Rezension über:

Lori Watt: When Empire Comes Home. Repatriation and Reintegration in Postwar Japan (= Harvard East Asian Monographs; 317), Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2009, XIII + 238 S., 3 Kt., ISBN 978-0-674-05598-8, GBP 18,95
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Yann Scioldo-Zürcher: Devenir métropolitain. Politique d'intégration et parcours de rapatriés d'Algérie en métropole (1954-2005) (= Collection En temps & lieux; 13), Paris: Éditions de l'École des hautes études en sciences sociales 2010, 462 S., ISBN 978-2-7132-2230-6, EUR 32,00
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Rezension von:
Christoph Kalter
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dietmar Süß
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Kalter: Dekolonisation und 'Repatriierung' in Japan und Frankreich (Rezension), in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/20392.html


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Dekolonisation und 'Repatriierung' in Japan und Frankreich

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Dass Frankreich- und Japan-Interessierte sich Arbeiten aus ihrem Fachgebiet empfehlen, ist nicht die Regel. Zu weit auseinander liegen offenbar Themen, regionale Kontexte und kollegiale Netzwerke. Nun ist es Zeit für eine Ausnahme: Die Bücher von Lori Watt und Yann Scioldo-Zürcher können für sich, aber auch "gegeneinander" mit Gewinn gelesen werden. Sie untersuchen massenhafte "Repatriierungen" von Beamten, Soldaten und Siedlern aus den Kolonien nach Japan (Watt) bzw. Frankreich (Scioldo-Zürcher). Ihre Zugänge erhellen sich gegenseitig - Watts auch quellenmäßig "breiter", eher kulturhistorischer Zugang steht in produktiver Spannung zu Scioldo-Zürchers "tiefem" politik- und sozialhistorischem Blick auf staatliche Archivalien. Zugleich tragen beide zu transnationalen Forschungsfeldern wie Migrations- und Dekolonisierungsgeschichte bei. Schließlich behandeln sie Themen wie den Zusammenhang von Nation, Staatsbürgerschaft und Wohlfahrtsstaat im 20. Jahrhundert.

Lori Watts elegant geschriebene Studie basiert auf Gesetzestexten, publizierten und unveröffentlichten Archivalien, Oral History-Interviews, Autobiografien, Romanen, Filmen und Presseerzeugnissen. Wie die Autorin in Erinnerung ruft, beendete die auf den Atombombenabwurf folgende Kapitulation im August 1945 nicht nur den Weltkrieg, sondern auch Japans Imperium in Asien. Aus den Kolonien wurden jetzt innerhalb weniger Monate etwa sechs Millionen japanische Staatsbürger auf die von den USA besetzten Hauptinseln Japans gebracht. In umgekehrter Richtung wurden zugleich eine Million Menschen, die als "koloniale Untertanen" in Japan gelebt hatten, in ihre Herkunftsländer deportiert. Dieser gigantische, von den alliierten Siegermächten gewollte Bevölkerungstransfer führte zu einer ethnischen Entmischung, die die Region langfristig prägte. Zugleich mussten Millionen in eine Gesellschaft eingegliedert werden, die den "rückgewanderten" Mitbürgern misstrauisch gegenüberstand.

Was geschieht also, wenn das Empire nach Hause kommt? Die "human remnants" des Kolonialreichs, die Repatriierten, werden "integriert"; zugleich dienen sie, so Watts zentrale These, der Metropolengesellschaft als "sites of negotiation for the process of disengagement from empire and for the creation of new national identities" (1). In Japan waren politisch-identitäre Umbrüche demnach mit Kriegsende, Besatzung und Rückwanderung verbunden. Doch Watt stellt ihren Gegenstand auch in den Kontext großer "Trends" des 20. Jahrhunderts: der Dekolonisierung, die nicht-imperiale Nationalstaaten zur international akzeptierten Norm staatlicher Verfasstheit machte, und der (erzwungenen) Massenmigrationen, in deren Verlauf jede/r dasjenige nationale Territorium erreichte, wo sie oder er vermeintlich hingehörte.

