Rezension über:

Peter Lundgreen: Die Lehrer an den Schulen der Bundesrepublik Deutschland 1949-2009. Unter Mitarbeit von Jürgen Schallmann (= Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte; Bd. XI), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 350 S., zahlr. Tabellen, 1 CD-Rom, ISBN 978-3-525-36388-1, EUR 99,99
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Rezension von:
Ulrich Wiegmann
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Wiegmann: Rezension von: Peter Lundgreen: Die Lehrer an den Schulen der Bundesrepublik Deutschland 1949-2009. Unter Mitarbeit von Jürgen Schallmann, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 12 [15.12.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/12/24584.html


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Peter Lundgreen: Die Lehrer an den Schulen der Bundesrepublik Deutschland 1949-2009

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Die im Zeitraum ab 1977 herausgegebenen Datenhandbücher zur deutschen Bildungsgeschichte (seit 1800) zählen zum Ambitioniertesten und über die Grenzen der Disziplin hinaus Vorzeigbarsten, das die bundesdeutsche Bildungshistoriografie auf dem Weg zur und als Sozialwissenschaft hervorgebracht hat. Der Band schließt unmittelbar an den Vorgängerband zu "Lehrergenerationen im Bildungswachstum. Lehrer an niederen und höheren Schulen in Deutschland 1800-1945" an und steht in direktem zeitlichen und thematischen Zusammenhang zu weiteren Bänden, vor allem zu dem als Band IX erschienenen Datenhandbuch "Schulen und Hochschulen in der Deutschen Demokratischen Republik 1949-1989".

Der vorliegende Band, dessen Datengrundlage vom Zentralarchiv für empirische Sozialforschung in Köln verwaltet wird, behandelt zunächst auf Zweidrittel des Umfangs in Form einer "problemgeschichtliche(n) Einführung" (17) und unterstützt durch tabellarisch und grafisch aufbereitete Datenreihen erstens die Lehrer als akademische Berufsgruppe, zweitens Qualifikation und Berufsfeld (Lehrämter und Schularten, Wachstum, Struktur, Feminisierung, Bundesländer im Vergleich), drittens Beschäftigtenverhältnis und Mobilität (öffentliche und private Schulen, Beschäftigungsverhältnisse, Lehrer und Lehrerinnen, Zugänge und Abgänge im Lehrerbestand) und viertens Lehrergenerationen und Karriereaussichten. Es folgen umfängliche Anhänge mit Daten, gegliedert nach Lehrerqualifikation, Schularten, Beschäftigungsumfang sowie Zu- und Abgängen. Schließlich liegt dem Band eine CD mit dem Datenteil zum Lehrerbestand bei. Für die jüngeren und jüngsten zeitgeschichtlichen Untersuchungen zur Bildungsentwicklung in der Bundesrepublik ist der Band gleichsam als Basiswerkzeugs fortan unverzichtbar. Er dokumentiert charakteristische Entwicklungen wie die Feminisierung des Berufsstandes der Lehrer, die Akademisierung der Lehrerschaft, die für den Lehrernachwuchs und dessen Einstellungsaussichten bedeutsame Zyklustheorie (Wechsel von Überfüllung und Mangel), generell die Bildungsexpansion seit dem letzten Drittels des 20. Jahrhunderts oder die mit dem Strukturwandel des Schulsystems einhergehende Umschichtung zugunsten des Lehramtes für die Gymnasien und so fort.

Große Überraschungen bleiben angesichts der mittlerweile gut erforschten Entwicklungen aus, jedenfalls aus einer Insiderperspektive, aus der beispielsweise das gegliederte Schulwesen (und damit auch die Differenzierung der Lehrämter) oder die zweiphasige Lehrerausbildung nicht nur eine "vertraute", sondern längst so etwas wie eine selbstverständliche "Form" (19) geworden sind. Auch manch andere Daten werden dann als offensichtliches Problem in der "problemgeschichtliche(n) Einführung" und auch im Weiteren nicht einmal "sparsam" (15) kommentiert. Hier eröffnen die Datenreihen schon in der vorgegebenen Konstellation bei kritischer Sichtung bildungshistoriografische Forschungsfelder.

Andererseits wirken die Zahlenreihen überwältigend und geradezu ehern. An den Daten, die auf spezifische Weise etwa für Lehramtsstudierende je nach ihrer Stellung im Zyklus erfreulicher- oder leidvollerweise Schicksal spielen, kommt niemand vorbei. Die Reihen konturieren gesetzmäßige Verläufe. Anstatt Fragen aufzuwerfen, geben sie gleichsam naturgemäße Antworten. Namentlich Bildungspolitik hat sich mithin zu bescheiden. Die Frage, ob Vernunft regiert, verbietet sich. Doch ist - um ein Beispiel herauszugreifen - die gewaltige Differenz der Zahl der Lehramtsstudienanfänger zu den Einstellungen im Schuldienst über die Jahrzehnte und unabhängig vom Zyklus gesehen dermaßen gesellschaftlich noch opportun? Anscheinend sind Alternativen jeglicher Art in Anbetracht der Macht der Fakten vom Tisch. Erst recht seit 1989/1990. Doch bliebe nun immerhin festzuhalten, dass zugegeben die felsenfest und gesetzmäßig wirkenden Verläufe abrupt endeten, wenn sich die sozialen Bedingungen wandelten oder vermutlich sogar bereits dann gedämpft würden, wenn beispielsweise bildungspolitisch geförderte und zyklisch angepasste Beratung Schulabgänger kompetent davon abhielte, sich massenhaft für unglückliche Karriereverläufe zu entscheiden.

So gesehen ist es bedauerlich, dass historisch alternative Entwicklungen im kleineren Nachkriegsdeutschland, die zwar mit dem Untergang der DDR abgerissen sind, aber doch mindestens zeigen könnten, dass nicht unbedingt sein muss, was hierzulande ist, weithin bis vollkommen ausgespart wurden. Die Tabellen und Abbildungen weisen fast ausschließlich Verläufe im alten und neuen Bundesgebiet aus; Datenreihen aus jenem Territorium, das dann in Gestalt der Neuen Bundesländer seit 1990 der Bundesrepublik hinzugerechnet wird, sind in der Regel nicht und wenn, dann in den häufig nicht passgerechten Kategorien für die Bundesrepublik erfasst. Leider gibt es zur Entwicklung der Lehrerschaft in der DDR in dem Band IX zu "Schulen und Hochschulen in der Deutschen Demokratischen Republik" ebenfalls nur vereinzelte Datenreihen. So gesehen hat der vorliegende Band des Datenhandbuchs zur deutschen Bildungsgeschichte wohl eine empfindliche Lücke zur Bildungsgeschichte in der Bundesrepublik geschlossen, zugleich aber noch immer einen Raum deutschen Bildungsentwicklung im Nachkriegsdeutschland hinterlassen, der nicht annähernd so gründlich erfasst ist. Ein Band XI/2 wäre wohl eine gute Lösung.

Ulrich Wiegmann