Rezension über:

Bernd-Ulrich Hergemöller / Nicolai Clarus: Glossar zur Geschichte der mittelalterlichen Stadt, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011, 624 S., ISBN 978-3-631-61957-5, EUR 79,80
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Rezension von:
Andreas Deutsch
Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Redaktionelle Betreuung:
Jessika Nowak
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Deutsch: Rezension von: Bernd-Ulrich Hergemöller / Nicolai Clarus: Glossar zur Geschichte der mittelalterlichen Stadt, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 [15.11.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/11/20989.html


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Bernd-Ulrich Hergemöller / Nicolai Clarus: Glossar zur Geschichte der mittelalterlichen Stadt

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Ein handliches Nachschlagewerk zum Wortschatz der mittelalterlichen deutschsprachigen Städte war schon seit längerem ein Desiderat, denn Großwörterbücher wie das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm (DWB), das Mittelniederdeutsche Wörterbuch von Lasch-Borchling oder das Deutsche Rechtswörterbuch (DRW) sind (auch im Internetzeitalter) nicht immer und überall leicht zu greifen, zudem sind sie oft (so im Falle der beiden Letztgenannten) noch bei weitem nicht bis ins "Z" zu Ende bearbeitet. Werke wie der "Haberkern-Wallach" oder gar einschlägige Lexika (Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Lexikon des Mittelalters) haben keinen derart quellennahen Ansatz.

Das von Hergemöller und Clarus vorgelegte "Glossar zur Geschichte der mittelalterlichen Stadt" ist dreigeteilt: Nach Einleitung, Quellen- und Abkürzungsverzeichnis folgt von Seite 43 bis Seite 382 das "Glossar Deutsch - Neuhochdeutsch". Den zweiten Teil bildet das "Glossar Lateinisch - Neuhochdeutsch" (385-523) und den dritten Teil der "Zentralindex Neuhochdeutsch - Deutsch/Lateinisch" (527-623). Diese Dreiteilung soll es ermöglichen, jedes für das Glossar ausgewählte Wort in der Quelle vorgefundenen Schreibweise abzubilden, und zwar - je nachdem ob das Wort deutsch oder lateinisch ist - im ersten oder zweiten Glossar. Beide Glossare sind somit als Nachschlagewerk von der "historischen Quellensprache" ins "heutige Deutsch" gedacht (ähnlich wie die Schreibformensuche in der DRW-Onlineversion); der Zentralindex liefert dann nicht nur die Nachschlagefunktion in die umgekehrte Richtung, sondern auch eine gewisse Verschlagwortung. Die Vorteile dieses Konzepts für ein Hilfsmittel beim Studium historischer Quellen liegen auf der Hand.

Naturgemäß kann der Nutzer nicht damit rechnen, alle die mittelalterliche Stadt betreffenden Wörter im "Hergemöller-Clarus" zu finden. Laut Einleitung (7) enthält das Werk "rund viertausend mitteldeutsche [!] und circa zweitausend lateinische Vokabeln". Mit "mitteldeutsch" ist hierbei mittelhochdeutsch und mittelniederdeutsch gemeint (14). Insgesamt finden sich darin also rund 6.000 Wortartikel - zum Vergleich: das DWB enthält rund 320.000 Stichwörter und das DRW bislang immerhin gut 90.000. Die Zahl der im "Hergemöller-Clarus" berücksichtigten Wörter reduziert sich nochmals dadurch, dass etliche Wörter gleich mehrere Artikel erhalten haben, da den Bearbeitern (ohne Rücksicht auf die - dem Nutzer fraglos oft schwer durchschaubare - Etymologie) bereits eine unterschiedliche Schreibweise als Kriterium für einen neuen Lemmaansatz genügte: So finden sich im deutschen Glossar separate Artikel zu "boveryge", "bubery" und "pubirey", zu "dopelspele" und "topelspel", zu "fuß" und "vote" sowie zu "kanifas" und "kannepvas". Im lateinischen Glossar haben getrennte Artikel "feudum" und "pheodum", "bedellus" und "pidellus", "coemiterium", "simiterium" und "symitorium", um jeweils nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Mit deutlich weniger als 6.000 behandelten Wörtern konnte es Hergemöller und Clarus somit keinesfalls um Vollständigkeit gehen, vielmehr wollten sie dem "Erfordernis eines leicht zugänglichen Ausgangsvokabulars" nachkommen (13). Bewusst wählten sie die Bezeichnung Glossar, "um anzuzeigen, dass das Werk weder mit einem Wörterbuch noch mit einem historisch ausgerichteten Lexikon [...] identisch ist", und zwar weil es sich einerseits "auf einen Teilbereich des lexikographischen Bestandes" beschränkt, andererseits "auf längere schriftliche von unterschiedlichen Fachgelehrten verfasste Erläuterungen" verzichtet (14). Um die Wortauswahl zu kanalisieren, wurden vier stadtgeschichtliche Schwerpunkte herausgearbeitet und deren Termini dann bevorzugt berücksichtigt; dies sind: Recht und Verfassung, Architektur und bauliche Gestaltung, die Wahrnehmung ökonomischer, militärischer und religiöser Funktionen und die sozialgeschichtliche Binnendifferenzierung (vgl. 15, sowie - etwas ausführlicher 8 f.).

