Rezension über:

Andrew Pettinger: The Republic in Danger. Drusus Libo and the Succession of Tiberius, Oxford: Oxford University Press 2012, X + 270 S., ISBN 978-0-19-960174-5, EUR 55,00
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Rezension von:
Babett Edelmann-Singer
Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Tassilo Schmitt
Empfohlene Zitierweise:
Babett Edelmann-Singer: Rezension von: Andrew Pettinger: The Republic in Danger. Drusus Libo and the Succession of Tiberius, Oxford: Oxford University Press 2012, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 3 [15.03.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/03/25072.html


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Andrew Pettinger: The Republic in Danger

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Pettinger rückt den Machtwechsel von Augustus auf Tiberius durch eine detaillierte Interpretation der politischen Ereignisse in Rom in den Jahren zwischen 4 und 16 n.Chr. in eine neue Perspektive: Anders als die Quellen es berichten - und die Mehrheit der modernen Forschung es übernommen hat [1] -, sieht Pettinger die Herrschaft des Tiberius als ein äußerst fragiles Konstrukt, das ernsthafte Herausforderungen zu bestehen hatte. Damit stellt sich der Autor in eine Reihe mit weiteren Publikationen neueren Datums, die der vorherrschenden Meinung widersprechen, das staatsmännische Genie des Augustus habe ein von den Zeitgenossen weitgehend akzeptiertes, de facto monarchisches Herrschaftsmodell erschaffen. [2] Pettinger rückt die Rolle des Senats als politisches, nicht allein soziales Gegengewicht zum Prinzeps neu in den Fokus. [3]

Als Ausgangspunkt seiner Untersuchung wählt Pettinger geschickt den Fall des M. Scribonius Drusus Libo aus dem Jahr 16 n.Chr. (Kap. 1 und 2). Tacitus zufolge handelte es sich bei Drusus Libo um einen "unbedachten und leerem Geschwätz leicht zugänglichen jungen Mann" (Tac. ann. 2, 27), dessen Verfolgung er als Zeichen der Verderbtheit des Senats und der Auswüchse des Denunziantentums wertet. Dagegen stellt Pettinger in einer überzeugenden Diskussion der bei Tacitus, Sueton und Seneca überlieferten Einzelheiten des Falles die These auf, es habe sich bei den Ereignissen sehr wohl um ein ernst zu nehmendes Komplott gegen die Herrschaft des Tiberius gehandelt, das nach seiner Aufdeckung wohl auf der Basis der lex de maiestate im Senat verhandelt wurde. M. Scribonius Drusus Libo vereinte in seiner Person zu viele Aspekte, die eine Bedrohung für Tiberius darstellten: familiäre Herkunft (geborener Scribonius, adoptierter Livius, mit Beinamen Drusus, verwandt mit Pompeius Magnus und Scribonia), Reichtum und sich daraus ableitend offensichtliche politische Ambitionen. Durchaus glaubhaft machen dies beispielsweise die Weigerungen aller Beteiligten im Jahr 16 n.Chr., Drusus Libo zu verteidigen, oder die nach seinem Selbstmord erfolgte damnatio memoriae, die öffentlichen Dankopfer nach seinem Tod (vor allem an die Göttin Concordia) sowie das Verbot der weiteren Verwendung des Cognomens Drusus in der Familie der Scribonii. Der Fall des Drusus Libo offenbart folglich im Sinne Egon Flaigs ernsthafte Akzeptanzprobleme des neuen Princeps in römischen Senatskreisen. [4]

Darauf aufbauend bemüht sich Pettinger nun, diesen von Drusus Libo angezettelten Putschversuch in einen größeren Kontext einzuordnen. Zunächst bringt er ihn in Zusammenhang mit der gleichzeitig ablaufenden Affäre um den Sklaven Clemens, der als Pseudo-Agrippa die Herrschaft des Tiberius herausforderte und eine große Anhängerschaft hinter sich bringen konnte. Daran knüpft sich die These, die Anhänger des Pseudo-Agrippa und des Drusus Libo stammten aus eben jenen Kreisen im Senat, die schon Agrippa Postumus unterstützt hatten und deren Gegnerschaft zu Tiberius sich bereits auf die Zeit vor dessen Adoption 4 n.Chr. zurückführen lasse. Um sie zu untermauern, gibt Pettinger in den folgenden Kapiteln des Buches (Ka. 3-12) detaillierte Einsichten in die politischen Entwicklungen und Verwicklungen der Jahre 4/6 bis 16 n.Chr.

