Rezension über:

Anja Zimmermann (Hg.): Biologische Metaphern. Zwischen Kunst, Kunstgeschichte und Wissenschaft in Neuzeit und Moderne, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2014, 232 S., 60 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01480-5, EUR 49,00
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Rezension von:
Jennifer Bleek
Institut für Kunstgeschichte, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Jennifer Bleek: Rezension von: Anja Zimmermann (Hg.): Biologische Metaphern. Zwischen Kunst, Kunstgeschichte und Wissenschaft in Neuzeit und Moderne, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 12 [15.12.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/12/25628.html


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Anja Zimmermann (Hg.): Biologische Metaphern

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Das Verhältnis von Kunst und Biologie wird zurzeit intensiv erforscht. Zentral ist dabei ein bestimmter Begriff der Werkgenese - die Verbindung von Zeugung und Kunstproduktion. "Die Gleichsetzung von Kunstproduktion und Zeugung", so heißt es zu Beginn des vorliegenden Sammelbands von Anja Zimmermann, aktiviert "eine der wirkmächtigsten Denkfiguren aus diesem Kontext [...], nämlich jene, die besagt, dass künstlerische Produktion und Produktivität am besten durch den Vergleich mit sexueller Reproduktion zu beschreiben seien." (7) Dabei geht Zimmermann von der Prämisse aus, dass dieser Ansatz wie auch verwandte Erklärungsversuche künstlerischer Prozesse metaphorisch zu verstehen sind. Zu den einschlägigen Metaphern gehören Begriffe wie Leben, Zeugung, Generation, Kreislauf, Organik und Information. Inwiefern sind diese Metaphern historisch vorgeformt? Wann und wie werden sie aktualisiert? Welche semantischen Gehalte aktivieren sie in den Geschlechterdiskursen?

Im Folgenden werden einige Beiträge verschiedener Autoren des Sammelbands kurz vorgestellt. Anschließend wird auf die Beiträge der Herausgeberin und Carolin Höfler ausführlicher eingegangen. Die Autoren verfolgen die erwähnte Fragestellung mit einem deutlichen Schwerpunkt in der Zeit um 1900, als die Naturwissenschaften besonders prosperierten. Kerstin Palm beschäftigt sich mit der innerbiologischen Kritik an der Evolutionstheorie Darwins und alternativen Entwürfen, die unter anderem christlich inspiriert waren (Neolamarckismus, Orthogenesislehre) und sich gegen eine Modernisierung der Biologie stemmten. Matthias Bruhn variiert anhand einer Gouache von Karl Friedrich Schinkel den Topos der Entstehung der Künste aus dem Schattenbild. Ulrike Gehring stellt Überlegungen an zur architektonischen Struktur der menschlichen Anatomie in Christopher Wrens 'tabulae anatomicae'. Zwei Beiträge widmen sich Paul Klees Begriff des Schöpferischen. Dabei werden sowohl die Relevanz von Klee für Fragen nach dem Verhältnis von Zeugung und Kunstproduktion als auch die Aporien im Denken dieses Künstlers deutlich.

Anja Zimmermann behandelt die Metapher in ihrem Beitrag vor allem als ein "Mittel analytischer Distanznahme" (32). Zuerst werden metaphorische Potenziale des Bildes im Anschluss an bereits bestehende Forschungsliteratur dargelegt. Als Belege fungieren hier einige Picasso-Porträts aus den frühen 1930er-Jahren. In einem nächsten Schritt diskutiert sie konträre Darstellungsweisen des Weiblichen: Die Erfahrung des Abjekten in Alfred Kubins Tuschfederzeichnung Die Fruchtbarkeit von 1901-1902 und die idyllisch-verklärte Darstellung von Mutterschaft anhand einer Buchillustration aus Wilhelm Bölsches populärwissenschaftlicher Studie Das Liebesleben in der Natur von 1902. Zimmermann geht auch auf Äußerungen von Kunsthistorikern ein. Legitimiert erscheint dies durch den Umstand, dass Kunsthistoriker ab der Jahrhundertwende in der Biologie ein ausgezeichnetes Referenzsystem für ihre eigene Wissenschaft entdeckten. Beachtung finden Wilhelm Waetzoldt und dessen Schrift Das Kunstwerk als Organismus (1905), Wilhelm Pinders Studie Das Problem der Generation (1926) sowie Fritz Winters und Werner Haftmanns Triebkräfte der Erde (1957). In der Kunstgeschichte um 1900 werden Kunstwerk und Kunstproduktion, Zimmermann zufolge, in Anlehnung an romantische Vorstellungen als Naturvorgänge definiert. Pinders Ziel etwa ist eine "geisteswissenschaftliche Biologie" (27). In Zimmermanns Worten: "Pinder trieb in der Tat eine grundlegende Biologisierung des Ästhetischen voran, bei der etablierte kunstgeschichtliche Kategorien, etwa 'Stil' biologisch, nicht kulturell begriffen werden." (27) Stil ist für Pinder ein Naturphänomen und wird "geboren" (ebd.). Auch Werner Haftmann versteht den Vorgang der Bildwerdung in dem genannten Text als einen "genetisch sich entwickelnde[n] Prozess" (29). In Haftmanns Text ist außerdem der "auf paradoxe Weise zugleich forcierte und geleugnete Bezug zum gerade erst 'überwundenen' Nationalsozialismus und den Erfahrungen des Krieges" präsent (30). Diese und andere Beobachtungen bilden den Hintergrund für den leitenden Gedanken, die Biologismen der Moderne nicht als Naturtatsache zu verstehen, sondern als Metaphern, die einer kritischen Analyse offen stehen (vgl. 32).

