Rezension über:

Christopher Ratté / Peter D. De Staebler (eds.): The Aphrodisias Regional Survey (= Aphrodisias; V), Mainz: Philipp von Zabern 2012, XII + 434 S., 358 Abb. und 2 Faltplänen, ISBN 978-3-8053-4560-6, EUR 89,90
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Rezension von:
Michael Blömer
Forschungsstelle Asia Minor, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Michael Blömer: Rezension von: Christopher Ratté / Peter D. De Staebler (eds.): The Aphrodisias Regional Survey, Mainz: Philipp von Zabern 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 5 [15.05.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/05/22801.html


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Christopher Ratté / Peter D. De Staebler (eds.): The Aphrodisias Regional Survey

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Umlandsurveys haben in den vergangenen 20 Jahren vielfach einen erheblichen Beitrag zu einem besseren Verständnis von der Entwicklung und vom Funktionieren antiker Städte in Kleinasien beigetragen. Damit einher ging ein Prozess stetiger Verfeinerung von Fragestellung und Methoden. Der zu besprechende Band, in dem die Ergebnisse des Aphrodisias-Surveys der Jahre 2006-2009 vorlegt sind, schreibt diese Entwicklung überzeugend fort. Er ist dabei umso wertvoller, als systematische Untersuchungen im Umland der bedeutenden karischen Stadt bislang weitgehend fehlten.

Um das weitläufige Untersuchungsgebiet, das dem antiken Territorium der Stadt entspricht, durch den Survey abdecken zu können, sind verschiedene Methoden miteinander verquickt worden. Einem extensiven Survey des gesamten Gebietes und sich daran anschließenden punktuellen intensiven Begehungen entdeckter Fundplätze stehen die Ergebnisse eines intensiven Surveys gegenüber. Dieser beschränkte sich auf vier 5 km lange Achsen, die von der Stadtmauer aus ins Umland führen. Hinzu kam ein intensiver Architektursurvey in einem Radius von 1 km um die Stadt.

Ergebnisse des Unternehmens werden in neun Beiträgen präsentiert. Eine Klammer bildet die Einleitung von Christopher Ratté (1-38). Sie fasst Ziele, Vorgehensweise und Resultate konzis zusammen. Der Leser wird anschaulich in die Topographie der Landschaft, in die Geschichte der Stadt und in die Forschungsgeschichte eingeführt. Sein Artikel mündet in einem diachron aufgebauten Resümee der Survey-Ergebnisse und ihrer historischen Implikationen.

Die darauf folgenden Beiträge widmen sich einzelnen Fundgruppen bzw. Arbeitsbereichen. So stellt Ratté als prominente archäologische Zeugnisse der vorhellenistischen Epoche insgesamt 12 Tumuli detailliert vor (39-58). Er deutet sie schlüssig als Hinweis auf den lydischen Einfluss auf die lokale Elite aristokratischer Landeigner, die vor der Polisbildung die Region beherrschten.

Peter D. de Staebler gibt eine Zusammenfassung der Keramikauswertung (59-86), wobei der gewählte Titel (Roman Pottery) insofern in die Irre führt, als auch hellenistische und byzantinische Keramik Beachtung findet. Wertvoll ist vor allem der erste Teil des Beitrags, der einen aktuellen Überblick zur Keramikchronologie und zu lokalen Waren in Aphrodisias gibt. Daran schließt sich eine knappe Darstellung des Keramikspektrums ausgewählter Fundstellen an.

Evelyn Adkins erläutert ausführlich Methoden und Ergebnissen des intensiven Surveys (87-134). Sie zeichnet dabei ein sehr differenziertes Bild von der Besiedlung des suburbanen Raums und deren Wandel im Laufe der Zeiten. Empfehlenswert ist die Lektüre aber auch wegen einer ausführlichen Methodendiskussion, auf deren Grundlage das eigene Vorgehen begründet wird.

Die Ergebnisse geoarchäologischer Untersuchungen präsentiert Carola Stearns (135-164). Von Bedeutung ist insbesondere die Präsentation der Marmoranalysen, in deren Rahmen auch grundsätzlich die Möglichkeiten (und Grenzen) der Bestimmung von Marmor diskutiert werden. Die Steinbrüche, darunter zahlreiche neu entdeckte, präsentiert Leah H. Long (165-201). Ihre sehr genaue Beschreibung erlaubt, ein differenzierteres Bild von der Marmorversorgung der Stadt zu zeichnen. Technische Aspekte des Abbaus und des Transports werden erhellend besprochen. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der abgebaute Marmor wohl nur lokal verwendet wurde. Für einen Export standen den Berechnungen nach kaum Kapazitäten zur Verfügung. Dass der Marmorhandel zur wirtschaftlichen Prosperität beitrug, ist damit unwahrscheinlich.

Mit einem wichtigen Wirtschaftssektor, der Olivenölproduktion, befasst sich Ian Lockey (203-237). Die Funde von Ölmühlen werden vorgestellt. Während der Kaiserzeit überwiegen kleine Anlagen im unmittelbaren Umfeld der Stadt, was darauf hindeutet, dass die Produktion in erster Linie auf den lokalen Verbrauch ausgerichtet war. Die einzige Anlage für eine quasi industrielle Produktion, deren hoher Ausstoß auf eine Produktion für den Export hinweist, stammt aus der Spätantike.

