Rezension über:

Wolfgang Burgdorf: Friedrich der Große. Ein biografisches Porträt, Freiburg: Herder 2011, 224 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-451-06328-2, EUR 12,95
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Rezension von:
Ullrich Sachse
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Ullrich Sachse: Rezension von: Wolfgang Burgdorf: Friedrich der Große. Ein biografisches Porträt, Freiburg: Herder 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20350.html


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Wolfgang Burgdorf: Friedrich der Große

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Im Vorfeld seines 300. Geburtstages am 24. Januar 2012 ist eine Vielzahl biografischer Werke über Friedrich den Großen publiziert worden, handelt es sich bei dem Jubilar doch um eine der prägendsten Gestalten der europäischen Geschichte und den wohl bekanntesten brandenburgisch-preußischen Monarchen. Zu ihnen zählt auch die vorliegende, insgesamt 224 Seiten umfassende Friedrich-Biografie von Wolfgang Burgdorf, die im Herder Verlag erschienen ist.

Das Werk wird von insgesamt 22 nach bewährtem Muster chronologisch angeordneten Themenbereichen strukturiert. Die chronologische Darstellung setzt sich innerhalb der einzelnen Kapitel fort. Durchbrochen wird dieser Ansatz durch das nahezu am Schluss stehende, aber von den Umbauten des Schlosses Rheinsberg, der Grundsteinlegung zur Oper Unter den Linden 1741 und dem Bau des Schlosses Sanssouci 1745-1747 erzählende Kapitel "Das Lust-Haus zu Potsdam" (191-197) sowie dem recht unvermittelten Einstieg in das "biografische Porträt" mit der Schlacht bei Kunersdorf, der schwersten militärischen Niederlage der preußischen Armee im Siebenjährigen Krieg (7-11), und Friedrichs "Unglück", diese überlebt zu haben. Diese immer wieder "aufflackernde Todessehnsucht" Friedrichs, eine "Kontinuität der Heilssuche im Tod", sei "mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763" erloschen (11). In der Tat sinnierte Friedrich wiederholt über den Tod, nicht zuletzt aber im Sinne seiner Selbstinszenierung. Nirgends reflektiert er schlicht über sein Sterben, sondern stellt sich metaphorisch in Beziehung zu bekannten antiken Philosophen, Dichtern und Imperatoren. Zudem betont er damit seine Rolle als Feldherr, der sich den gleichen Strapazen und Gefahren aussetzt, die der einfache Soldat durchlebt.

Ausgehend von seinen Überlegungen zu Friedrichs Reflexionen über den Tod, dem Wandel der "Todessehnsucht" (10) in einen Kampf gegen den Tod seit 1763 (11), porträtiert Burgdorf in den folgenden Kapiteln Friedrichs Großeltern, Eltern und Geschwister und stellt die politischen, sozialen und administrativen Strukturen in Brandenburg vor der Thronbesteigung Friedrichs konzis vor. Im Anschluss rückt Friedrichs Kronprinzenzeit in den Fokus. Friedrichs Jugendjahre waren geprägt durch die physische und psychische Gewalt durch den Vater, der mit peinlich genau einzuhaltenden Reglements die Beschäftigungen des Kindes minutiös vorgab. Mit besonderer Brutalität reagierte Friedrich Wilhelm I. auf jede musische Betätigung Friedrichs, stattdessen sollte der Kronprinz exerzieren und jagen. Der Konflikt eskalierte im Fluchtversuch Friedrichs, den Friedrichs Freund Hans Hermann Katte auf Befehl Friedrich Wilhelms I. mit dem Tod bezahlte. Dieses Urteil des Königs habe zur innen- und außenpolitischen Stabilisierung Preußens beitragen und demonstrieren sollen, dass vor dem Gesetz alle - auch der Adel - gleich seien (52). Nach seiner Haft in Küstrin stimmte Friedrich widerwillig der Hochzeit mit der von Friedrich Wilhelm auserwählten Braut Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern zu, wohl wissend, nur so eine gewisse Unabhängigkeit vom Vater erlangen zu können. Burgdorf stellt den Konflikt mit dem Vater als ausschlaggebend für Friedrichs Persönlichkeitsbildung heraus.

