stiftens beschäftigt haben, konzentrierten sich vor allem auf das neunzehnte Jahrhundert, das als die Blütezeit des deutschen Stiftungswesens erkannt wurde. Die Zeit von der Weimarer Republik bis zur deutschen Vereinigung betrachteten viele Studien lediglich als Anhang, gekennzeichnet durch den Niedergang des Stiftungswesens. Inflation, wirtschaftliche Krisen, Diktaturen und die Ausweitung des Sozialstaates - so die gängige (aber nichtsdestotrotz fragwürdige) Interpretation - ließen kaum Raum für zivilgesellschaftliches Engagement und zerstörten die Grundvoraussetzungen des Stiftens - privaten Wohlstand und soziale Ungleichheit. Derartige Interpretationen verfestigten bereits vorhandene Denkmuster, in denen Stiften zu einem vormodernen und elitären Verhaltensmuster stilisiert wurde, für das es in einem modernen, auf sozialen Ausgleich ausgerichteten sozialstaatlichen Gemeinwesen keinen Bedarf mehr gäbe.

Bereits Michael Werner hat aber nachgewiesen, dass Inflation und Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre keineswegs das Ende des Stiftens in Deutschland bedeuteten. Auch nach 1923 und insbesondere nach 1928 wurden in Hamburg - und nicht nur in dieser Stadt - Stiftungen errichtet. [3] Eine statistische Auswertung der Erfassung von Stiftungen in der DDR aus dem Jahre 1953 ergab zudem, dass etwa 25 Prozent aller zu diesem Zeitpunkt in der DDR existierenden Stiftungen im Zeitraum von 1919 bis 1945 begründet worden waren. [4] Die Praxis des Stiftens mag sich vor allem in den 1930er Jahren auf Firmenstiftungen verschoben haben, die Tradition des Stiftens lebte jedoch fort.

Bachs Buch knüpft an die von Werner vorgelegte Studie an und versucht, den Stellenwert gemeinnütziger Stiftungen vor allem im kulturellen Bereich der Hansestadt zu bestimmen. Die Autorin tut gut daran, für ihre Studie einen weiten Stiftungsbegriff zu wählen, der sich nicht nur auf die Errichtung einer Stiftung durch eine Einzelperson bezieht, sondern auch die Mitgliedschaft in Fördervereinen einschließt. Es waren gerade diese kollektiven Formen des Stiftens, die wie zum Beispiel im Falle des Wiederaufbaus der Hamburger Staatsoper, das stifterische Engagement der Hamburger Bürger in den 1950er und 1960er Jahren prägten. Sie waren bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil des deutschen Stiftungswesens und verschafften vor allem Museen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen wie Gymnasien, Hochschulen und auch der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eine Existenzgrundlage, aber sie waren eben auch elitäre Zusammenschlüsse mit sehr hohen Mitgliedsbeiträgen, die sich lediglich äußerst wohlhabende Bürger leisten konnten. [5] Nach 1945 wurden derartige Fördervereine wiederentdeckt. Sie konstituierten sich aber nun nicht mehr als exklusive Klubs für Reiche, sondern als Vereine, die für alle arbeitenden Bürger offenstanden. [6]

Diese sozial inklusive Form des Stiftens fand Unterstützung innerhalb der SPD, die dem Stiftungswesen bis dahin aufgrund seines elitären Charakters ablehnend gegenübergestanden hatte. Vor allem Max Brauer, SPD-Mann und Erster Bürgermeister der Stadt, wollte in die Finanzierung des Wiederaufbaus des Opernhauses "sämtliche Bevölkerungskreise" einbeziehen. Brauer war, wie Bach betont, davon überzeugt, dass "die Kunstform Oper [...] im demokratischen Staat keine Angelegenheit einer exklusiven gesellschaftlichen Schicht sein [dürfe], sondern eine Angelegenheit der 'breiten Masse'." (88) Der Erste Bürgermeister war sich jedoch auch sicher, dass die Mehrzahl der Hamburger nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen verfügten, um den Großteil der benötigten Gelder aufzubringen. Daher sah Brauer von Anfang an die Hamburger Unternehmen in der Pflicht. Hier eröffnet sich ein interessantes Zusammenspiel von Spenden, Stiften und Sponsering, das eine umfassendere theoretische Diskussion verdient hätte. Die Autorin greift diese Fäden leider nicht auf.

