Rezension über:

Nickiphoros I. Tsougarakis: The Latin Religious Orders in Medieval Greece, 1204-1500 (= Medieval Church Studies; Vol. 18), Turnhout: Brepols 2012, XXIV + 391 S., ISBN 978-2-503-53229-5, EUR 100,00
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Rezension von:
Anne Müller
University of Wales Trinity St. David
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Anne Müller: Rezension von: Nickiphoros I. Tsougarakis: The Latin Religious Orders in Medieval Greece, 1204-1500, Turnhout: Brepols 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/03/22968.html


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Nickiphoros I. Tsougarakis: The Latin Religious Orders in Medieval Greece, 1204-1500

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Orden und Klöster haben mitunter eine Schlüsselrolle in Prozessen mittelalterlicher Staats- und Identitätsbildung gespielt. Die Frage, auf welche Weise und welchen Ebenen dies geschah, hat gerade Konjunktur in der Ordensforschung. Häufiger fällt der Blick dabei auch auf die Grenz- und Expansionsräume der lateinischen Christenheit und die Randzonen starker imperialer Macht. In solchen Räumen konnten Orden und Klöster etablierte kulturelle Traditionen mittragen und bewahren, genauso gut aber auch aushebeln. Je nach Kontext ließen sie sich dort für Aktionen des Widerstands gegen fremde Mächte rekrutieren, genauso aber auch für politische Eroberung und kulturelle Domination.

Tsougarakis' Buch untersucht die Ansiedlung der lateinischen Orden und Klöstern in den vormaligen Gebieten des Byzantinischen Reiches. Er fragt nach ihrer Rolle im Gefüge der Kirchen- und Staatspolitik und nach ihren integrativen Leistungen in der Region. Insofern liegt sein Buch voll im Trend. Zugleich schließt diese Studie ein gravierendes Forschungsdesiderat, denn bislang war eine übergreifende Abhandlung zum lateinischen Religiosentum in Griechenland nicht vorhanden. Unser Bild hat sich aus Einzelstudien zu individuellen Niederlassungen zusammengesetzt mit klarem Fokus auf religiösen Ballungszentren wie Konstantinopel und Candia (Heraklion auf Kreta) und Erkenntnisverlust in Richtung Hinterland. Diese bislang nur punktuelle Behandlung der lateinischen Klöster in Griechenland ist einer im Vergleich zu Kerneuropa ungünstigen Quellenlage geschuldet, was wiederum mit der nur ephemeren Bestandsdauer dieser Häuser - und ihrer Archive - zusammenhängt. Zahlreiche einst schriftlich erwähnte Niederlassungen sind bis heute noch nicht einmal lokalisiert.

Tsougarakis hat sich dieser Aufgabe gestellt, was Respekt verdient. Sein Buch ist im Wesentlichen eine klassische historische Studie. Im Hauptteil der Arbeit werden die einzelnen lateinischen Zweige des Mönch- und Ordenswesens fein säuberlich voneinander getrennt auf ihre Ansiedlung und Rolle hin durchexerziert. Tsougarakis beginnt mit der Forschungssituation und historischen Ausgangslage. Der zeitliche Auftakt für seine Untersuchung ist der Vierte Kreuzzug mit der Plünderung Konstantinopels im Jahre 1204, was zur Gründung des kurzlebigen Lateinischen Kaiserreichs führte. Obwohl dieses imperium Romaniae offiziell nur 57 Jahre bestand, blieben große Teile der ehemaligen byzantinischen Reichsgebiete für die nächsten drei Jahrhunderte weiterhin unter lateinischer Herrschaft. Sie bildeten den Nährboden für die lateinischen Kloster- und Ordenszweige und sollten insgesamt 107 verschiedene Konvente hervorbringen. Das Buch beleuchtet nicht nur die Geschichte dieser Häuser, sondern auch den Umgang mit den neuen funktionalen Herausforderungen, die sich vor allem aus der kritischen ethnischen Gemengelage in den neuen Siedlungsgebieten ergaben.

Erfolgreiche Implementierung fußte hier, und das ist im Wesentlichen der rote Faden des Buches, auf Kompromiss und Adaption. Dies bescherte den neuen Klöstern und Orden eine Reihe von Sonderaufgaben. So mussten sie im ehemaligen byzantinischen Reichsgebiet nicht nur der lateinischen, sondern auch der eingesessenen griechisch-orthodoxen Bevölkerung attraktive religiöse Angebote unterbreiten. Sie mussten darüber hinaus auf der diplomatischen und politischen Ebene vermitteln und schließlich immer auch den Repräsentationsansprüchen ihrer fränkischen, venezianischen und genuesischen Stifter genügen, die diese Häuser zur Konsolidierung ihrer eigenen Machtansprüche nutzten.

