Rezension über:

Veit Straßner (Hg.): Filme im Politikunterricht. Wie man Filme professionell aufbereitet, das filmanalytische Potenzial entdeckt und Lernprozesse anregt - mit zehn Beispielen., Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2013, 351 S., 1 CD-Rom, ISBN 978-3-8997-4846-8, EUR 35,50
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Rezension von:
Oliver Näpel
Institut für Didaktik der Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Näpel: Rezension von: Veit Straßner (Hg.): Filme im Politikunterricht. Wie man Filme professionell aufbereitet, das filmanalytische Potenzial entdeckt und Lernprozesse anregt - mit zehn Beispielen., Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 4 [15.04.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/04/25240.html


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Veit Straßner (Hg.): Filme im Politikunterricht

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Medienkompetenz, verstanden als Fähigkeit und Bereitschaft, Medien kritisch-konstruktiv zu nutzen, zu hinterfragen und mitzugestalten, ist unbestrittenes Ziel heutigen schulischen Lernens. Sie bedarf gerade in unserer multimedialen Spaß- und Informationsgesellschaft keiner weiteren Begründung. Entsprechend findet die Auseinandersetzung mit der Medienwelt selbstverständlich in den Fächern der historisch-politischen Bildung statt.

Umso überraschender ist der im Vorwort des Herausgebers Veit Strassner - zu Recht - festgestellte Mangel einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Medium Film aus politikdidaktischer Sicht (6, dort auch Literaturverweise zu den wenigen Publikationen). Der im Wochenschau-Verlag erschienene Sammelband möchte diesem Desiderat begegnen, indem die Potenziale eines reflektierten Einsatzes von Filmen im Politikunterricht aufgezeigt werden. Hierfür gliedert sich der Band in einen theoretisch-einleitenden Teil, in dem didaktisch-methodische Überlegungen zum Filmeinsatz im Politikunterricht allgemein umrissen und dann in einer Art Praxisleitfaden für den Unterricht handhabbar gemacht werden sollen.

Im zweiten Teile folgen zehn Beiträge, die jeweils ein Filmbeispiel in den Mittelpunkt rücken. Sie fokussieren dem Anspruch nach zentrale Inhalte des Politikunterrichts und werden durch eine CD begleitet, auf der sich zu den Beiträgen weitere Hintergrundinformationen, Szenen- und Kapitelprotokolle, Arbeitsblätter und Materialen wie Interviews mit Produzenten und Regisseuren oder Rezensionen befinden. Die Filme selbst werden - wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen - nicht mitgeliefert.

Veit Straßner führt in seinem einleitenden Beitrag allgemein in den Filmeinsatz im Politikunterricht ein, indem die Relevanz audiovisueller Medien für den Alltag von Kindern- und Jugendlichen unter anderem aus den bekannten Studien abgeleitet wird. Dass diese Zielgruppe in ihrer Mediennutzung in aller Regel allerdings keine historisch-politischen Angebote wahrnimmt, hätte hier durchaus kritisch reflektiert werden können. (14f.) Seine methodischen Überlegungen, die sich auf die unterschiedlichen Herausforderungen schulischen Umgangs mit Film beziehen und unterrichtsorganisatorische Aspekte genauso in den Blick nehmen wie "Mikromethoden der Filmarbeit" (ab 26) nennen insgesamt wenig Neues, bieten aber eine hilfreiche Systematisierung und können daher den weniger mit Filmeinsatz vertrauten Lehrerinnen und Lehrern (oder auch Referendarinnen und Referendaren) Unterstützung und Einführung bieten.

Der anschließende "Praxisleitfaden" (Peter W. Schulz, Veit Straßner) wird folgerichtig unterrichtspragmatisch konkreter. Hier werden nicht nur Kategorienraster mit zugehörigen Leitfragen zu unterschiedlichen Unterrichtsschwerpunkten (Beobachten, Urteilen, Handeln, 35ff.) ausdifferenziert, sondern es wird auch eine knappe Einführung in konkrete Grundkategorien der Filmanalyse, inklusive filmsprachlicher Mittel angeboten. Eine Inkonsistenz des Beitrags besteht darin, dass die begrüßenswerte Erläuterung einzelner Stilmittel nur im Unterkapitel "Wertung durch filmische Mittel" an konkreten Filmbeispielen erfolgt (Michael Moores "Fahrenheit 9/11", 50f.), nicht aber für die vorherigen Ausführungen zur Filmsprache.

Die ausgewählten zehn Filmbeispiele spannen einen weiten Bogen: Angefangen vom Deutschen Herbst (zwei Beiträge) über kritische Filme zum Kapitalismus bzw. den Nachteilen der Globalisierung (drei Beiträge) über medienkritische Themen (drei Beiträge) bis hin zur filmischen Verarbeitungen zu den Schwierigkeiten der internationalen Durchsetzung der Menschenrechte (zwei Beiträge).