Die enge Verbindung von Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen durchzieht dieses Buch wie ein roter Faden. Dies kann auch kaum verwundern, da Hamburg mit Hermann F. und Philipp Reemtsma, Alfred Toepfer und Kurt A. Körber herausragende Unternehmer-Stifter hervorbrachte, die weit über Hamburg hinaus Bekanntheit erlangten. Ihre Stiftungen fanden bundesweite Beachtung. Stiftungen, die als Eigentümerinnen von Unternehmen gegründet wurden, hatten in Deutschland eine lange Tradition, die mit der Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung (1889) und der Zeppelin-Stiftung (1909) einsetzte. Derartige Stiftungen waren anfänglich auch kein spezifisch deutsches Phänomen, wie die Gründung der W. K. Kellogg Stiftung (1930) und der Ford Stiftung (1936) in den USA zeigte. Im Gegensatz zur Bundesrepublik entwickelte sich in den USA jedoch in den 1950er Jahren vor allem aus Furcht vor Steuervermeidung seitens der Vermögenden und der Kontrolle der Volkswirtschaft durch die "tote Hand" gewaltiger Widerstand gegen derartige Stiftungsgründungen, der letztlich dazu führte, dass dieser Form von Unternehmensstiftungen in den USA auf dem Weg der Steuergesetzgebung der Boden entzogen wurde. Es ist erstaunlich, dass sich in der Bundesrepublik diese Form der Stiftung in den 1950er Jahren etablieren konnte und dass sich gegen diese Verbindung von Stiftungen und Unternehmen kein gesellschaftlicher und politischer Widerstand formierte. Für Bach symbolisierte diese Entwicklung eine "Versachlichung oder Ent-Idealisierung des Stiftungsbegriffs." (188) Die gesellschaftliche Akzeptanz einer Übertragung von Unternehmen auf Stiftungen, die so vor 1945 nicht existierte, mag der Popularität von Konzepten der Sozialisierung der Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland geschuldet gewesen sein. [7]

Gerade hier zeigt sich eine wohl doch zu unkritische Herangehensweise der Autorin, die Entwicklungen wie die Etablierung der Unternehmensstiftung zwar beschreibt, aber eben nicht ausreichend analysiert. Ähnliches lässt sich auch für die Darstellung des Schicksals der vor 1945 gegründeten Stiftungen ausmachen. Bach verweist zwar darauf, dass aufgrund unzureichender Kapitalsubstanz 134 wohltätige Stiftungen in den Jahren von 1948 bis 1955 aufgelöst oder zusammengelegt wurden. Der Stadtverwaltung mochte eine solche Konzentration als Wiederbelebung von funktionsuntüchtigen Stiftungen sowie Rationalisierung des Stiftungswesens durchaus als sinnvoll erschienen sein. Dies ist indes die gebundene Perspektive der Stadtverwaltung, sicherlich aber nicht die der Stifter oder deren Nachkommen. Die 1950er und 1960er Jahre waren durch massive Eingriffe in das Stiftungswesen gekennzeichnet, in deren Folge Stiftungen enteignet und zerstört wurden. Bachs Studie blendet diese Konflikte durchweg aus und vergibt damit die Chance, das Spannungsverhältnis zwischen Stiftungen und Politik in einer staatsorientierten Gesellschaft auszuloten. Von diesen Schwächen abgesehen, gebührt Christine Bach das Verdienst, die Stiftungsforschung erfolgreich in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gebracht zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass diese Pionierstudie weitere Autoren inspirieren wird.


Anmerkungen:

[1] Andreas Hansert: Geschichte des Städelschen Museums-Vereins Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1994; Dieter P. Herrmann: Freunde und Förderer. Ein Beitrag zur Geschichte der privaten Hochschul- und Wissenschaftsförderung in Deutschland, Bonn 1990.

[2] Michael Werner: Stiftungsstadt und Bürgertum. Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus, München 2011, 173.

[3] Siehe hierzu die Kapitel II und III in Werner: Stiftungsstadt und Bürgertum.

[4] Thomas Adam / Gabriele Lingelbach: The Place of Foundations and Endowments in German History: A Historical-Statistical Approach, in: Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly, Band 44 Heft 2 (2015), 239-241.

[5] Woldemar von Seidlitz: Museumsvereine, in: Museumskunde 9 (1913), 36-43.

[6] Hansert: Geschichte des Städelschen Museums-Vereins Frankfurt am Main, 111-118.

[7] Rupert Graf Strachwitz Strachwitz: Stiftungen nach der Stunde Null. Die Entwicklung des Stiftungswesens in Westdeutschland nach 1945, in: Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), 112-114.

Thomas Adam