Rezension über:

Alexander Bruce Burdumy: Sozialpolitik und Repression in der DDR. Ost-Berlin 1971-1989, Essen: Klartext 2013, 365 S., ISBN 978-3-8375-0908-3, EUR 29,95
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Rezension von:
Elke Stadelmann-Wenz
BStU, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Elke Stadelmann-Wenz: Rezension von: Alexander Bruce Burdumy: Sozialpolitik und Repression in der DDR. Ost-Berlin 1971-1989, Essen: Klartext 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/23929.html


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Alexander Bruce Burdumy: Sozialpolitik und Repression in der DDR

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Nicht nur in der DDR, sondern in allen staatssozialistischen Gesellschaften Osteuropas erfolgte im Übergang zu den 1970er Jahren ein politischer Strategiewechsel, der die Sozial- und Konsumpolitik stärker berücksichtigen sollte, um die Loyalität in der Bevölkerung zu fördern. Honeckers Diktum von der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" war bereits mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Studien, auch in vergleichender Perspektive. Alexander Burdumy weckt beim Leser - ausgehend vom Titel seiner veröffentlichten Dissertation - zunächst Interesse, indem er nach dem Verhältnis von Sozialpolitik und Repression in der DDR der Ära Honecker fragt. Der Autor stützt sich zunächst auf die bereits von Sigrid Meuschel herausgearbeiteten zentralen Funktionen der Sozialpolitik für die Herrschaftslegitimation der SED und stellt sozialpolitische Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf den Alltag der Bevölkerung ins Zentrum seiner Untersuchung: "Die zentrale Fragestellung in dieser Untersuchung ist, welchen Beitrag die Sozialpolitik Honeckers zur Stabilität der DDR leisten konnte und welchen Effekt sie im Bezirk Berlin auf die Bevölkerung hatte." (31) Der Aspekt der Repression wird hier leider nicht mehr aufgegriffen.

Die Vorteile des von Burdumy gewählten mikrohistorischen Ansatzes sind durchaus nachvollziehbar. Dagegen überzeugt die Begründung der Wahl Ost-Berlins als Untersuchungsraum nicht. [1] Grundlage der Arbeit ist Forschungsliteratur aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum. Die umfangreiche Quellenauswertung greift auf Archivalien des Partei- und Staatsapparates, der lokalen Verwaltung und der DDR-Staatssicherheit zurück. Der Autor hebt aus seinem Quellensample vor allem die Auswertung von Eingaben hervor, die ihm besonders geeignet erscheinen, "Eindrücke aus dem öffentlichen Leben der DDR" zu ergänzen. Ohne den Wert dieser Quelle in Frage stellen zu wollen, sollte jedoch stets neben der Kritik- und Protestfunktion von Eingaben auch deren stabilisierende Rolle problematisiert werden.

In den folgenden Kapiteln diskutiert Burdumy nacheinander die für seine Überlegungen grundlegenden Begriffe der Herrschaftslegitimierung, der Repression und des Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates. Danach werden die unterschiedlichen Phasen und Strategien der Herrschaftslegitimierung unter Ulbricht und Honecker beleuchtet. Anschließend widmet sich der Autor seinem eigentlichen Forschungsgegenstand, den sozialpolitischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben der Bevölkerung im Ostteil Berlins in den 1970er und 1980er Jahren. Dabei untersucht er die Politikbereiche Familie, Renten, Wohnungsbau und Gesundheit. Er zeigt die allgemeine Entwicklung auf und diskutiert einzelne Maßnahmen. Für den speziellen Untersuchungsraum Ost-Berlin hält Burdumy fest: Bei allen vorhandenen und bekannten Problemen wurde der Ostteil Berlins stets stärker berücksichtigt als der Rest der DDR. Auffallend an Burdumys Ausführungen ist, dass er im Grunde nur zwei Akteure wahrnimmt - den Partei- und Staatsapparat als politische Entscheidungsinstanz und die Bürger als Empfänger sozialer Leistungen bzw. als Verfasser von Eingaben. Daneben gab es aber auch in der DDR andere Beteiligte - etwa die Volkssolidarität oder die Caritas, die zum Beispiel bei der Betreuung von alten Menschen eine wichtige Funktion hatten. Eine weitere Frage ist die nach der sozialen Ungleichheit. Offiziell standen die Sozialleistungen der Bevölkerung gleichmäßig zur Verfügung. Inwieweit dies aber der Wirklichkeit entsprach, wird nur punktuell thematisiert, etwa dass gerade alte Menschen, die nicht mehr im Produktionsprozess standen, unzureichend versorgt wurden. Inwieweit gab es aber auch Privilegierung bzw. Ausschluss beim Zugang zu Sozialleistungen innerhalb der im Arbeitsprozess stehenden Bevölkerung? Insbesondere ein mikrohistorischer Ansatz hätte hier die Möglichkeit geboten, solche Aspekte stärker in den Blick zu nehmen.

