Rezension über:

Loch K. Johnson (ed.): The Oxford Handbook of National Security Intelligence, Oxford: Oxford University Press 2010, XV + 886 S., ISBN 978-0-1953-7588-6, GBP 95,00
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Rezension von:
Jost Dülffer
Köln
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Empfohlene Zitierweise:
Jost Dülffer: Rezension von: Loch K. Johnson (ed.): The Oxford Handbook of National Security Intelligence, Oxford: Oxford University Press 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 6 [15.06.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/06/21222.html


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Loch K. Johnson (ed.): The Oxford Handbook of National Security Intelligence

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Der englische Begriff intelligence hat im Deutschen keine direkte Entsprechung, sondern muss mit einer Vielzahl von Begriffen wiedergegeben werden. Natürlich ist es auch "Intelligenz", Klugheit, aber in unserem Kontext meint es Nachrichten- oder Geheimdienst, darüber hinaus die Information oder Nachricht, aber auch den Erwerb solcher Nachrichten sowie den Umgang damit ("Einsicht"). Es ist somit eher ein Sammelbegriff für eine komplexe Forschungsrichtung, wenn nicht sogar ein Fach, wie es vielfach an US-amerikanischen Universitäten betrieben wird.

Zusammengebracht wird das in dem hier vorzustellenden Band mit dem Begriff der National Security, also einer Einsicht, die vor allem in den USA nach 9/11 innenpolitische wie außenpolitische Nachrichtengewinnung als Einheit begriff. War für die Innenpolitik bislang primär der FBI zuständig, erweiterte sich das nun durch ein neues Ministerium für "Homeland Security". Es versteht sich von daher, dass dieses Handbuch US-zentriert ist und in manchem davon ausgeht, was für dieses Land zuträfe, habe auch Bedeutung für den Rest der Welt. Nur Großbritannien sind einige sektorale Aufsätze gewidmet. Unter den Autoren kommen trotz starken Übergewichts von US-amerikanischen und britischen Verfassern auch Australier vor, sowie Israelis und ein Deutscher, Wolfgang Krieger, der im Schlussteil einen klugen, spritzigen Essay über die Bundesrepublik Deutschland schreibt. Dieser Teil der "other lands" umfasst ferner Russland, Israel und Australien sowie - ein recht innovatives Thema - die "Developing countries" insgesamt in ihrem Streben nach Effektivität und Transparenz. Da sollte man aber doch wohl deutlich auch Korruption, Herrschaftssicherung und Terror hinzufügen.

Loch Johnson, der Herausgeber, gehört zu den am besten ausgewiesenen Repräsentanten der Intelligence community in den USA. Nicht weniger als 23 Bände unter seiner Ägide weist der Katalog der Library of Congress auf, die er teils selbst geschrieben, zumeist aber mit anderen herausgegeben hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es kaum einen Aspekt gibt, der von diesem ungemein fleißigen Sammler und Integrierer noch nicht in den letzten dreißig Jahren aufgegriffen wurde. Dieses Handbuch besteht aus 49 Essays im Umfang von 12 bis 30 Seiten, die gemäß Inhaltsverzeichnis eine gewisse Systematik einzuhalten scheinen. Bei näherem Hinsehen erweist sich das jedoch als ein bunter Strauß von sehr individuell geschriebenen Beiträgen geringer Kohärenz. Einige reihen Kategorien nach eher bürokratischem Muster, andere schreiben brillante Aufsätze, die über den Fakten thronen. 23 Beiträger kommen aus dem Universitätsmilieu, 22 aus Intelligence Organisationen, acht aus sonstigen Regierungsinstitutionen, zwei aus Non-Profit-Organisationen und einer aus einem Think Tank. Diese Zusammensetzung legt schon nahe, dass große Teile des Bandes von Praktikern und mit der Praxis vertrauten Autoren stammen, die natürlich hier keine Geheimnisse Preis geben (können).

Johnson versteht unter "national security intelligence" (NSI) "knowledge and forknowledge of the world around us - the prelude to Presidential decision and action" (5), eine Tätigkeit, die Ungewissheit für Regierungshandeln ausschließen soll. Da hierzu ein ganzer Fächer der Auswertung auch offener Informationen gehört, ist nicht immer klar, wie sich dies von den dazu je ressortmäßig betriebenen Regierungsgeschäften unterscheidet. Gerade Außen- und Verteidigungsministerium pflegten ja auch eine offene, diplomatische Berichterstattung, die ihrerseits Informationen liefern, die zunächst klassifiziert sind - siehe die Vorgänge um Wikileaks seit 2011. Doch um scharfe Abgrenzungen kann es bei diesem Geschäft nicht gehen. Angeblich sichere Prognosen und Evaluationen für Entscheidungshandeln sind immer, so sieht das auch Johnson, mit Unsicherheiten behaftet.