Wie Watt in der Einleitung und Kap. 1 skizziert, wurde aus spontanen Migrationen im August 1945 daher bald ein massenhafter, von alliierten und japanischen Stellen organisierter Bevölkerungstransfer, der militärstrategischen, humanitären, aber auch rassistischen Erwägungen folgte. Die Migrationsbewegungen der kolonialen Ära, die fast 7 Mio. Japaner vor allem nach Taiwan, Korea und in die Mandschurei geführt hatten, wurden so in Rekordzeit rückgängig gemacht. Zeitpunkt und Umstände der für obligatorisch erklärten Rückwanderung variierten - je nachdem, ob die Japaner nun US-amerikanisch, britisch, sowjetisch oder chinesisch kontrollierte Gebiete verließen. Bis 1947 waren die meisten auf die japanischen Hauptinseln verbracht; aus der sowjetischen Besatzungszone dauerte der Zustrom bis 1950; einige Zivilisten verließen Nordostchina erst zwischen 1953 und 1958 und dann in einem letzten Schwung nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Japan nach 1972.

Diese Migrationen konsolidierten die neue Landkarte der Region: Japan war nicht mehr Zentrum eines multiethnischen Kolonialreichs in Ostasien, sondern galt, im geostrategischen Kontext des Kalten Krieges, als monoethnische Nation im Einflussbereich der USA, als Außenposten des Westens. Japan war fortan "in Asia, but not of it", (6), und bei der De-Asianisierung japanischer Selbstbilder, die mit dem Übergang von Imperium zu Nation einhergingen, waren die hikiagesha - so das japanische Wort für die Repatriierten - mit ihren kolonialen Erfahrungen einerseits ein Störfaktor. Andererseits erfüllten sie eine wichtige Funktion: Indem den Rückwanderen, die als "andersartige" Japaner stigmatisiert wurden, gleichsam die Last des gescheiterten Kolonialreichs aufgebürdet wurde, distanzierte sich die Metropolengesellschaft vom imperialen Projekt, dessen Zentrum sie gewesen war. Zugleich schuf sie sich in den hikiagesha einen "convenient domestic 'other'", der nun zur Projektionsfläche "for a variety of postwar anxieties" (18) wurde - der Angst vor kommunistischer Infiltration und "Außenseitern" aller Art.

Die Rückwanderer, die auf US-Schiffen mit japanischen Mannschaften die Repatriierungs-Zentren erreichten, wurden teils demütigenden Hygienemaßnahmen unterworfen, erledigten "paperwork" und wurden an ihre letztbekannten metropolitanen Meldeadressen verbracht, wobei sie staatliche Förderung im Bereich Wohnen, Arbeit und Kreditvergabe erhielten - ein Aspekt, zu dem Watt leider wenig schreibt. Kap. 2 zeigt, wie der im Zuge dieser Prozedur entstehende Verwaltungsapparat, aber auch die Medien bis 1949 den Neologismus hikiagesha prägten, um damit rückgewanderte Staatsbürger zu bezeichnen, die man teils bemitleidete, teils verachtete, und deren "authentic Japaneseness" (58) plötzlich fragwürdig schien. Vielen galten sie bald als eigentliche "Täter" des gescheiterten Kolonialreichs, während die Metropolenjapaner sich als "Opfer" des Krieges neu erfanden. Watt zeigt jedoch, dass die Repatriierten ihr Stigma nicht passiv erduldeten, sondern sich in Vereinen organisierten, Lobbyarbeit leisteten und den Diskurs der Mehrheitsgesellschaft zu konterkarieren suchten.