Die Fernwasserleitungen der Stadt stellen Angela R. Commito und Felipe Rojas vor (239-307). Mit knapp 70 Seiten ist ihr Beitrag der umfangreichste, was angesichts der Vielzahl und Qualität der neu gewonnenen Ergebnisse nicht überrascht. 6 Aquädukte, zum Teil über weite Strecken gut erhalten, wurden identifiziert und untersucht. Die kenntnisreiche und hervorragend illustrierte Darstellung sowie die Besprechung zahlreicher technischer Details machen den Beitrag für jeden Interessierten an antiker Wasserbautechnik lesenswert.

166 neu entdeckte Sarkophagfragmente präsentiert Heather N. Turnbow in ihrem Beitrag. Über den Katalog dieser Funde behandelt sie auch Fragen zu Lage und Gestalt der Nekropolen im Umland von Aphrodisias und stellt einige Grabbauten im Detail vor. Es folgt die Publikation der Inschriftenfunde durch Angelos Chaniotis (347-366). An eine Diskussion historischer Implikationen schließt sich ein Katalog an, in dem die insgesamt 25 Inschriften, darunter 20 Neufunde, vorgelegt und knapp kommentiert werden.

Abgeschlossen wird der Band mit einer Darstellung der christlichen Sakralbauten im Territorium von Aphrodisias ab. 15 Kirchen konnten nachgewiesen werden, deren Mehrzahl in der Spätantike bzw. in frühbyzantinischer Zeit entstand. Es folgen ein Fundstellen- und ein ausführlicher Sachindex. Zwei Faltpläne sind beigelegt.

Insgesamt sind alle Einzelbeiträge von ausgesprochen hoher Qualität. Manche Schlussfolgerungen zur historischen Entwicklung von Stadt und Umland werden freilich im Einzelnen zu diskutieren sein. So erstaunt etwa das postulierte dramatische Ausmaß des Bevölkerungsrückgangs auch auf dem Land nach dem 7. Jh. Hier stellt sich zum einen die Frage, inwieweit eine noch unzureichende Kenntnis der Keramik dieser Zeit das Bild verfälscht, zum anderen, ob die gewählte (und gut begründete) Mischung aus extensivem und intensivem Survey tatsächlich geeignet ist, ein verlässliches Bild zu zeichnen. Eine gewisse Unschärfe zeigt sich in der Bewertung mancher Fundstellen, etwa bei der Unterscheidung zwischen den Siedlungsformen settlement und farmstead. Zu betonen ist freilich, dass solche Schwierigkeiten von den Autoren selbst mehrfach thematisiert und diskutiert werden. Überhaupt zeichnet sich der Band durch ein hohes Maß der Methodenreflexion aus.

Zu bedauern ist lediglich, dass wichtige Resultate des Surveys eher beiläufig Erwähnung finden und manche der in der Einleitung angesprochenen Befunde in der Folge nicht mehr aufgegriffen werden. So vermisst man etwa Darstellungen der Siedlungen und Festungsanlagen der Frühzeit, obwohl diese an anderer Stelle bereits ausführlicher besprochen wurden. [1] Überhaupt sind die architektonischen Zeugnisse von Siedlungen und Gehöften aus dem extensiven Survey in diesem Band im Einzelnen nicht vorgestellt. Das gleiche gilt etwa für die Felsnekropolen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass ergänzend zum gedruckten Buch die gesamte Dokumentation des Surveys mit ihren Datenbanken im Internet zugänglich ist (http://deepblue.lib.umich.edu/handle.2027.42/89592). Dies wird es erlauben, die im Buch formulierten Ergebnisse im Detail nachzuvollziehen und zu überprüfen. Sie gibt zudem ein Instrumentarium an die Hand, um eigene Fragestellungen an das Material heranzutragen. Es ist zu hoffen, dass dieses Verfahren schon bald zum Standard wird, um die Survey- wie auch Grabungspublikationen inhärente Abhängigkeit der Leser von der Perspektive der Bearbeiter abzuschwächen.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Band die Kenntnis des Territoriums von Aphrodisias erheblich erweitert und viele neue Erkenntnisse zur Geschichte, Wirtschaft und Versorgung der Stadt liefert. Die Einzelbeiträge sind sämtlich überzeugend in Darstellung und Methode. Die sehr gute und sorgfältige Produktion rundet das positive Bild ab. Besondere Erwähnung verdient die hohe Qualität der sehr zahlreichen Textabbildungen, Tabellen, Pläne und Zeichnungen.


Anmerkung:

[1] Ch. Ratté: The Carians and the Lycians, in: F. Rumscheid (Hg.): Die Karer und die anderen, Bonn 2009, 135 - 147; Ch. Ratté: New Research on the Region around Aphrodisias, in: R. van Bremen / J.-M. Carbon (eds.): Hellenistic Caria, Bordeaux 2010, 253-267.

Michael Blömer