Rezension über:

Evelin Wetter: Mittelalterliche Textilien III. Stickerei bis um 1500 und figürlich gewebte Borten (= Textilsammlung der Abegg-Stiftung; Bd. 6), Riggisberg: Abegg-Stiftung 2012, 364 S., 202 Abb., ISBN 978-3-905014-50-1, CHF 280,00
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Rezension von:
Susan Marti
Historisches Museum, Bern
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Susan Marti: Rezension von: Evelin Wetter: Mittelalterliche Textilien III. Stickerei bis um 1500 und figürlich gewebte Borten, Riggisberg: Abegg-Stiftung 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 3 [15.03.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/03/21967.html


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Evelin Wetter: Mittelalterliche Textilien III. Stickerei bis um 1500 und figürlich gewebte Borten

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Der Schweizer Textilindustrielle Werner Abegg (1903-1984) legte mit seiner Stiftung bekanntlich das Fundament für eine der weltweit bedeutendsten Textilsammlungen und eine der wichtigsten Forschungs- und Ausbildungsstätten für Textilkunst. Er hatte bereits in jungen Jahren die Leitung des Familienimperiums oberitalienischer Textilfirmen übernommen, dieses 1947 verkauft und, nach mehrjährigem Aufenthalt in den USA, 1961 in der Schweiz die Abegg-Stiftung gegründet. Diese legt nun den dritten Sammlungskatalog zu ihrem mittelalterlichen Denkmälerbestand vor. [1]

Der Band umfasst nach einer Einführung 66 Katalognummern, die zu vier technisch unterschiedlichen, in sich jeweils chronologisch geordneten Objektgruppen zusammengefasst sind: 36 Stickereien aus dem 12. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert aus allen Teilen Europas, eine bestickte Brettchenborte, zehn Samitborten (sogenannte "Kölner Borten") und schließlich 19 Lampas- oder Florentinerborten, also aufwendig gewebte, nicht gestickte Textilien mit figürlichen Bildmotiven. [2] Zahlreiche dieser Werke sind hier erstmals veröffentlicht. Die einzelnen Katalogeinträge sind in einen ausführlichen technologischen Teil und in einen kunsthistorischen Kommentar gegliedert und reich bebildert. Ein Glossar, ein Orts-, Objekt- und Personenregister und eine englische Übersetzung aller einführenden Texte schließen den Band ab und machen ihn zu einem ausgesprochen benutzerfreundlichen Nachschlagewerk. Soweit die Äußerlichkeiten.

Das Sammlerehepaar und anschließend die Stiftung sammelten von Beginn an in breiter Perspektive und nicht vorwiegend Vorlagematerial für die zeitgenössische kunstgewerbliche Produktion, wie es die Kunstgewerbemuseen des 19. Jahrhunderts taten. Die Breite textiler Herstellungstechniken und der Charakter der Objekte als Kunstwerke standen stärker im Fokus als etwa kulturgeschichtliche, ethnologische oder alltagsgeschichtliche Aspekte (10). Die hier katalogisierte Sammlung umfasst unterschiedliche Typen figürlicher Stickereien für den liturgischen Gebrauch, von der textilen Fassung eines Reliquienschreines über einen großen Chormantel bis zu Altarverkleidungen und vielen Besätzen liturgischer Gewänder. Profane Werke fehlen. Die Stickereien stammen aus den unterschiedlichsten Regionen Europas, von Skandinavien bis Spanien und von Ungarn bis England. Es liegt in der Natur dieser ausschließlich durch Käufe aus dem Kunsthandel aufgebauten Sammlung, dass viele der Objekte historisch zusammenhangslos nebeneinander stehen und dass Provenienzen nur selten über das Erwerbsdatum hinaus zu rekonstruieren sind.

Mit bewundernswert breiter Objektkenntnis und dank intensiver Recherchen in den großen und auch in zahlreichen kleineren musealen wie kirchlichen Sammlungen gelang es der Autorin, für viele der Objekte Entstehungskontexte plausibel zu machen oder gar zugehörige Stücke ausfindig zu machen, beispielsweise auch in weniger bekannten ostmitteleuropäischen Sammlungen.

