Rezension über:

Wojciech Kriegseisen: Protestanten in Polen-Litauen (1696-1763). Rechtliche Lage, Organisation und Beziehungen zwischen den evangelischen Glaubensgemeinschaften, Wiesbaden: Harrassowitz 2011, VI + 350 S., ISBN 978-3-447-06559-7, EUR 58,00
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Rezension von:
Stefan Hartmann
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Hartmann: Rezension von: Wojciech Kriegseisen: Protestanten in Polen-Litauen (1696-1763). Rechtliche Lage, Organisation und Beziehungen zwischen den evangelischen Glaubensgemeinschaften, Wiesbaden: Harrassowitz 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/06/23547.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Wojciech Kriegseisen: Protestanten in Polen-Litauen (1696-1763)

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Beim vorliegenden Band handelt es sich um die deutsche Ausgabe der Forschungsergebnisse von Wojciech Kriegseisen über den Protestantismus in der polnischen Adelsrepublik der Frühen Neuzeit, die gegenüber der polnischen Originalfassung [1] vollständig überarbeitet und ergänzt und in die dabei auch die seit 1996 erschienene Fachliteratur einbezogen wurde. Den Anstoß zu dieser Publikation gab eine mehrjährige Kooperation zwischen dem Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Stuttgart und dem Deutschen Historischen Institut in Warschau. Einleitend werden die Problematik, Ziele und Konzeption der Untersuchung umrissen, die der bisher vernachlässigten Vorgeschichte der Dissidentenfrage, einer der ursächlichsten Faktoren für die Erste Teilung Polens 1772, Rechnung tragen sollen. Zum Verständnis ihrer Genese ist ein Zurückblenden in die Zeit des späten 17. Jahrhunderts und eine quellennahe Auseinandersetzung mit dem in der bisherigen Forschung vorherrschenden schematischen Schwarz-Weiß-Bild erforderlich, das das 16., die erste Hälfte des 17. und die Regentschaft von Stanislaus August Poniatowski im späten 18. Jahrhundert als "Epoche der Toleranz" schroff von der als "Zeitalter der Verfolgungen" definierten Zeitspanne zwischen 1650 und 1772 abgrenzt. Zentrale Bedeutung für das Verständnis hat hier die Beleuchtung des organisatorischen Zustandes der Protestanten, ihrer gesellschaftlichen Verortung und Beziehung zur katholischen Mehrheit in der Praxis wie auch ihrer religiösen und politischen Freiheiten in der Sachsenzeit. Zur klareren Fokussierung der Problematik wurde das Forschungsfeld auf die Untersuchung der evangelischen Gruppen - unter Ausschluss anderer konfessioneller Minderheiten - auf Kronpolen und Litauen eingegrenzt, wobei allerdings das Königliche Preußen trotz des religiösen Sonderstatus der dortigen großen Städte nicht vollständig ausgeklammert werden konnte.

Wichtige Hintergrundinformationen vermittelt der folgende Überblick über die rechtliche Lage der polnischen und litauischen Protestanten in dem behandelten Zeitraum. Während diese zwar schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Bürger zweiter Klasse geworden waren, besaßen sie doch weiterhin rechtliche Freiheiten, die über die der Katholiken in protestantischen Staaten wie Schweden, Dänemark und Großbritannien und die der Hugenotten in Frankreich hinausgingen. Maßgebend für die sich zunehmend verschlechternde Situation der Evangelischen in der Adelsrepublik war ihr "sinkender gesellschaftlicher Status" (38), was vom wachsenden Einfluss des kanonischen auf das staatliche Recht begünstigt wurde und die Restriktionen der katholischen Geistlichkeit gegenüber den "Häretikern" förderte. Den Höhepunkt der gegen die Protestanten gerichteten Maßnahmen bezeichneten die Artikel 2 und 4 des Warschauer Vertrages von 1716, die im Februar des folgenden Jahres vom so genannten "Stummen Reichstag" übernommen wurden und die Grundlage für noch weitergehende Beschlüsse nachfolgender Reichstage bildeten. Sie verweigerten dem evangelischen Adel das Recht auf Mitwirkung an den zentralen parlamentarischen Gremien der Republik, die Amtsausübung als Senatoren, Würdenträger und Beamte, den Bau neuer Kirchen - nur die vor 1632 errichteten Gotteshäuser durften bestehen bleiben - und die Abhaltung von Gottesdiensten auf ihren Gütern, die andernfalls mit Konfiskation bedroht wurden. Im Jahr 1736 erreichten die den Protestanten auferlegten Beschränkungen ihr größtes Ausmaß, das erst 30 Jahre später weitgehend reduziert wurde. Diskussionsbedürftig bleibt indes die These, die damaligen interkonfessionellen Verhältnisse der Adelsrepublik seien ein "verspäteter Nachvollzug der Konfessionalisierungsprozesse" in den westlichen Ländern Europas gewesen (50), weil die besondere Spezifik der vom Adel dominierten gesellschaftlichen und ständischen Struktur Polen-Litauens nicht ohne weiteres auf andere Staaten übertragen werden kann.