Er sieht ferner drei große Felder der NSI: Neben der Politikberatung durch Sammlung, Analyse und Verbreitung von Information gibt es zweitens die Counterintelligence, also die Abwehr gegnerischer Ausspähversuche, und schließlich drittens die verdeckten Aktionen, "whereby a nation seeks to intervene secretly into the affairs of other nations or factions in hopes of advancing its own security interests" (6). Insgesamt 16 Organisationen gibt es in diesem Sektor in den USA; deren Koordinierung gelingt nur unvollkommen, ihre Vereinheitlichung scheiterte aber wohl auch wiederholt am Kongress. In der Summe sei das der größte und kostspieligste Dienst in der Weltgeschichte, heißt es nicht ohne Stolz. Die Gliederung des Handbuchs folgt den genannten Sektoren. Gerade der Informationsbeschaffung sind zahlenmäßig die meisten Beiträge gewidmet. Sieben gehen auf die Informationsgewinnung und "processing". Gerade hier sind einige spannende und nicht zu erwartende Beiträge angesiedelt, so die Diskussion, ob offene Quellen wirklich "intelligence" ausmachten (Arthur S. Hulnick), oder ein Aufsatz über die Tendenz, auch bei UN-Peacekeeping-Missionen mit "intelligence" zu arbeiten (A. Walter Dorn). Kaum bekannt dürfte hierzulande die "intelligence" der kanadischen Grenzbehörden an der Grenze zu den USA sein (Arne Kislenko). Recht kritisch wird von William G. Weaver und Robert Pallito die "extraordinary rendition" gesehen, die seit George W. Bush eine viel diskutierte, um nicht zu sagen: unrühmliche Rolle spielte.

Der "Intelligence Analysis and Production" im nächsten Kapitel sind sechs Beiträge gewidmet (darunter einer über die relativ neue "Homeland Security"), der "dissemination" vier weitere, darunter Peter Jackson, der lesenswert die Unsicherheitsmargen erörtert. "Counterintelligence" umfasst vier Beiträge, u.a. einen über den Atomspion Klaus Fuchs und den britischen MI5. Den "covert actions" sind drei Aufsätze gewidmet und der "accountability" (Verantwortlichkeit, Ethik) doch immerhin sechs Einträge, die z. T. erfreulich kritisch mit dem Gegenstand umgehen. In allen Abteilungen sind einige Beiträge genuin historisch geschrieben, überschneiden sich aber thematisch stark. Sechs Beiträge sind der "Evolution" gewidmet; hier finden sich auch Beiträge über technische Entwicklungen (John Ferris), über die britische Entwicklung (Len Scott) oder über das Beratungsgremium des US-Präsidenten.

Überall wird der Einschnitt einerseits mit dem Ende der bisherigen Ost-West-Konfrontation 1989/90 hervorgehoben, andererseits aber auch der Schock von 9/11. Beide Ereignisse trugen dazu bei, dass der Intelligence-Kampf gegen nicht-staatlichen Terror zunahm. Im Übrigen fand auch trotz der spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ausgeprägten weltweiten Rolle der USA ein neuer Globalisierungsschub statt, der innere wie äußere Sicherheit stärker miteinander verschmelzen half. Viele Beiträge diskutieren auch - über die rendition hinaus - juristische Aspekte.

Entstanden ist so ein typisch US-zentriertes Handbuch, dem nur zu Großbritannien ein weiteres Land mit mehreren Beiträge an die Seite gestellt wurden. Es gibt einige eher offiziös anmutende Artikel, aber insgesamt überwiegt der wissenschaftlich-kritische Blick von außen - freilich von Personen mit Insider-Kenntnissen. Für deutsche oder andere internationale Leser ist das Buch vor allem hoch interessant, weil der Vergleich mit dem mächtigsten Geheimdienstapparat der Welt die wesentlich geringere Ansatzebene und Leistungsfähigkeit etwa der deutschen Geheimdienste deutlich macht. Zu bedauern ist, dass es im Grunde nur einen Beitrag über das sich wie auch immer wandelnde gegnerische Lager gibt (Robert Pringle über die Sowjetunion), nichts über China, ein allgemeiner über Dritte-Welt-Staaten, nichts zum Iran etc. Das ist schade und hätte einem solchen Werk gut getan. Ein Glossar und - sehr wichtig - ein Index runden den Band ab.

Jost Dülffer