Das Stigma hikiagesha kannte dabei Varianten, wie Watt in Kap. 3 zeigt. Repatriierte Frauen aus der Mandschurei, von denen viele im Sommer 1945 von Rotarmisten vergewaltigt wurden, galten in Japan als fürsorgebedürftig, aber auch als moralisch kontaminiert, während sie zugleich teils im Fokus eines fast pornografischen Voyeurismus standen. Sie dienten als Negativfolie für die Tugend der Metropolen-Japanerinnen. Für den nach 1945 entstehenden Diskurs über Japaner als Opfer des Weltkriegs wurden sie zunächst nicht instrumentalisiert, denn dem stand nicht nur entgegen, dass japanische Soldaten selbst massiv sexuelle Gewalt verübt hatten, sondern auch, dass die Distanzierung von diesen Frauen es erlaubte, "to disassociate oneself from the imperial project" (125). Offenbart das Stereotyp der Mandschurei-Repatriierten somit eine Gender-Dimension des hikiagesha-Diskurses, stehen die "roten Repatriierten" für eine andere, die nun auf Männer gerichtet und zugleich eindeutig politisch aufgeladen war: Im Kalten Krieg, der im Umfeld der chinesischen Revolution und des Koreakriegs auch in Japan um 1950 zu einer antikommunistischen "Hexenjagd" führte, galten die in sibirischen Kriegsgefangenenlagern indoktrinierten Soldaten, die erst seit 1949 aus der Sowjetunion zurückkehrten, als ideologisch verunreinigt.

Ende der 1950er-Jahre erklärte die Regierung die Rückwanderungen für beendet. In einer mehrbändigen Dokumentation unterstrich sie die Leistungen ihrer unter schwierigen Bedingungen erfolgreichen Repatriierten-Bürokratie. Zeitgleich entstanden auch hoch- und vor allem populärkulturelle Deutungen des Phänomens (Kap. 4). In ihrer Mehrdeutigkeit, so zeigt Watt, forderten Mangas, Lieder, Romane oder Filme die offizielle Darstellung heraus, und sie brachen teils mit dem sozialen Stigma des hikiagesha. Stattdessen bot die Populärkultur alternative Lesarten der Repatriierten-Erfahrung, aber auch des Krieges und insgesamt des japanischen Kolonialismus.

Parallel dazu wurden die Rückwanderer zu Objekten und Akteuren erst lokaler, dann nationaler Gedächtnispolitik. Eine Regierungsstiftung mit Oral History-Projekten (1988) und einem Museum (2000) markierte den Höhepunkt einer Entwicklung, an deren Ende die Repatriierten nicht mehr als politisch-moralisch verdorbene, kulturell unjapanische Sozialfälle und Verkörperungen einer ungeliebten Kolonialvergangenheit erschienen, sondern ihren Platz in einem pazifistischen "Nie wieder"-Diskurs über japanische Opfer und Japan als Opfer im Zweiten Weltkrieg fanden (Kap. 5). Wie dieser Prozess zu erklären ist, wie er sich zum Weg von der staatlichen Wiedereingliederungshilfe zum Entschädigungsanspruch der Repatriierten verhält (Gesetze von 1957 und 1967), was schließlich der Bezug dieser Diskursverschiebungen zur letzten Rückwanderungswelle in China verbliebener Japanerinnen und Waisenkinder in den 1980er-Jahren ist, wird leider nicht immer ausreichend deutlich.

Repatriierung und Integration "nationaler Migranten" sind auch die zentralen Themen der Studie von Yann Scioldo-Zürcher. Als die algerische Befreiungsbewegung FLN 1962 nach einem beiderseits mit massivem Gewalteinsatz geführten Krieg die Unabhängigkeit Algeriens durchsetzte, verlor Frankreich seine wichtigste Kolonie. Darauf verließen etwa eine Million europäischstämmige Siedler französischer Nationalität das Land und begannen in Frankreich ein neues Leben. Ihre Wiedereingliederung stieß auf Probleme, doch ein massiv intervenierender Sozialstaat konnte sie relativ rasch lösen - jedenfalls insoweit, als die meisten Repatriierten wieder Wohnung und Arbeit fanden. Dies zeigt der Autor auf Grundlage einer enormen Basis unveröffentlichter Quellen: von Algerienfranzosen an französische Politiker gerichtete Briefe, die Überlieferung verschiedener Armee-Einrichtungen und ziviler Ministerien, vor allem aber Verwaltungsakten zum Umgang mit den Repatriierten in den Departements-Archiven Seine und Val-de-Marne.

