Rezension über:

Zosia H. Archibald / John K. Davies / Vincent Gabrielsen (eds.): The Economies of Hellenistic Societies. Third to First Centuries BC, Oxford: Oxford University Press 2011, XVIII + 460 S., mit 28 s/w-Abb und 3 Karten, ISBN 978-0-19-958792-6, USD 165,00
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Rezension von:
Patrick Reinard
Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Reinard: Rezension von: Zosia H. Archibald / John K. Davies / Vincent Gabrielsen (eds.): The Economies of Hellenistic Societies. Third to First Centuries BC, Oxford: Oxford University Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/21064.html


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Zosia H. Archibald / John K. Davies / Vincent Gabrielsen (eds.): The Economies of Hellenistic Societies

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Der vorliegende Sammelband, der aus einem Kopenhagener Kolloquium ("Demand Creation and Economic Flows" 2006) resultiert, steht in einer Tradition mit zwei von den gleichen Herausgebern in der jüngeren Vergangenheit edierten Bänden zur hellenistischen Wirtschaftsgeschichte. [1] Der Band beinhaltete 19 Aufsätze samt einer Einleitung von Archibald und Davies sowie eines kurzen Nachworts von Gabrielsen. Die Beiträge lassen sich, wie in der Einführung unterstrichen wird (14f.), in weitgefasste Themenbereiche kategorisieren: etwa regions, regionalism and regional economies; manpower, movement und mobility; money und monetization process; management. Die meisten Aufsätze situieren aber in eine Schnittmenge aus diesen einzelnen Einteilungen. Zudem ist allen Beiträgen die Leitfragestellung nach "demand creation" in hellenistischen Gesellschaften gemein.

Nach einem Überblick über die aktuelle Forschungslage folgte eine Erläuterung, warum die Herausgeber an ihrer bereits in den früheren Bänden erprobten quellennahen "bottom up"-Methode festhalten, anstatt einen theorielastigeren Zugang zu wählen. Zudem wird die Verwendung des Begriffs "individual" als "any entity - single person or collective" (5) anhand von drei Quellenbeispielen verdeutlicht. Diese werden im Nachwort durch ein viertes Exempel ergänzt. Die Editoren zeigen anhand dieser ausgewählten Quellen, wie zentral letztlich die Betrachtung individueller Entscheidungen und Verhaltensweisen für die Erforschung von "demand creation" und den anknüpfenden Fragstellungen ist.

Im Folgenden können nicht alle Beiträge gewürdigt werden. Die nötige Auswahl spiegelt die Interessen des Rezensenten, keinesfalls aber eine Wertung der Beiträge wider.

L. Criscuolo (Observations on the Economy in Kind in Ptolemaic Egypt, 166-176) hinterfragt eine oft vertretene These: die in Ptolemäischer Zeit eingeführte Monetarisierung habe die indigene Bevölkerung weniger berührte als die griechisch-makedonische; die ägyptischen Bewohner hätten vielmehr eine aus vorhellenistischer Zeit bewahrte Naturalwirtschaft beibehalten. Diese Ansicht kann Criscuolo durch eine Auseinandersetzung mit der papyrologischen Evidenz korrigieren. Der Aufsatz überzeugt durch eine umsichtige Auswertung privater und offizieller Papyrusdokumente.

Gesellschaftliche Verbindungen, erzeugt durch personale Mobilität, liegen jedem wirtschaftlichen Handeln zugrunde. Diese Perspektive ist in der älteren Forschung zur antiken Wirtschaft bisher nur bedingt berücksichtigt worden. Drei Aufsätze des Bandes setzen hier einen Schwerpunkt, indem sie sich mit einer sozialgeschichtlichen Komponente, die durch die Betrachtung von sozialen Netzwerken erarbeitet wird, befassen. Z. Archibald (Mobility and Innovation in Hellenistic Economies: The Causes and Consequences of Human Traffic, 42-65) führt den Zusammenhang zwischen Mobilität und technisch-wissenschaftlichem Fortschritt vor Augen. Der Versuch mittels einer Netzwerk-Analyse die antiken Verhältnisse zu erläutern, ist vielversprechend und zeigt möglichen Erkenntnisgewinn auf.