Kapitel 5 und 6 ziehen eine Bilanz der SED-Sozialpolitik unter Erich Honecker. Hier bestätigt sich dann der Eindruck, der sich bereits bei der Einleitung aufdrängt, dass der Aspekt der Repression in diesem Beziehungsgeflecht nicht ausreichend beleuchtet wird. Abgesehen von eher allgemeinen Ausführungen zum MfS in der Endphase der DDR sucht man Aussagen zur konkreten Wechselwirkung zwischen Sozialpolitik und Repression vergeblich. Lediglich das Versagen der Repressionsmechanismen im Herbst 1989 wird thematisiert. Im Fazit konstatiert Burdumy zusammenfassend die kurzfristigen Stabilisierungserfolge sozialpolitischer Maßnahmen nicht nur in Ost-Berlin, sondern in der gesamten DDR, die allerdings nicht für eine langfristige Herrschaftssicherung des SED-Regimes ausreichten. Wenn auch die SED-Wirtschaftspolitik nur am Rande gestreift wird, betreibt der Autor bei seinen Schlussfolgerungen fragwürdige Spekulationen: "[W]enn sich die wirtschaftliche Lage der DDR besser entwickelt hätte, [hätte] sich ein höheres Stabilitätsgleichgewicht ergeben [...] und es [hätte] eine höhere Unterstützung für das Regime seitens der Bevölkerung gegeben"(333).

Fragwürdig erscheint auch die mehrfach von Burdumy postulierte Ablehnung eines Vergleichs der Sozialpolitik der DDR mit der anderer Staaten, insbesondere der Bundesrepublik: "Trotz gemeinsamer Ausgangsbasis entwickelten sich die Systeme während ihrer Existenz in wesentlichen Teilen unterschiedlich, weswegen die BRD nicht die Ausgangsbasis für Vergleiche sein darf." (331) Eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit der Methode des Vergleichs und der einschlägigen Forschungsliteratur wäre hier durchaus angebracht gewesen.

Insgesamt hätten Gliederung und Struktur von einer gründlichen Überarbeitung profitiert. Eine wissenschaftliche Studie sollte nicht erst nach mehr als 100 Seiten zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand kommen. Bereits bei der Erläuterung und Begründung der zentralen Fragestellung in der Einleitung stößt der Leser auf zahlreiche Abschweifungen und Redundanzen. Vor allem das Plädoyer für eine Mikrostudie wird ständig wiederholt. So wichtig die unterschiedlichen Strategien der Legitimierung und Sicherung der SED-Herrschaft unter Ulbricht und Honecker sein mögen, hier wäre eine knappe und konzise Einführung ins Themenfeld vollkommen ausreichend gewesen. Ärgerlich sind sinnlose Sätze wie: "In vielerlei Hinsicht ist die DDR ein Musterbeispiel für eine Untersuchung des Wohlfahrtsstaates in nicht-diktatorischen Regimen und dessen Verwendung als Vehikel für 'erkaufte' Loyalität" (58). Das macht deutlich, wie wichtig ein gründliches Lektorat ist. Hierbei steht in erster Linie der Verfasser in der Verantwortung, bei der Veröffentlichung einer Dissertation aber auch die Gutachter und letztlich der Verlag.


Anmerkung:

[1] Alexander Burdumy bezeichnet Ost-Berlin durchweg als "Bezirk". Auch wenn der Viermächtestatus im Verlauf der DDR-Geschichte sukzessive aufgeweicht wurde, hatte Ost-Berlin nie den Status eines Bezirkes.

Elke Stadelmann-Wenz