Trotz der genannten Doppelungen können in einem einbändigen Werk logischerweise nicht alle denkbaren historischen Schreibungen abgebildet werden, die Lemmaansätze im "Hergemöller-Clarus" können daher nur exemplarisch verstanden werden - mit der Folge, dass nicht selten ein wenig Phantasie dazugehört, um ein gesuchtes Wort zu finden. Dies gilt besonders für lateinische Wörter, da diese regelmäßig nicht über den (neuhochdeutschen) Zentralindex erschlossen werden. Schwer aufzufinden sind daher beispielsweise "cella" unter "zella", "incola" unter "yncola" und "hypotheca" unter "ypoteca". "Poena" ist nur unter "pena" behandelt, "praedium" unter "predium", "territorium" unter "teratorium".

Für die Wortsuche ist es zudem wichtig zu wissen, dass Hergemöller und Clarus bereits eine (bisweilen eher zufällige) lateinische Flektion deutscher Wörter genügte, um für sie (zum Teil zusätzlich) einen Artikel im lateinischen Glossar anzulegen, vgl. z.B. "bargildi" (Bargilden), "dagewardus" (Tagwart), "dienestmannus" (Dienstmann), "pfalburgerius" (Pfahlbürger), "ungeltum" sowie "ungheldus" (Ungeld) und schließlich "wercum" (Werk).

Sicherlich aufgrund der vergleichsweise geringen Materialbasis des Glossars kommt es gelegentlich zu Ungenauigkeiten in der Bearbeitung. Exemplarisch seien hierfür die auf den Seiten 282 und 283 abgedruckten Artikel herangezogen: So findet sich ein Artikel "schultam", ein Wort, das es so jedoch nicht gibt; das belegte Wort lautet in Wirklichkeit "schultammechte". "Schuppestuel" wird mit "Schöffenstuhl" erklärt, tatsächlich handelt es sich um einen "Schupfestuhl", also jenes Gerät zum Vollzug von Ehrenstrafen, das unter "schupffe (schuphe) " richtig gedeutet, unglücklich aber auch als Folterinstrument bezeichnet wird. Unter "schuochsuter" (Schuster) wird auf ein separates Wort "schnuchsüter" verwiesen - in der maßgeblichen Ausgabe der zitierten Straßburger Chronik von Closener steht allerdings "schuchsueter" (ohne "n", dafür mit e über dem u). Wer lexikographisch tätig ist, weiß freilich, wie leicht sich derartige Ungenauigkeiten einschleichen; sie sollten den Blick auf die Gesamtleistung nicht verstellen.

Fazit: Der "Hergemöller-Clarus" ist ein preiswertes, handliches Nachschlagewerk, das für den täglichen Gebrauch hilfreich sein kann; Lücken und einzelne Ungenauigkeiten sind der (wohl kaum zu vermeidende) Preis für die knappe Darstellung.

Andreas Deutsch