J. G. Manning (Networks, Hierarchies, and Markets in the Ptolemaic Economy, 296-323) betrachtet in einer umsichtigen Studie die Funktion von Netzwerken in der Wirtschaft des Ptolemäerreiches. Nach einer Einführung und Bemerkungen zum Bestreben, ökonomische Knotenpunkte institutionell zu etablieren, betrachte er personale Netzwerke. Anhand des Beispiels des Kleruchenlandes in Tholthis und dessen wirtschaftlicher Nutzung mittels griechischer Mittelsmänner, die zwischen den Landbesitzer und den Landpächter treten, werden vielschichtige Verbindungen verdeutlicht. Durch das Exempel des Tempeldieners Ptolemaios, der im Serapeion unweit von Memphis "inhaftiert" war und mit Textilien handelte, zeigt Manning auf, wie durch persönliche Kontakte wirtschaftliche Verbindungen entstehen. Auch in staatlich-ökonomischen Angelegenheiten lassen sich vergleichbare "Netzwerk-Gebilde" aufzeigen. Neben diesen personalen Verbindungen skizziert Manning im zweiten Teil seines Aufsatzes die Ptolemäischen Bemühungen, Kontakte nach Nubien zu entwickeln. Durch das Interesse, Kriegselefanten zu besitzen, sei diese Kontaktaufnahme motiviert gewesen, durch das Etablieren von "small world networks" ausgestaltet worden. Manning unterstreicht nicht nur die Bedeutung genauer Analysen sozialer Netzwerke, welche jeder Form des wirtschaftlichen Handelns gemein seien, sondern deutet in der Zusammenfassung seines Beitrags auch auf den weiteren Forschungsbedarf hin.

G. J. Oliver (Mobility, Society, and Economy in the Hellenistic Period, 345-367) betrachtet die Auswirkungen personaler Mobilität auf Städte. Er eruiert die Motivation von Menschen, Städte zu verlassen, sowie die Strategien, die entwickelt worden sind, um Anwohner auf lange Zeit ansässig werden zu lassen. Auch in Olivers Studie spielt die Untersuchung sozialer Netzwerken eine wichtige Rolle: "such ties or networks made communities attractive and sustainable" (363).

Gary Reger (Inter-Regional Economies in the Aegean Basin, 368-389) versucht in seinem Beitrag die Begriffe "local", "regional" und "inter-regional" zu erklären bzw. theoretisch Möglichkeiten zu entwickeln, die helfen sollen, die Termini für wirtschaftsgeschichtliche Forschungen zu schärfen und überhaupt eine Möglichkeit zu erschließen, wie eine "Region" erkannt werden kann. Zunächst werden unter geographischen, ethnischen und politischen Aspekten unterschiedliche Definitionen und Überlegungen angeführt, die bei der Beantwortung auf die Frage, was denn überhaupt eine "Region" sei, helfen sollen. Im Abschnitt "Testing Regional and Inter-Regional Trade" (378ff.) wird u.a. anhand numismatischer Evidenz versucht, Regionen zu erkennen. Die Überlegungen Regers sind als Gewinn zu betrachten, nicht weil sie das aufgezeigte Problem lösen, sondern weil sie verdeutlichen, wie vielschichtig, aber zugleich auch zentral die Frage nach den begrifflichen Tiefen der besagten Begriffe ist, die doch für die Erklärung und Darstellung wirtschaftlicher Phänomene immer Verwendung finden. Die Frage, ob man dank archäologischer Funde Regionen eruieren kann, in welchen sich wirtschaftliche Abläufe abspielen, und ob manche Funde und Befunde interregional, regional oder lokal sind, bedarf weiterer kritischer Forschung, muss stets für unterschiedliche Erzeugnisse differenziert werden und sollte eine sozial-gesellschaftliche Sicht nicht außer Acht lassen.