Dem Angebot des Kunsthandels entsprechend wurden vorwiegend Flachstickereien und mehrheitlich kleinformatige Werke und damit oft nur Teile eines verlorenen Ganzen erworben. Eine bereits beim Ankauf 1931 spektakuläre Ausnahme bildet das für den Salzburger Dom vermutlich in England geschaffene, in reichster "Opus-anglicanum-Technik" mit einer Wurzel Jesse bestickte Pluviale (Kat. 7), noch heute eines der Glanzstücke der Sammlung. Ein ähnlich außergewöhnliches, allerdings viel kleineres Objekt konnte die Stiftung 1999 aus dem französischen Kunsthandel erwerben - ein wahres Unikat in unserer Denkmälerkenntnis mittelalterlicher Textilkunst: eine Bortenkrone mit gestickten Medaillons (Kat. 1). Das Bildprogramm in feinster Goldstickerei verbindet die Autorin überzeugend mit Schriftquellen zum Ritus der Jungfrauenweihe und identifiziert die Stickerei somit als Nonnenkrone, wie sie bisher nur aus Bild- und Textquellen, nicht aber als Realie bekannt war.

Wie kaum eine andere Gattung mittelalterlicher Kunst ist die Textilkunst von Umnutzungen und vielfältigen Umarbeitungen geprägt, sodass für eine Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte bis in die Gegenwart eine minutiöse Untersuchung des Objektes in all seinen Teilen nötig ist. Gerade dies aber macht textile Werke auch zu besonders wertvollen Trägern kultureller Überlieferungen. Schnittveränderungen, neue Zusammensetzungen älterer Fragmente und neue Motiv- sowie Stoffzusammenstellungen geben beispielsweise Auskunft über den Umgang mit dem kulturellen Erbe bei vorreformatorischen Messgewändern, die im lutherischen Gottesdienst weiterbenutzt wurden. Zudem illustrieren derartige Maßnahmen die im Hinblick auf Absatzmöglichkeiten im Kunsthandel des 19. und 20. Jahrhunderts erfolgten Umdeutungen von Gewändern. Solche Veränderungen dokumentiert die Autorin sowohl bei den Katalognummern wie in ihrer Einleitung ausführlich (19-24). Daher ist dieser Sammlungskatalog nicht nur für Textilspezialisten äußerst wertvoll, sondern bietet Belege und Anregungen für weiterführende kunstgeschichtliche, liturgie- und kirchengeschichtliche, wirtschafts-, ökonomie- und technikgeschichtliche sowie sammlungs- und wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen. Es ist daher zu wünschen, dass das reich bebilderte und gut erschließbare Werk nicht nur von der textilgeschichtlichen Forschung, sondern auch von vielen anderen mediävistischen Fachdisziplinen genutzt wird und dazu beiträgt, textilhistorische Ergebnisse als selbstverständlichen Teil mediävistischer Forschungen zu verankern.


Anmerkungen:

[1] Zuvor erschienen sind: Karel Otavsky: Mittelalterliche Textilien I. Ägypten, Persien und Mesopotamien, Spanien und Nordafrika (= Textilsammlung der Abegg-Stiftung; Bd. 1), Riggisberg 1995, sowie Karel Otavsky / Anne E. Wardwell: Mittelalterliche Textilien II. Zwischen Europa und China (= Textilsammlung der Abegg-Stiftung; Bd. 5), Riggisberg 2011, zu den chinesischen, zentralasiatischen und frühen italienischen Seidengeweben.

[2] Zur Kölner Bortenweberei siehe auch die gleichzeitig erschienene und daher hier in diesem Band nicht berücksichtigte Publikation: Marita Bombek / Gudrun Sporbeck: Kölner Bortenweberei im Mittelalter. Corpus Kölner Borten, mit einem Beitrag und textiltechnischen Analysen von Monika Nürnberg (= Corpus Kölner Borten; Bd. 1), Regensburg 2012.

Susan Marti