Rezension über:

Susanne Klemm: Straßen für den Steirischen Erzberg. Archäologisch-historische Altstraßenforschung in der Steiermark, 16.-18. Jahrhundert (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark; Bd. 51), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011, 267 S., 159 Abb., ISBN 978-3-643-50202-5, EUR 29,90
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Rezension von:
Harald Heppner
Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität, Graz
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Harald Heppner: Rezension von: Susanne Klemm: Straßen für den Steirischen Erzberg. Archäologisch-historische Altstraßenforschung in der Steiermark, 16.-18. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/20718.html


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Susanne Klemm: Straßen für den Steirischen Erzberg

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Es wird wenige Beispiele innerhalb Europas geben, bei denen die politische Regierung eines Landes (innerhalb eines Bundesstaates) ein akademisches Fachgremium nach Art einer Gelehrtengesellschaft unterhält, die die Aufgabe hat, sich im Wege der Forschung der Vergangenheit dieses Landes zuzuwenden. Im Fall der Steiermark trifft dies zu, wo die formell dem Landeshauptmann unterstellte Historische Landeskommission seit Jahrzehnten zusätzlich zu den Aktivitäten an der Universität Graz und des Historischen Vereins für Steiermark Forschungen zu Archäologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Ethnologie etc. betreibt und veröffentlicht.

Der Fokus auf eine konkrete Region bzw. auf beschränkte Schauplätze zwingt, ein fächerübergreifendes Interesse zu entwickeln, was im vorliegenden Fall dazu führt, dass die verkehrsgeschichtliche Themenstellung die Fächer Archäologie und Geschichtswissenschaft zusammenführt. Die Altstraßenforschung beruht auf zwei Motiven: Zum einen gilt es Gesellschaften früherer Zeitalter in deren Verknüpfung mit der Dimension des Räumlichen auszuloten, wodurch entweder politisch-militärische oder wirtschaftlich-technische Komponenten angesprochen sein können; zum anderen zwingen die aktuellen Veränderungen in der realen Landschaft, Spuren früherer Zeiten noch rechtzeitig zumindest zu evidenzieren, ehe sie unwiederbringlich verloren gegangen sind. Die Altstraßenforschung unterliegt somit sowohl dem Interesse nach Sicherung von Erkenntnismöglichkeiten über die vor allem der Moderne entrückte Vergangenheit an sich als auch den Schlussfolgerungen über das Funktionieren von Kreisläufen in bestimmten Räumen, Zeiten oder gesellschaftlichen Kreisen bzw. der Analyse technischer Standards.

Die Altstrassenforschung innerhalb Österreichs ist weder ein breit verankertes thematisches Forschungsanliegen noch wird sie über die Grenzen der Bundesländer hinweg angedacht und betrieben; deshalb unterliegt es größtenteils dem Zufall, wer sich derartigen Fragestellungen unterzieht, wer derartige Bemühungen fördert, was dabei schließlich herauskommt und wer die Resultate in welcher Weise verarbeitet. Demzufolge bettet sich die Studie über die Straßen zum Steirischen Erzberg nicht in ein dichtes Untersuchungsnetzwerk ein, sondern teilt das Schicksal vieler anderer Forschungsansätze, als singulär bezeichnet werden zu können.

Die grundlegenden zwei Ansätze dieser Studie sind folgende: 1. Der im gebirgigen Teil der Steiermark gelegene Erzberg, der seit der Römerzeit Mensch und Arbeit anzog, spielte für weit mehr als bloß das Herzogtum, das sich ja erst im Lauf des Hochmittelalters als Bestandteil eines Länderkonglomerats herausbildete, eine Rolle, nämlich ein Abbaugebiet für einen Bodenschatz von unverzichtbarer überregionaler Bedeutung zu sein, weshalb es nahe liegt, allen dahin führenden Verkehrswegen nachzugehen; 2. maßgeblich für eine möglichst zweifelsfreie Rekonstruktion von Altstraßen ist der archäologische Befund.

Eine solche Fragestellung ergab die Notwendigkeit, sich folgenden Routen zuzuwenden: Der "Eisenstraße" (Vorläufer der Bundesstraße 115), der Altstraße über die Eisenerzer Ramsau ins Radmertal, der Altstraße über das Teichenegg Richtung Liesingtal, der Altstraße über die Eisenerzer Höhe Richtung Wildalpen, der "Dreimärktestraße" (Vorläufer der Bundesstraße 25), der Altstraße im Raum Hochschwab (Bundesstraße 24) und der Altstraße entlang des Salzaflusses (Landesstraße 714). Alle diese Schauplätze wurden in den 1990er Jahren nicht ohne Mühsal archäologisch untersucht und die daraus resultierenden Ergebnisse mit dem historischen und hiermit geschichtswissenschaftlichen Hintergrund verknüpft und dargestellt. Es versteht sich aus topographischen und funktionalen Gründen, das die "Eisenstraße" nach Süden über den Präbichl nach Vordernberg (bzw. später bis zum Eisenhüttenstandort Donawitz) die wichtigste Route darstellt, weshalb zu ihrer geschichtlichen Bedeutung auch am meisten Material aufzubringen und zu analysieren war, während die anderen Trassen nur periphere Wichtigkeit zugewiesen bekommen hatten und daher auch weit weniger archäologische Funde anfielen.

Die nach über 200 Seiten Haupttext auf 12 Seiten zusammengefassten Ergebnisse der Untersuchung liefern reichhaltige Einblicke zu den einstigen Trassenführungen, zu den für den Straßenbau bzw. die einstige Straßenerhaltung zuständigen Personen bzw. Arbeitsgruppen, zu den baulichen Komponenten der betreffenden Routen, zu den unterschiedlichen Artefakten, die mittels Grabungen ausfindig gemacht werden konnten, aber auch zu den Methoden und den damit verbundenen Schwierigkeiten für die Forschung in einer Zeit, wo moderne Bautechnik, Gewinnstreben und Bürokratie grundsätzlich wenig Sinn für die Bewahrung von Altem und unnütz Erscheinendem aufbringen. Das Literatur- und Quellenverzeichnis offenbart, dass das aus dem 18. Jahrhundert oder später stammende Kartenmaterial wertvolle Hinweise auch für Zeiten liefern konnte, als noch nicht das Prinzip der Raumvermessung angewandt worden war, dass die allgemeine Fachliteratur eine Reihe von Einsichten zu liefern hatte, die aus der Spezialforschung allein nicht zu generieren waren, aber auch, dass die Autorin schon eine Fülle von publizierten Vorstudien veröffentlicht hatte, ehe sie dieses Projekt zum Abschluss brachte.

Zur Stärke der Publikation gehört sowohl das hohe Maß an Transparenz, um den Erforschungsprozess nachvollziehen zu können, als auch die reichhaltige und qualitativ gestaltete Bebilderung (Photos, Kartenausschnitte, schematische Skizzen) und die Einflechtung von Quellenzitaten, die die Aussagen anschaulich unterstützen. Ein Manko, das allerdings nur den stofflichen Hintergrund betrifft, bezieht sich auf die nicht angesprochene Frage nach der Nutzung der analysierten Straßen jenseits des Bedarfs rund um den Erzabbau. Eine dem Verlag und nicht der Autorin anzulastende Schwäche ist das Format (A4), das unhandlich ist und dem wertvollen Opus den Charakter eines wenn auch gediegen ausgeführten Heftes verpasst.

Harald Heppner