Rezension über:

Katherine A. McIver (ed.): Wives, Widows, Mistresses, and Nuns in Early Modern Italy. Making the Invisible Visible through Art and Patronage (= Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot: Ashgate 2012, XVIII + 270 S., 56 s/w-Abb., ISBN 978-0-7546-6953-1, GBP 65,00
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Rezension von:
Ulrike Ilg
Institut für Kunstgeschichte, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Ilg: Rezension von: Katherine A. McIver (ed.): Wives, Widows, Mistresses, and Nuns in Early Modern Italy. Making the Invisible Visible through Art and Patronage, Aldershot: Ashgate 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 [15.11.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/11/21296.html


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Katherine A. McIver (ed.): Wives, Widows, Mistresses, and Nuns in Early Modern Italy

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Der Band versammelt zehn Fallstudien, die belegen sollen, dass Frauen der Aristokratie im Italien der Frühen Neuzeit eine sehr viel größere kulturelle Relevanz besaßen, als dies die vielfach immer noch androzentrische (kunst-)historische Forschung seit dem 19. Jahrhundert vermuten lässt.

Zwei der drei Studien des ersten, "Overshadowed, Overlooked: Historical Invisibility" betitelten Teils stellen Frauen vor, deren Betätigung auf dem Gebiet von Literatur und Architektur bislang keine angemessene Berücksichtigung fanden. Jennifer D. Webbs Beitrag gilt vier Frauen aus dem Geschlecht der Sforza, der Montefeltro und der Varano, die über eine solide humanistische Bildung, oratorisches und literarisches Talent, ja sogar über militärisches und politisches Geschick verfügten. Battista Montefeltro Malatesta (1383-1450) erscheint in dieser Hinsicht als Begründerin einer sich in der weiblichen Linie bis ins frühe 16. Jahrhundert fortsetzenden Tradition. Gleichzeitig macht Webb deutlich, dass ein solches Ausgreifen von Frauen in traditionell männlich konnotierte Bereiche nur dann möglich war, wenn die jeweilige Sippe den politischen und gesellschaftlichen Gewinn solchen Handelns erkannte.

Kimberly L. Dennis' Beitrag über Camilla Peretti und ihre Mitwirkung an der Errichtung der Villa Montalto schließt inhaltlich hier an. Dennis weist nach, dass erst die patriarchalische Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts die Figur der Camilla aus der Geschichte der Villa tilgte - zugunsten ihres Bruders, des späteren Papst Sixtus V. Tatsächlich erscheint Camilla jedoch in notariellen Akten als Käuferin von 12 der 18 Grundstücke, welche am Ende zur Villa gehörten. Dennis folgert hieraus, dass Camilla "Peretti bought the property of her own volition and for herself" (63) und dass sie als "business partner" ihres Bruders gehandelt habe (69). Keine Erörterung findet jedoch der Umstand, dass die aus einfachsten Verhältnissen stammende Camilla Peretti die 12.200 Scudi für den Landkauf aus der Kasse des Bruders erhalten haben muss - ein Umstand, der Dennis' These von der gleichberechtigten Geschäftspartnerschaft beider Geschwister entkräftet.

Deplatziert wirkt in der Sektion der Beitrag von Timothy McCall, der sich in keinster Form mit Fragen weiblicher Identität und Repräsentation in der Frühen Neuzeit auseinandersetzt. McCall arbeitet am Beispiel der Nachkommenschaft des Pier Maria Rossi heraus, dass der Status der Legitimität bzw. Illegitimität anders als in der Moderne keinen unabänderlichen sozialen Status darstellte. Dies versucht McCall anhand eines Gemäldes von Lorenzo Lotto im Museo di Capodimonte zu illustrieren, das die Madonna mit Petrus Martyr und Johannesknaben zeigt. Röntgenaufnahmen beweisen, dass sich an der Stelle des Johannes ursprünglich eine andere, nachträglich eliminierte Figur befand. McCall will in ihr den mutmaßlichen Stifter Bernardo Rossi erkennen. Dessen Gestalt sei im Sinne einer "damnatio memoriae" auf Wunsch eines Nachkommen des enterbten Sohns des Pier Maria Rossi entfernt worden.

Mit seiner Interpretation verbindet McCall zwei durch keinerlei visuellen Befund gesicherte Hypothesen von Gerolamo Biscaro und Francesca Cortesi Bosco. [1] McCall präsentiert sie hier nun plötzlich als Fakten, auf die er wiederum eigene Mutmaßungen aufbaut. Cortesi Bosci hatte erneut Bernardo Rossi als Auftraggeber ins Spiel zu bringen versucht. Obwohl sie zu Recht eingestand, dass für das Entfernen der Figur auf Lottos Marienbild durchaus auch "banali ragioni devozionali" verantwortlich gewesen sein könnten, zitiert McCall sie kurzerhand als Zeugin dafür, dass Bernardo Rossi de facto ursprünglich als Stifter auf der Marientafel dargestellt war (44f., Anm. 89). Ebenso leichtfertig formuliert sind einige Bildunterschriften (s. Abb. 2.6 und 2.7). Schließlich mutiert die ebenfalls im Hintergrund gezeigte Burg, die Cortesi Bosco noch vorsichtig als Anspielung auf typische landschaftliche Gegebenheiten von Rossis "terra natale" bei Parma interpretierte, bei McCall zu einem topografischen Porträt des Kastells von Torrechiara, ohne dass sich der Autor daran stören würde, dass von den charakteristischen vier Türmen des Kastells auf Lottos Bild nur drei gezeigt sind.