Die Tierhaltung im Ptolemaischen Ägypten wird von D. J. Thompson (Animal Husbandry in Ptolemaic Egypt, 390-401) untersucht. Dabei steht die Haltung von Schafen und Ziegen im Vordergrund, während die Schweine- sowie die Haltung von größeren Tieren, die durch ihren Einsatz in Transport und Landwirtschaft zusätzliche ökonomische Relevanz besitzen, außer Acht gelassen werden. Als Quellenbasis werden lediglich offizielle Papyri gewählt, private Texte werden ausgeklammert. Zu Recht betont Thompson, dass Immigranten im Vergleich zur indigenen Bevölkerung einen größeren Anteil an der ökonomischen Tierhaltung hatten. Thompson versucht anhand der Papyri drei Zusammenhänge zu verdeutlichen: 1. Tierhaltung als "source of wealth for both the settlers (in terms of income) and the crown (in terms of tax revenue)" (390); 2. den Anteil der Tierhaltung an der "progressive monetization of Egypt" (390); und 3. die Dependenz ländlicher Tierhaltung mit urbanen Zentren. Während der erste Teilaspekte breit ausgearbeitet wird, sind die beiden letzteren nur kurz dargelegt worden (399f.). Besonders die Verbindung von Herdenhaltung auf dem Land und dem Absatz der dadurch erbrachten Produkte (z.B. Käse, Wolle) in den Siedlungszentren wäre durch eine Vertiefung anhand einer breiteren Quellenbasis sicherlich lohnend.

S. von Reden (Demand Creation, Consumption, and Power in Ptolemaic Egypt, 421-440) betrachtet die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Nachfrage, Konsum, Markt, Münzprägung, sozial-gesellschaftlicher Gegebenheiten und politischer Herrschaft im hellenistischen Ägypten: So haben bspw. der Dionysos- und auch der Kult für Arsinoe II. nicht nur politische Bedeutung, sondern auch wirtschaftliche Wirkung bis in die Chora gehabt. Die Ausarbeitungen zu den Monopolen im Ptolemäischen Ägypten ebenso wie die Überlegungen zu Veränderungen in Produktion und Verhandeln des ägyptischen Getreides überzeugen und verdeutlichen die Zusammenhänge unterschiedlicher Faktoren, die letztlich die Grundaspekte von Angebot und Konsum konstituieren.

Der Band bietet 19 Studien, die unterschiedliche Bereiche der hellenistischen Ökonomie unter einer zwar weitgefassten, aber dennoch allen gemeinen Fragestellung bearbeiten. Nicht nur die Einzelergebnisse stellen im Speziellen einen Forschungsgewinn dar, sondern auch der Band als Ganzes. Freilich wird hier keine Gesamtdarstellung der hellenistischen Wirtschaftsgeschichte geboten. Ebenso wenig wird ein neues theoretisches Modell, das beim Verständnis der historischen Gegebenheiten hilft, vorgestellt. Beides, eine detailreiche Gesamtdarstellung, wie auch ein Modell, scheinen bei der Fülle der zur Verfügung stehenden Quellenevidenz ohne sich allzu sehr im Generalisierenden zu ergehen oder geographische Schwerpunkt zu setzen, kaum möglich. Sollten diese Unterfangen dennoch zukünftig gewagt werden, müssen die hier dargereichten Beiträge als wichtige Grundlage erachtet werden, die das Verständnis der hellenistischen Wirtschaft weiter erhellen und Problemstellungen besser begreiflich machen. So darf sich der Rezensent den Worten der Editoren anschließen, die hinsichtlich eines gänzlichen Verstehens der hellenistischen Wirtschaft und der Darstellbarkeit selbiger in Form eines Modells, ausführen: "The nature of what an understanding would comprise is becoming clearer" (13).


Anmerkung:

[1] Z. H. Archibald / J. Davies / V. Gabrielsen / G. J. Oliver (eds.): Hellenistic Economies, London / New York 2001; H. H. Archibald / J. K. Davies / V. Gabrielsen (eds.): Making, Moving and Managing. The New World of Ancient Economies, 323-32 BC, Oxford 2005. Als aktuellste Forschungsgrundlage zur hellenistischen Wirtschaft ist zudem R. Descat (éd.): Approches de l'économie hellénistique, Saint-Bertrand-de-Comminges 2006 heranzuziehen.

Patrick Reinard