Das nächste Kapitel unterrichtet über den zahlenmäßigen Umfang und die Sozialstruktur der Protestanten in Polen-Litauen unter der Herrschaft der Wettiner, wobei das Verhältnis zwischen Kirchen, Gemeinden und Gläubigen in Kleinpolen, Großpolen und Litauen - diese Provinzen werden jeweils separat behandelt - in den Mittelpunkt gerückt wird. Festzuhalten bleibt, dass die Lutheraner, die häufig erst in späterer Zeit nach Polen gekommen waren, nicht so stark von der Polonisierung erfasst wurden wie die reformierten Glaubensgemeinschaften, deren Mitglieder ohnehin zu einem großen Teil Polen waren. Nach Kriegseisen war die Kleinpolnische Unität die schwächste evangelische Kirche in der gesamten Adelsrepublik, wofür neben der geringen Zahl von Gemeinden und Gläubigen ihre aus dem 16. Jahrhundert stammende, nicht mehr zeitgemäße Organisation verantwortlich gewesen sei. Die größte protestantische Gemeinschaft Großpolens waren die in mehreren Siedlungswellen eingewanderten Lutheraner, deren Kirche eine konsistorial-synodale Verfassung hatte und enge Verbindungen zu Schlesien unterhielt. Sie konnte durch straffe Administration unter der Leitung geistlicher und weltlicher Senioren - unter den Letzteren spielten die adligen Familien Unruh / Unrug und Goltz / Golcz eine führende Rolle - den Übergriffen der katholischen Geistlichkeit und Staatsmacht entschlosseneren Widerstand leisten als im Fall der kleinpolnischen Protestanten, was auch für die zweite evangelische Kirche Großpolens, die Unität der Böhmischen Brüder mit dem Zentrum in Lissa, zutraf. Günstig wirkten sich hier die stärkere Geschlossenheit ihrer Siedlungsgebiete und die Nähe der brandenburgischen Grenze aus. Anders als in Großpolen beruhte die gesellschaftliche Rolle der zumeist calvinistischen Protestanten im Großfürstentum Litauen nicht auf zahlenmäßiger Stärke, sondern auf dem Einfluss ihrer Elite im dortigen Adel. Die Grundlage für ihr dauerhaftes Überleben bot ihre synodal-presbyterianische Kirchenorganisation, die vor allem durch das auf allen Ebenen bestehende Gleichgewicht weltlicher und geistlicher Gremien ein festes Fundament erhielt. Große Bedeutung für die Litauische Unität hatte der langwierige Streit wegen der umfangreichen Radziwiłłschen Güter, die nach der Eheschließung ihrer Besitzerin Louise Charlotte - sie war zuvor mit einem Sohn des Großen Kurfürsten verheiratet gewesen - mit Karl Philipp von Pfalz-Neuburg (seit 1716 Kurfürst von der Pfalz) an dessen Haus und danach an die Linie Pfalz-Sulzbach fielen, die sie später an den katholischen Nieświeżer Zweig der Radziwiłł abtrat. In diese Sache schaltete sich Friedrich der Große persönlich ein und hielt die Auslieferung des in Königsberg verwahrten Radziwiłłschen Archivs längere Zeit zurück, um so die Existenz der auf diesen Gütern vorhandenen protestantischen Kirchen zu sichern [2], wobei er an die Schutzpolitik seines Vaters für die polnischen Dissidenten anknüpfte. Bei der Betrachtung der Protestanten in der 1687 neben Tauroggen unter die Patronatsherrschaft der Hohenzollern gelangten Herrschaft Serrey ist auf einen auf Quellen im Berliner Geheimen Staatsarchiv beruhenden Beitrag des Rezensenten zu verweisen. [3]

Viele aufschlussreiche Details vermitteln auch die folgenden Kapitel über die wirtschaftlichen Grundlagen der evangelischen Kirchen (die beste finanzielle Verfassung besaß die reformierte Litauische Unität, deren wichtigste Auslandsvertretung sich in Königsberg befand), die konfessionellen Beziehungen zwischen Lutheranern und Reformierten, das häufig von Restriktionen bestimmte Verhältnis der Katholiken zur evangelischen Minderheit (zur Ausgrenzung des protestantischen Adels diente unter anderem der künstliche Gegensatz zwischen "polnischem" und "fremdem" Adel), die Rolle des protestantischen Adels bei der Verteidigung der Rechte der Protestanten und dessen Besonderheiten in Polen-Litauen unter den Wettinern. Ein wichtiger Forschungsansatz der durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis ergänzten und durch ein Orts- und Personenregister erschlossenen Studie ist die Hervorhebung der zentralen Bedeutung der Beziehungen zum nordeuropäischen Protestantismus - darunter auch Preußen - für die Herausbildung einer eigenen Kultur der evangelischen Gemeinschaft im polnisch-litauischen Unionsstaat des 18. Jahrhunderts, die die Aufnahme von Ideen der Aufklärung in der dortigen Gesellschaft begünstigte.


Anmerkungen:

[1] Wojciech Kriegseisen: Ewangelicy polscy i litewscy w epoce saskiej (1696-1763). Sytuacja prawna, organizacja i stosunki międzywyznaniowe [Polnische und litauische Evangelische in der Sachsenzeit (1696-1763). Rechtliche Lage, Organisation und interkonfessionelle Beziehungen], Warszawa 1996.

[2] Stefan Hartmann: Die Abgabe des Radziwillschen Archivs aus Königsberg im Kontext der preußisch-litauischen Beziehungen der frühen Neuzeit, in: Archivalische Zeitschrift 78 (1993), 257-278.

[3] Derselbe: Die preußische Herrschaft Serrey in Litauen, in: Inge Auerbach (Hg.): Felder und Vorfelder russischer Geschichte. Studien zu Ehren von Peter Scheibert, Freiburg 1985, 76-93.

Stefan Hartmann