Ein Hauptgegensatz zwischen Vater und Sohn habe in der sexuellen Orientierung Friedrichs bestanden, seiner Homophilie, die "entscheidend" für die Erklärung seiner Persönlichkeit sei (76). Burgdorf betont hier vollkommen zu Recht, was in Friedrich-Biografien aus dem 19. und 20. Jahrhundert ignoriert oder mühevoll negiert worden ist. Allerdings verfolgt Burgdorf diesen Gedanken im Werk nicht konsequent weiter, wohl auch nicht, weil Friedrichs Homosexualität "allein" seine Politik nicht erklärt (103) und auch nicht der einzige Schlüssel zu seiner Persönlichkeit sein kann. So beschränkt sich Burgdorf auf die Aufzählung der Namen Friedrich nahestehender Männer und eine Darstellung ihrer Beziehungen zum König. Neben dem Abschnitt "Dritter, Siebenjähriger Schlesischer Krieg" (141-167) bildet das Kapitel "Königliche Liebschaften" (76-103) den mit Abstand umfangreichsten Themenkomplex.

Burgdorf zeichnet das Porträt eines auf vielen Gebieten talentierten Kronprinzen und Königs, der seit seiner Zeit in Rheinsberg in beständigem geistigen Austausch mit den europäischen Intellektuellen stand, allen voran mit Voltaire, der mit der Tafelrunde von Sanssouci das Gegenmodell zum Tabakskollegium des Vaters geschaffen hatte (110) und dem persönlicher Ruhm und historische Größe wichtiger waren als die Existenz des Staates. In die Betrachtungen der biografischen Stationen Friedrichs sind knappe Ausführungen über die politischen, militärischen und diplomatischen Ereignisse der Zeit eingeflochten.

Trotz der erkennbaren Rezeption des aktuellen Forschungsstandes zu Friedrich und zum friderizianischen Preußen bleiben viele Urteile Friedrichs eigenen Wertungen und denen der Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts verpflichtet. Dies zeigt bereits der Blick in den Klappentext: Burgdorf habe Friedrichs "Zerrissenheit als Konstante eines außergewöhnlichen Lebens" erkannt. Er folgt darin Theodor Schieder, der in seiner Friedrich-Biografie 1983 in der Gegenüberstellung vermeintlicher Gegensätze ebenfalls jene Widersprüchlichkeit Friedrichs behauptet hatte, die auch Burgdorf noch einmal resümierend konstatiert (222). Letztlich folgen auch die Bewertungen der Leistungen Elisabeth Christines, die auf die Rolle der unglücklichen Gemahlin Friedrichs reduziert wird und deren wichtige Funktionen am Berliner Hof unerwähnt bleiben, der Nachfolger (11), der Potsdamer Tafelrunde oder des versöhnlichen Ausganges des Vater-Sohn-Konfliktes (59) ganz den üblichen Erklärungsmustern des 19. und 20. Jahrhunderts.

In allen Kapiteln kommt Friedrich ausführlich selbst zu Wort, wobei Burgdorf auf kritisches Hinterfragen ebenso wie auf eigene Betrachtungen und Interpretationen verzichtet und weitgehend auf bewährte Auffassungen und Meinungen vergangener Historikergenerationen zurückgreift. Kritische Stimmen zum König, wie die Werner Hegemanns oder Veit Valentins, sind nicht zu hören. Dadurch ist letztlich viel Bekanntes zu lesen. So gibt das eher erzählerisch gehaltene Buch einen knappen Überblick über nahezu alle Stationen im Leben Friedrichs mit punktuell vertiefenden Einblicken in einige wenige Themen. Bereits im Auftaktkapitel zeigt sich eine grundsätzliche Schwäche des Werkes: Obwohl Burgdorf mit zahlreichen Zitaten arbeitet, fehlen prinzipiell Quellen- und Literaturnachweise. Herkunft der Zitate, Verfasser, Werk und Empfänger bleiben vielfach im Dunkeln. Aber gerade das Wissen um die beteiligten Personen und die Werke, aus denen zitiert wird, wäre für das Verständnis Friedrichs, seiner Persönlichkeit und seines Handelns von entscheidender Bedeutung.

Ullrich Sachse