Rezension über:

Thomas Frank: Heilsame Wortgefechte. Reformen europäischer Hospitäler vom 14. bis 16. Jahrhundert (= Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; Bd. 18), Göttingen: V&R unipress 2014, 402 S., 6 Pläne, ISBN 978-3-8471-0317-2, EUR 54,99
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Rezension von:
Annemarie Kinzelbach
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Ulm
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Annemarie Kinzelbach: Rezension von: Thomas Frank: Heilsame Wortgefechte. Reformen europäischer Hospitäler vom 14. bis 16. Jahrhundert, Göttingen: V&R unipress 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2 [15.02.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/02/26127.html


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Thomas Frank: Heilsame Wortgefechte

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Schon mit dem Titel seiner Studie macht Thomas Frank darauf aufmerksam, dass er verschiedene Stränge der Geschichtsschreibung zusammenbringen will. Den Ursprung in der Berliner DFG-Forschergruppe Topik und Tradition verrät der Begriff "Wortgefechte", mit dem er das schriftlich dokumentierte kontroverse Sprechen über einen Gegenstand in den Mittelpunkt rückt. Zum andern nimmt er auch explizit den Faden der Historiographie von Hospitälern auf, indem er über Orte schreibt, an denen Menschen ihr seelisches und körperliches "Heil" suchten. Franks Ausführungen profitieren von den Ergebnissen, die eine teilweise seit mehr als hundert Jahren vorangetriebene Lokal-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte sowie die seit Jahrzehnten fortgeführte Medizin-, Sozial- und Kulturgeschichte von Hospitälern und Armenfürsorge hervorgebracht haben. Jedoch knüpft Frank keine direkte Verbindung zu den dort verfolgten Fragestellungen und verspricht vielmehr, mit seiner Frage nach dem "wie" der Kontroversen über Hospitalreformen neue Wege zu gehen.

Die Notwendigkeit von Hospitalreformen setzt der Autor als gegeben voraus, da "die Hospitäler notwendig einem Prozess mehr oder weniger kontinuierlichen Wandels unterworfen waren, weil auf sie gesellschaftliche Kräfte einwirkten [...]" (12-13). Darüber hinaus unterstreicht er die Persistenz von Reformforderungen schon seit dem 13. Jahrhundert (14) und betont, sich nicht für die Reform als zu rekonstruierendes Ereignis zu interessieren. Die "Erforschung des vormodernen Reformdiskurses" (16) ist Franks Anliegen, das er nach einem einführenden Kapitel zur juristischen Diskussion um das Hospitalrecht im 14. Jahrhundert (Kapitel I) anhand von vier großen Reformdebatten um Hospitäler in verschiedenen europäischen Städten verfolgt. Da er nicht vergleichend arbeitet, sondern vielmehr ein "Panorama" (32) des Diskurses vorstellen möchte, schreitet er räumlich von Süd nach Nord und zeitlich voran mit der Abfolge der untersuchten Städte von Mailand um die Mitte des 15. Jahrhunderts (Ospedale Maggiore, Kapitel II), über Paris zum Ende des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts (Hôtel Dieu, Kapitel III), nach Straßburg an der Jahrhundertwende bis in die 1540er Jahre ("das Große Spital", Kapitel IV), und wieder zurück in den Süden nach Modena in den 1530er und 1540er Jahren ("Union der Hospitäler und frommen Stiftungen", Kapitel V).