Der konkrete Bezug zu den Richtlinien und Lehrplänen scheint nicht immer ganz einleuchtend. So würde der Verfasser die Beiträge zum Deutschen Herbst oder das kriegerische 20. Jahrhundert eher im Geschichts- als im Politikunterricht verorten, zumal es sich um ausgedehnte Sequenzen handeln soll (14 Unterrichtsstunden exklusiv Filmsichtung zum "BaaderMeinhoffKomplex"). Und ob nicht auch das Scheitern der Vereinten Nationen beim Völkermord in Ruanda 1994 schon 'Geschichte' ist, ließe sich diskutieren.

Es lassen sich zwar auch Lernziele in der Auseinandersetzung mit diesen Beispielen finden, die genuin dem Politikunterricht zuzuordnen sind, aber für eine erschöpfende Behandlung dieser Ereignisse (als Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit der filmischen Konstruktion / Beurteilung dieser Ereignisse) sind in der Regel so weitreichende historische Kenntnisse notwendig, dass der Politikunterricht hier an seine (inhaltlichen) Grenzen stößt. Gleichwohl bleibt es natürlich die Möglichkeit von Lehrenden, sich entsprechende Freiräume jenseits der Obligatorik zu schaffen, um diese lehrplantechnisch abseitigen, gleichwohl politisch-historisch interessanten und lehrreichen Themen auch im Politikunterricht aufzugreifen.

Vergleicht man die in der Einleitung und im Praxisleitfaden erörterten Potenziale und Möglichkeiten des Umgangs mit Film, fallen einige Probleme auf. Die vorgeschlagenen Unterrichtsreihen sind nur ansatzweise flexibel gehalten, da nicht alle Beiträger entsprechende Kürzungsmöglichkeiten von Film und Reihe angeben. Der Einsatz von Filmen beschränkt sich manches Mal weitgehend darauf, Gesprächsanlässe zu liefern, filmsprachliche Analysen treten demgegenüber in den Hintergrund.

Es wäre ebenfalls hilfreich gewesen, wenn nicht nur Arbeitsanregungen und eher unkonkrete allgemeine Angaben zu ihrer Lösung geliefert würden, sondern wenn klare Erwartungshorizonte formuliert und vor allem auch Hilfestellungen für Ergebnissicherungen (Tafelbilder, Lösungsblätter, vorgefertigte Lösungsfolien) bereit gestellt würden.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass für eine erschöpfende Beurteilung der 'filmischen Realität' häufig nicht genügend Hintergrundinformationen geliefert werden. Es reicht für das Anbahnen eines kritischen Urteils nicht, nur aus Filmkritiken die Gegenpositionen abzuleiten. Schülerinnen und Schüler wollen immer auch wissen, wer 'Recht hat'. Hierfür fehlt das 'Wissen', um den 'Wahrheitsgehalt' von Film und Kritik überprüfen oder nachvollziehen zu können. So können sie sich nur auf Grund der von ihnen wahrgenommenen Plausibilität einer Meinung anschließen. Hier bleibt dann zu bedenken, ob der audio-visuell vermittelte Eindruck nicht wirkmächtiger bleibt als die folgende verbale, teilweise nur oberflächliche Problematisierung.

Die Beiträge bewegen sich zwischen Film als Gesprächsanlass, als Informationsmedium und als zu dekonstruierende politische Polemik. Anregungen zur eigenen, kreativen Filmgestaltung finden sich nicht. Die Umsetzbarkeit der einzelnen Reihen bzw. Stunden sind zudem bekanntermaßen von vielen, lokal sehr unterschiedlichen Faktoren abhängig. Die Beiträge und Vorschläge können hier daher nicht auf ihre realistische Praktikabilität beurteilt werden.

Der Band liefert insgesamt eine Fülle guter Anregungen, Filme im Politikunterricht einzusetzen. Auf Grund der didaktisch insgesamt enttäuschenden Begleit-CD, vor allem aber wegen des Fehlens von klaren Erwartungshorizonten bzw. konkreten Sicherungsvorschlägen und wegen der teilweise nur vagen Bezugnahme auf Richtlinien und Lehrpläne und der zu unflexiblen Vorgabe von Reihenvorschlägen, kann (und will?) dieser Band die Arbeit der konkreten Unterrichtsvorbereitung und -durchführung nicht ersetzen. Routinierten Lehrpersonen mögen diese Anregungen reichen, Berufsanfänger hätte man hier doch deutlicher unterstützen dürfen. So bleibt es bei den Anregungen, die dann ganz individuell aufgegriffen und den eigenen Vorstellungen bzw. Rahmenbedingungen angepasst werden müssen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Anregend ist die Lektüre allemal und angesichts weitgehend fehlender Auseinandersetzungen mit Film im Politikunterricht ist sie begrüßenswert.

Abschließend noch eine Anregung an den Verlag: Es wäre sicher sinnvoll, wenn auf seiner Internetseite Lehrenden die Möglichkeit gegeben würde, ihre Erfahrungen mit den Unterrichtsvorschlägen mitzuteilen und auszutauschen. Letztlich erhebt die Publikation den Anspruch, für die konkrete Unterrichtspraxis tauglich zu sein - wieso nicht den Erfahrungen der Lehrenden mehr Aufmerksamkeit widmen?

Oliver Näpel