Dabei beginnt er mit dem Tod des Gaius Caesar 4 n.Chr. und der Umorientierung jener Kreise, die diesen jungen Mann gegenüber Tiberius favorisiert hatten, zugunsten seines Bruders Agrippa Postumus (Kap. 3). Familiäre Position, politische Rolle und potentielle Herrschaftsfähigkeit des Agrippa Postumus sind für Pettinger Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation. Die Adoption des Agrippa durch Augustus stellt für den Autor einerseits den Versuch dar, diesen jungen Mann durch die Unterwerfung unter seine patria potestas zu kontrollieren. Andererseits präsentierte Augustus damit jenen Kräften, die die verbannte Julia und ihre verstorbenen Söhne unterstützten, eine neue Hoffnung. In den folgenden Kapiteln (Kap. 4-8) behandelt Pettinger den systematischen Ausschluss des Agrippa von der Macht und bringt dies überzeugend in Zusammenhang mit anderen kritischen Momenten in den letzten Regierungsjahren des Augustus. Gleichzeitig wird die Konzentration auf Tiberius als Mitregenten und seine ambivalente Position im Herrschaftsgefüge des Augustus verdeutlicht. In Kap. 9 diskutiert Pettinger dann vor dem Hintergrund der innenpolitischen Spannungen einmal mehr die vielfach in der Forschung behandelte Frage, warum Tiberius zögerte, als ihm der Senat die Herrschaft antrug. [5] Für ihn sind weder die Haltung des Germanicus noch der Aufstand der Legionen in Germanien ausschlaggebend. Vielmehr sieht Pettinger in der senatorischen Opposition jener früheren Anhänger des Gaius Caesar und des gerade ermordeten Agrippa Postumus, die nun Drusus Libo unterstützten, einen zentralen Grund für das Verhalten des Tiberius. Die Verfolgung des Drusus Libo im Jahr 16 n.Chr. hat im September des Jahres 14 n.Chr. ihren Ursprung.

Eine neue Erklärung liefert der Autor für den Tod des Agrippa Postumus. Die Frage danach, ob nun Augustus, Tiberius oder Livia den Befehl gaben, ihn ermorden zu lassen, beantwortet er mit einem klaren "keiner der Dreien". Er hält Sallustius Crispus, den engsten Vertrauten des Augustus, für den Auftraggeber des Mordes.

Am Ende werden die weit gesponnenen Fäden der Argumentation wieder zusammengeführt, indem Pettinger eine Verbindung zwischen der Opposition um Drusus Libo und der Bewegung des Clemens / Pseudo-Agrippa herstellt. Hier sieht er eine anti-tiberische Opposition am Werk, die nichts Geringeres anstrebte, als die alte Republik wieder herzustellen.

Pettingers These liefert sicherlich einen neuen Blick auf die Ereignisse zwischen 4 und 16 n.Chr., auch wenn man ihm nicht immer bis ins letzte Detail folgen kann. Oftmals bleibt zu vieles Spekulation oder ließe sich auch anders erklären. Den Tod des Agrippa Postumus etwa gänzlich außerhalb der Verantwortung des Augustus, des Tiberius und der Livia anzusiedeln, überzeugt nicht.

Die Lektüre des Buches ist dennoch ein intellektueller Gewinn. Insbesondere die Argumentation eng an den Quellen, die immer im Original und in Übersetzung im Text zitiert werden, erscheint gelungen. Die Appendices am Ende, insbesondere jener zur Prosopographie des M. Scribonius Drusus Libo, sind hilfreiche Ergänzungen. Pettinger ist es durchaus gelungen, eine neue These in dem vielfach bearbeiteten Feld des ersten Machtwechsels im Prinzipat aufzustellen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. u.a. B. Levick: Tiberius the Politician, London, New York 21999; D. Shotter: Tiberius Caesar, London 22004.

[2] Vgl. u.a. die Beiträge in A.G.G. Gibson (ed.): The Julio-Claudian Succession: Reality and Perception of the 'Augustan Model', Leiden et al. 2013.

[3] Vgl. A. Winterling: Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur Wiederaufnahme der Diskussion, in: Wilfried Nippel / Bernd Seidensticker (Hgg.): Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim et al. 2005, 177-198.

[4] Vgl. E. Flaig: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich. Frankfurt et al. 1992.

[5] Vgl. dazu die generelle Debatte bei U. Huttner: Recusatio Imperii. Ein politisches Ritual zwischen Ethik und Taktik, Hildesheim et al. 2004.

Babett Edelmann-Singer