Obgleich Frank nicht systematisch vergleichend arbeitet, greift er in seinen jedes einzelne Kapitel abschließenden Zusammenfassungen wesentliche, bereits dargestellte Ergebnisse auf. Damit erleichtert er es, seine Auswahl der darzustellenden Einrichtungen nachzuvollziehen. Er beginnt mit Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Hospitälern zwischen weltlichen und kirchlichen Vertretern der Obrigkeit. Für die Hospitäler in Mailand und Paris zeigt er den engen Zusammenhang zwischen Reformdiskurs und Konflikten zwischen kommunalen bzw. politischen und kirchlichen "Eliten" (75-212). In der darauf folgenden Darstellung zum "Großen Spital" in Straßburg (213-275) spielten solche Auseinandersetzungen keine wesentliche Rolle, denn diese Einrichtung befand sich bereits "seit dem 13. Jahrhundert unumstritten in den Händen der Kommunalregierung" (272), allerdings nimmt hier die Reformation einen breiten Raum ein. In einer subtilen Analyse findet der Autor Kontinuität - in der Relevanz der Metapher Barmherzigkeit, für deren Gebrauch er allerdings eine Spaltung behauptet. Gleichzeitig stellt er Wandel fest - und zwar in der neu auftauchenden Argumentation mit "Erfahrung" (270). Genau letzteres war allerdings auch zu erwarten, denn die Untersuchung wechselt hier auch die Quellengattung: von theologischer Rhetorik am Anfang des 16. Jahrhunderts (Predigten von Johannes Geiler) zu pragmatischen Textzeugnissen für die 1540er (Texte aus der Hand von Personen in städtischen Ämtern der Armenfürsorge). Mit dem letzten Kapitel über die Zwangsvereinigung von karitativen Einrichtungen im Modena der 1540er Jahre führt Frank eine weitere neue Quellengattung ein, analysiert einen umfangreichen chronikalischen Bericht eines Zeitzeugen der Hospitalreformen (Tommasino Bianchi) und lässt damit einen Reformgegner zu Wort kommen; dadurch gelingt es ihm in diesem Kapitel, vorreformatorische mit "reformatorischen" Diskussionsansätzen zusammenzuführen. Wie für Straßburg zeigt er auch für Modena, dass der "diskursive Raum, in dem diese Dispute geführt werden, [...] ein öffentlicher Raum" (339) war und erfüllt in dieser Beschreibung eine Forderung der neueren Historiographie.[1]

Die vorbildliche Absicht, eine europäische Perspektive zu präsentieren, hat einen Preis: es werden hauptsächlich edierte Quellen herangezogen. In der Durchführung der Studie weicht Frank an einigen Stellen von seinem Vorsatz ab, nicht die Reformen, sondern die unterschiedlichen Perspektiven zu rekonstruieren, dadurch verliert die Argumentation an Stringenz und der Bezug zu den "Wortgefechten" wird dort eher dünn (beispielsweise 241-260, 279-291). Historische Studien wie etwa die von John Henderson zu den Florentiner Hospitälern haben darüber hinaus gezeigt, dass der zeitgenössische Diskurs über Hospitäler und deren Reform auch ganz andere als die von Frank dargestellten Aspekte umfasste, wie etwa deren ästhetische Bedeutung für die Stadt.[2] An einigen Stellen macht sich auch bemerkbar, dass der Autor mit einschlägigen medizinhistorischen Studien nicht vertraut ist, und so etwa die Gelegenheit verpasst zu hinterfragen, in welcher Weise und warum gerade die sogenannte Syphilis im Diskurs in Straßburg eine Rolle spielte.[3]

Die ausgezeichnete Zusammenführung der Argumente am Schluss und die innovative Überschreitung der üblichen Periodisierungsgrenzen lassen solche Detailkritik jedoch eher kleinkariert erscheinen und machen Franks Studie zu einem mit Gewinn lesbaren Buch.


Anmerkungen:

[1] Gerd Schwerhoff: Stadt und Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit - Perspektiven der Forschung, in: Gerd Schwerhoff (Hg.): Stadt und Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit, Köln [u.a.] 2011, 1-28.

[2] John Henderson: The Renaissance Hospital: Healing the body and healing the soul. New Haven [u.a.] 2006; (Übersetzung von Gerhard Aumüller), Das Spital im Florenz der Renaissance. Heilung für den Leib und für die Seele, Stuttgart 2014.

[3] Jon Arrizabalaga / John Henderson / Roger French: The Great Pox: the French Disease in Renaissance Europe, New Haven 1997; Claudia Stein: Negotiating the French pox in early modern Germany, Aldershot [u.a.] 2009.

Annemarie Kinzelbach