Weitere drei Beiträge des Bandes sind unter der Überschrift "Becoming Visible Through Portraiture" Problemen der Porträtdarstellung gewidmet. Allyson Burgess Williams analysiert gesicherte Porträts der Lucrezia Borgia aus ihrer Zeit als Herzogin von Ferrara. Burgess Williams arbeitet heraus, wie die Gemahlin des Alfonso I. d'Este ihr Bild in Medaillen, Gemälden und Goldschmiedearbeiten planvoll kontrollierte. Lucrezia habe die bei ihrer Ankunft kursierenden Gerüchte über ihre zweifelhafte Reputation zum Verstummen bringen wollen, indem sie in ihren Porträts auf Eigenschaften wie Keuschheit, Frömmigkeit und Loyalität gegenüber ihrer neuen Ferrareser Familie und auf ihre Stellung als Garantin der dynastischen Sukzession abhob.

Mary E. Frank befasst sich mit der Ikonografie des "Telero Zen" von Palma il Giovane. Frank belegt über den Vergleich mit einem gesicherten Bildnis auf dem Altarbild der Morosini-Kapelle in San Giorgio Maggiore, dass es sich bei der Darstellung der Dogaressa Zen auf dem "Telero" um ein Kryptoporträt der Cecilia Pisani Morosini handelt. Franks weiterführende Überlegungen zur Ikonografie des "Telero Zen" überzeugen jedoch weniger. So bringt sie ein im Hintergrund des Bildes erkennbares Datum mit der letztendlich gescheiterten Kandidatur Vincenzo Morosinis zum Dogen in Verbindung. Obwohl die Erwähnung eines bestimmten Tages nahelegt, dass sich der Maler hier auf ein ganz konkretes Ereignis bezog, vermag Frank doch kein solches zu benennen. Auch bleibt ungeklärt, warum Palma auf diesem Gemälde, "ready to be installed in October 1585" (114), auf die bereits im August 1585 gescheiterte Kandidatur Morosinis und damit auf einen politischen Misserfolg des Prokuratoren hätte anspielen sollen.

Marjorie Och untersucht Giorgio Vasaris literarisches Porträt der Bildhauerin Properzia de' Rossi. Och sieht Vasaris Vorstellung weiblicher Künstlerschaft wesentlich beeinflusst vom Beispiel der Dichterin Vittoria Colonna. Colonnas autobiografisch geprägtes literarisches Schaffen sei für Vasari zum Modell weiblicher Kreativität schlechthin geworden. Deshalb verstehe Vasari in seinen "Vite" die künstlerischen Werke der Properzia de' Rossi als Spiegel ihrer Persönlichkeit und Biografie. Leider übersieht Och hier jedoch, dass Vasari auch in Lebensbeschreibungen männlicher Künstler deren Werk gerne in Korrelation sieht zu Biografie und persönlichem Charakter. Diese Art der Werkinterpretation ist bei Vasari also keineswegs spezifisch für den Umgang mit dem Phänomen weiblicher Künstlerschaft.

In der dritten Sektion des Sammelbandes, "Spatial Visibility Reconstructed", liefert Alison A. Smith mit Verona einen weiteren Beleg für die bereits seit den späten 1990er-Jahren zunächst im Kreis feministischer Historikerinnen aufgekommene Einsicht, dass sich das Frauenleben in der Renaissance nicht in Form eines binären Gegensatzes zwischen (männlich konnotierter) öffentlicher und (weiblich konnotierter) privater Sphäre vollzog. [2] So weist Smith nach, dass in Verona zum Teil extrem differenzierte und umfangreiche Patrizierhaushalte existierten, die von Frauen geführt wurden. Sie pflegten soziale Netzwerke, die dem gesellschaftlichen Aufstieg ihrer männlichen Familienangehörigen dienen sollten, und sie fungierten somit als Bindeglieder zwischen den Bereichen des "Privaten" und "Öffentlichen".

Katherine McIver illustriert mit einer beeindruckenden Fülle von Belegen, wie Frauen sich in der Frühen Neuzeit als Auftraggeberinnen von Adelspalästen hervortaten und nicht selten auch technische Verständnisse der Baukunst besaßen. Grundvoraussetzung weiblicher Bauherrenschaft im Bereich der weltlichen Architektur, so McIver, war das Vorhandensein eines eigenen, von Mann und Mitgift unabhängigen Vermögens (163). Gerne bekundeten die Frauen dann auch ihre Rolle als Bauherrin mit demselben Stolz wie ihre männlichen Standesgenossen.

"Wives, Widows, Mistresses, and Nuns" schärft mit seinen Beiträgen das Bewusstsein dafür, dass Frauen in der Frühen Neuzeit tatsächlich eine neue Visibilität gewannen. Eine Revision überkommener Positionen der kunsthistorischen Italienforschung vermag hier neue Perspektiven zu öffnen. Dennoch kann man sich bei der einen oder anderen Studie nicht des Eindrucks erwehren, dass bei der Neubewertung der historisch überlieferten Fakten mit einiger Großzügigkeit zu Werk gegangen wurde.


Anmerkungen:

[1] Gerolamo Biscaro: Ancora di alcune opere giovanili di Lorenzo Lotto, in: L'Arte 4 (1901), 152-161; Francesca Cortesi Bosco: La Madonna col Bambino e i Santi Pietro Martire e Giovanni Battista di Capodimonte: devozione o 'damnatio memoriae'?, in: Venezia Cinquecento 10/19 (2000), 71-132.

[2] Grundlegend beispielsweise Heide Wunder: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hg. von Ute Gerhard, München 1997, 27-54.

Ulrike Ilg