Scioldo-Zürchers zentrales Argument überzeugt: Trotz aller Härten, die mit dem Verlust der algerischen Heimat und der Migration in die Metropole verbunden waren - 80 Prozent der Repatriierten waren in den überseeischen Departements geboren worden, und viele kannten das französische Hexagon kaum -, waren die heute als pieds-noirs bekannten Siedler aus Algerien nicht (nur) "Opfer" der Dekolonisation, wie die Gedächtnispolitik aus ihren Kreisen seit den 1990er-Jahren mit wachsendem Erfolg propagiert(e). In gewisser Hinsicht gilt vielmehr das Gegenteil: Sie waren Privilegierte - als Adressaten staatlicher Transferleistungen, deren außerordentlicher Umfang einer bis dato präzedenzlosen Politik entsprach: Zum ersten Mal in seiner Geschichte, so unterstreicht Scioldo-Zürcher mehrfach (z.B. 105), unternahm es der französische Staat, eine Gruppe von Migranten mit Sonderleistungen zu unterstützen - Migranten allerdings, deren Anspruch, Franzosen zu sein, vom Staat bestätigt und zur Grundlage seiner Interventionen gemacht wurde.

Nationale Solidarität, die von den Parteien in Frankreich unterschiedlich ausgedeutet, nie aber in Frage gestellt wurde, begründete also die massiven finanziellen Aufwendungen für die pieds-noirs - und stellte einen Wert dar, auf den sich andere, juristisch und symbolisch außerhalb der Nation stehende Migrantengruppen gerade nicht berufen konnten. Die nur angedeutete "Botschaft" Scioldo-Zürchers historischer Studie an die Gegenwart ist: Wenn der Staat will, dann kann er - die Integration verarmter Zuwanderer ist eine Frage politischer Prioritäten und eine Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft.

Bereits Kap. 2 zeigt, dass das zentrale Gesetz der Repatriierung vom 26.12.1961 mehr war als der Rechtsrahmen für eine erste Not- und Wiedereingliederungshilfe: Zwar sah es keine Entschädigungen vor, wohl aber sollte der nun entstehende Verwaltungsapparat den Repatriierten die Wiedererlangung ihrer beruflichen Stellung garantieren. Das entsprach deren Erwartung, keine Statuseinbußen hinnehmen zu müssen. Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes (30 Prozent der Repatriierten) hatten ohnehin einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung. Doch auch Bauern, Angestellten der Privatwirtschaft sowie Unternehmern und Freiberuflern wurde mit einer Reihe von Maßnahmen geholfen.

Der Umfang und die zeitliche Konzentration der Rückwanderung stellten den Staat vor riesige Aufgaben, während die Vorstellungen über die Reichweite seiner Verantwortung für die Migranten sich wandelten. Rechtsgrundlagen und Verwaltungspraxis, deren Koordination seit September 1962 ein Ministerium für Repatriierte übernahm, wurden deshalb ständig angepasst. Insgesamt oszillierte die Arbeitsmarktpolitik für die Repatriierten zwischen Interventionen mit teils autoritären Zügen einerseits, dem Versuch einer konsensorientierten Abstimmung mit den sozialen und wirtschaftlichen Akteuren der Metropole andererseits (Kap. 6). Die Bilanz dieser Politik nennt Scioldo-Zürcher zwiespältig: Seine an Fallstudien der Departements Puy-de-Dôme und Seine konkretisierte Analyse zeigt, dass zwei Fünftel der Selbstständigen innerhalb von drei Jahren bereits wieder in ihrem Beruf arbeiteten, ein klarer Erfolg. Insgesamt habe die Arbeitsmarktpolitik den "sozialen Frieden" bewahrt. Allerdings stieß sie auch an Grenzen und privilegierte kurz- und mittelfristige gegenüber langfristigen Strategien: Für den bereits in der Kolonie unter Druck geratenen Kleinhandel und die Bauern bot der ökonomische Strukturwandel der Metropole kaum Perspektiven; dennoch versuchte der Staat, die Repatriierten auch hier in ihren angestammten Berufen unterzubringen.