Zimmermann geht weiter auf die transformativen Effekte zwischen Kunst und Biologie ein. Diese werden in Carolin Höflers Beitrag vor allem in Bezug auf die neuere und neueste Architektur dargelegt. Ein Fokus der Architektur gilt dabei adaptiven Formen, die sich mittels generativer Algorithmen von selbst an ihre Umgebung anpassen (Stichwort Bionik). Diese Sichtweise ist tatsächlich neu. Denn Architektur als technisch belebte Materie tritt hier nicht mehr unwillkürlich in Konkurrenz zur schaffenden Natur, sondern wird als Teil einer wechselseitigen Beziehung betrachtet. Dieses Wechselverhältnis wird im Rekurs auf unterschiedliche Architektur-Modelle konkretisiert. Es wird auf Vorbilder aus der Natur eingegangen, in denen gleichermaßen Eigenschaften von Tieren, Pilzen und Pflanzen vereint erscheinen. Eine bestimmte afrikanische Termitenart baut Termitenhügel, die als adäquates Modell für Belüftungssysteme erforscht werden. Natürliche Seifenhäute helfen bestimmte Bereiche der Architektur zu optimieren, weil sie das eher starre Modell von Tragen und Lasten zugunsten eines flexiblen Systems kontinuierlicher Spannungen zu ersetzen helfen. Das ist alles für sich genommen plausibel. Die Gestaltung dieser Ansätze auf textueller Ebene überzeugt hingegen weniger. Der Text kommt weitgehend ohne erkennbaren Aufbau und argumentative Struktur aus. Aufgrund der mangelnden Struktur stellt sich das Gefühl ein, dass es zu viele Ansätze sind, die in den Text eingegangen sind. Es entsteht insgesamt der Eindruck von konzeptueller Unschärfe.

Im Forschungskontext ist einer der wichtigsten Referenztexte des vorliegenden Bandes Ulrich Pfisterers Essay "Zeugung der Idee - Schwangerschaft des Geistes. Sexualisierte Metaphern und Theorien zur Werkgenese in der Renaissance" von 2005. [1] Pfisterer zeigt auf, wie ab den 1510er-Jahren in Rom vorwiegend im Medium der Druckgrafik Veränderungen in der tradierten Darstellung der Geschlechterverhältnisse geschehen. [2] Gegen allzu präzise und widerspruchsfreie Versuche einer Grenzziehung betrachtet Pfisterer diejenigen Theorien genauer, die ihm zufolge nicht in konträren Geschlechts-Kategorien dachten. Diese zielten darauf ab, "dass der ideale Künstler in einem komplex-labilen Balanceakt der Vorstellungen gleichermaßen männliche wie weibliche Eigenschaften umfassen und zu verschiedenen Stadien Erzeuger, Schwangere und Nährmutter seiner Kunstprodukte sein musste." [3] Schon hier geraten die vermeintlich starren biologischen Klassifikationen in Bewegung. In dem Sammelband findet diese Tendenz Aufnahme in fast allen Beiträgen. Es ist auffallend, dass der materialistische Ansatz von Höfler den von Pfisterer angesprochenen Balanceakt - zumindest potenziell - am präzisesten zu meistern scheint. Die Aporien, in die sich etwa die Literatur zu Klee gezwungen ist hineinzubegeben, scheinen hier tendenziell aufgelöst. Ebenfalls auffällig ist, dass dem Metaphorischen in Höflers Beitrag kaum eine Bedeutung zukommt. Verallgemeinernd lässt sich sagen: Der Begriff der biologischen Metaphern wird von den materialistischen Tendenzen der aktuellen Kunstwissenschaft praktisch aufgehoben, was Fragen nach seiner Reichweite und möglichen Ergänzungen aufwirft. Insgesamt betrachtet bietet der Band eine aufschlussreiche, kontroverse Behandlung der Schnittstelle zwischen Kunst und Biologie vor allem für die Zeit um 1900. Das Problembewusstsein für eine bislang vielleicht wie selbstverständlich verwendete biologische Begrifflichkeit wird erheblich konkretisiert.


Anmerkungen:

[1] Ulrich Pfisterer: Zeugung der Idee - Schwangerschaft des Geistes. Sexualisierte Metaphern und Theorien zur Werkgenese in der Renaissance, in: Animationen / Transgressionen. Das Kunstwerk als Lebewesen (= Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte; Bd. 4), hgg. v. Ulrich Pfisterer / Anja Zimmermann, Berlin 2005, 41-72.

[2] Vgl. ebd., 43.

[3] Ebd., 44.

Jennifer Bleek