Dieses komplexe Beziehungs- und Aufgabengeflecht steht im Zentrum des Buches. In 6 Kapiteln werden nacheinander die einzelnen Häuser der Benediktiner und Zisterzienser (Kap. 2) und der Franziskaner und Dominikaner (Kap. 3 und 4) besprochen, gefolgt von den Niederlassungen des italienischen Kreuzherrenordens (Kap. 5), der Augustiner-Eremiten (Kap. 6), der kleinen regulierten Orden, wie den Kanonikern vom Heiligen Grab, und schließlich der Serviten und Karmeliten (Kap. 7). Die Ritterorden bleiben unberücksichtigt.

Mit über 40 Häusern wurde die Schar der Religiosen klar von den Franziskanern angeführt, die ihre Zentren in den venezianischen Kolonien hatten. Leider erschließt sich dem Leser nicht, warum ausgerechnet dieser Orden in Griechenland derart boomte. Tsougarakis argumentiert, dass sich die Franziskaner mit vergleichsweise wenig Land zufrieden gaben. An der Kurie waren sie als Gesandtschaftsprofis geschätzt, besonders, wenn es um die heikle Kirchenunion ging. Darüber hinaus konnte dieser Orden aber offenbar auch einiges Ansehen in der griechischen Bevölkerung gewinnen. Insbesondere der hl. Franziskus scheint von den Griechen mancherorts geradezu kultisch verehrt worden zu sein (117f.). In die Mechanismen dieser spannenden kulturellen Adaption - bzw. Inversion -, die möglicherweise im Zusammenhang mit dem Erfolg des Ordens steht, hätte ich mir mehr Einblick gewünscht, aber Tsougarakis reißt leider nur an. Seine Behauptung, die Franziskaner hätten mit ihren theologischen Disputen herausragende griechische Gelehrte zum Konfessionswechsel bewegt (141), ist ohne Beleg gebracht und sicherlich kritisch zu revidieren.

Das abschließende Kapitel will die Befunde im Vergleich analysieren (Kap. 8). Es handelt sich aber eher um eine Zusammenfassung des bereits Gesagten. Das ist bedauerlich. Denn eine schärfer strukturierte komparatistische Zusammenschau hätte sicherlich die Leistungen und Spezifika der individuellen Orden noch besser herausgestellt. Der Anhang des Buches präsentiert eine Liste der in Griechenland als Bischöfe und Erzbischöfe amtierenden Ordensmitglieder - auch hier sind die Franziskaner die Spitzenreiter. Als Appendix II sind schließlich einige Urkunden aus dem Staatsarchiv Venedig ediert, die insbesondere Grundbesitz in kretischen Klöstern betreffen. Die Bibliographie bietet eine Fülle an Quellen und Fachliteratur, allerdings fehlen auch einschlägige Werke, so etwa die Studien von Andrew Jotischky zum Religiosentum in den Kreuzzugsgebieten.

Tsougarakis hat eine sehr solide Basisstudie zu den lateinischen Klöstern und Orden im Byzantinischen Reich vorgelegt. Allerdings hätte ich eine Einbettung seiner Befunde in den gesamteuropäischen Kontext begrüßt. Wo spiegeln sich generelle Grenzphänomene? Was leisten Orden und Klöster in der Region, abseits von den Machtzentren des Ordens bzw. starker zentralisierter Macht? Wie tragen sie zu einer spezifischen Identitätsbildung bei? Welchen Einfluss nimmt umgekehrt die Region auf die Ordensbildung? Was ist als Problemkonstellation für Griechenland charakteristisch? Tsougarakis beklagt seine schwierige Ausgangslage im Bereich der textlichen Quellen. Von daher verwundert es, dass er nur ansatzweise auf einen anderen Quellenkorpus zurückgreift: den der materiellen Kultur. Archäologische, baugeschichtliche und kunsthistorische Befunde hätten, wie fragmentarisch auch immer, das spezifische Bild der Orden in Griechenland vielleicht um manche Facette bereichert. Sie hätte außerdem ein weiteres, spannendes Feld eröffnet: nämlich die Ausbildung einer eigenen materiellen Kultur zur Repräsentation bzw. Vermittlung spezifischer Bedeutungen und Identitäten. Obwohl Tsougarakis' Buch eher 'eng' gestrickt ist, schmälert dies jedoch nicht seinen Wert, der darin liegt, dass wir nun erstmals ein materialreiches und für interdisziplinäre Anschlussarbeit nützliches Dossier zur Gesamtgeschichte des lateinischen Religiosentums in Griechenland in der Hand halten.

Anne Müller