Zunächst noch dringender als die Integration in den Arbeitsmarkt war nach Ankunft der Algerienfranzosen in einem der centres de transit ihre Unterbringung in einem angespannten Wohnungsmarkt. Kap. 5 zeigt, wie die staatliche Politik den ärmsten der "nationalen Migranten" einen Platz im expandierenden sozialen Wohnungsbau zu beschaffen suchte, während sie jenen der Mittelschicht mit günstigen Krediten den Wohnungs- oder Hauskauf erleichtern wollte. Da der Bedarf an Wohnraum viel größer war als das Angebot, mussten viele Repatriierte lange Wartezeiten in beengten Übergangswohnungen verbringen. Insgesamt wollte die Bürokratie - aus ökonomischen und aus politischen Motiven heraus -, regionale Konzentrationen der Repatriierten in der Wohnbevölkerung vermeiden und die Rückwanderer gleichmäßig über das ganze Land verteilen. Begrenzte Zwangsmaßnahmen und ausgedehnte Anreize verfehlten dieses Ziel jedoch gleichermaßen.

Dass der Wunsch nach "Befriedung" der für sozialen Zusammenhalt und politisches Leben potenziell als "gefährlich" betrachteten Repatriierten staatliches Handeln leitete, zeigt sich auch in den Kap. 7-9 des Buches. Sie beschreiben den Übergang von einer Politik der sozioökonomischen Wiedereingliederung (1962-1970) zu einer Politik staatlicher Entschädigung der Repatriierten (1970-1981). In beiden Phasen wurde dabei etwa gleich viel Geld aufgewandt (26 bzw. 28,7 Milliarden FF). Das Entschädigungsgesetz von 1970 und seine zahlreichen Anpassungen in den Folgejahren gingen dabei mit einem Diskurs der Parlamentarier einher, der die Algerienfranzosen nicht nur als "Opfer" der (Kolonial-)Geschichte (um)deutete, sondern sie auch als "Helden" des Siedlerkolonialismus ansprach: In der Verlängerung kolonialer Stereotypen wurde die erfolgreiche Integration der Repatriierten als Ausweis ihres "Pionier"-Geistes gedeutet; mit Fleiß und Entschlossenheit hätten sie sich unter schwierigen Umständen aus eigener Kraft zu helfen gewusst. Die seit Mitte der 1980er-Jahre auch vom Parlament betriebene Gedächtnispolitik der moralischen "Wiedergutmachung" (réparation), die im vielzitierten Schulgesetz von 2005 gipfelte, blendete so nicht nur die Rolle der Siedler in der gewaltbasierten Kolonialgesellschaft Algeriens aus, sondern auch, dass ihr sozialer Erfolg in Frankreich sich nicht zuletzt umfangreichen staatlichen Hilfsleistungen verdankte.

Ungeachtet der Vorzüge beider Studien seien einige Kritikpunkte knapp angesprochen: Viele Thesen, die Watt vorlegt, verorten die Auseinandersetzung um die hikiagesha im Bereich gesellschaftlicher Bilder und Deutungen - eine gerade als Kontrast zum eher politik- und sozialhistorisch angelegten Text Scioldo-Zürchers sehr ertragreiche Perspektive. Dass kulturhistorische Analysen (vermeintlich) größeren Plausibilisierungsaufwand treiben müssen als der Blick auf Gesetzestexte und Verwaltungsschriftgut, ist nicht Watts Schuld. Wohl aber ist ihr anzulasten, dass ihr Buch tatsächlich zu kurz ist: Einigen wenigen der von ihr diskutierten Fragen steht deshalb kein angemessen breiter empirischer Nachweis gegenüber, die Weite ihres Blicks wird manchmal mit geringerer Tiefe, der Mut zu großen Deutungsbögen mit mangelnder Differenzierung bezahlt (vgl. z.B. die Ausführungen zur gender-Dimension der japanischen Dekolonisierung 123f.).

Während Watt dezidiert multiperspektivisch arbeitet und auf nur 200 Seiten eine Vielzahl von Akteuren, Entwicklungen und Repräsentationen im Umfeld der japanischen Dekolonisations-Migration in den Blick nimmt, konzentriert Scioldo-Zürcher sich auf 400 Seiten auf einen Kollektivakteur: den französischen Staat und dessen "politique d'intégration". Der doppelte Seitenumfang und die Vorliebe für Archivalien (die Scioldo-Zürcher häufig quantitativ auswertet und in Grafiken übersetzt) führen zu einer Fülle an Detailinformationen, die unschätzbare Grundlagen für weitere Studien legen, jedoch nicht jede Leserin gleichermaßen interessieren werden.

Auch Scioldo-Zürcher bleibt übrigens - trotz doppelten Seitenumfangs - an manchen Stellen zu knapp: Politische und gesellschaftliche Kontexte der Integrationspolitik, die über Verwaltungshandeln und parlamentarische Debatten hinausreichen, werden nur in Einschüben und nahezu losgelöst vom Gang der Argumentation vorgetragen. Im Hauptteil des Buchs, der praktisch nur aus Quellen gearbeitet ist, bezieht der Autor seine Arbeit zudem nicht konsequent auf die bestehende Literatur zu gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen der Dekolonisierung in Frankreich. Auch lässt der Titel des Buchs - "Devenir métropolitain" - eine akteurszentrierte Perspektive erwarten, die den Integrationsprozess aus Sicht der Migranten rekonstruiert und seinen "Erfolg" oder "Misserfolg" systematisch auf deren Wahrnehmung bezieht. Nur wenige Passagen erfüllen diese Erwartung.

Ein Desiderat zukünftiger Forschungen ist es zudem, die weißen Repatriierten in einem gemeinsamen analytischen Feld mit jenen Migranten zu betrachten, deren Präsenz ebenfalls auf die koloniale Geschichte verweist: den algerischen harkis, die zeitgleich mit den pieds-noirs in die Metropole migrierten, sowie den maghrebinischen Arbeitsmigranten in Frankreich. Dass eine solche relationale Perspektive auf "(de-)koloniale" Migrationsprozesse anregend ist, zeigen nicht nur Scioldo-Zürchers Ausführungen zur gedächtnispolitischen Emergenz der harkis (Kap. 9), sondern auch Watts Bemerkungen zu Koreanern und Taiwanesen in Japan nach 1945 (Kap. 2).

Aufgrund divergenter Methoden und Schwerpunkte sind die Arbeiten Scioldo-Zürchers und Watts nicht nur als Texte, sondern auch auf der Gegenstandsebene schwer zu vergleichen: Wie unterschieden sich der Umgang mit und die Erfahrung der Repatriierten in Frankreich und Japan voneinander? Das Zusammenlesen beider Studien ermöglicht nur tentative Antworten, schärft aber das Bewusstsein für die vielfältigen Dimensionen der Frage. Ohne alle Probleme in gleicher Tiefe zu bearbeiten, zeigen beide Arbeiten, dass das Thema Repatriierung - auch für viele weitere Länder - wichtige Forschungshorizonte eröffnet: Der Umgang mit ethnisch "unsichtbaren" Migrantengruppen (Andrea L. Smith), die "Integration" als Politikbereich und Handlungskompetenz des Staates, das Zusammenspiel juristischer, politischer, sozialer und kultureller Dimensionen nationaler Zugehörigkeit, die konkrete und symbolische Präsenz kolonialer Erfahrungen in nachkolonialen Gesellschaften - all das sind Aspekte, die beide Arbeiten auf sehr anregende Weise aufschließen. Ihre Lektüre lohnt sich.

Christoph Kalter