Rezension über:

Franz Albert Heinen: NS-Ordensburgen. Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, 216 S., 241 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-618-5, EUR 34,90
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Rezension von:
Claire Keruzec
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Claire Keruzec: Rezension von: Franz Albert Heinen: NS-Ordensburgen. Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/20055.html


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Franz Albert Heinen: NS-Ordensburgen

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Jahrelang waren die NS-Ordensburgen - Vogelsang in der Eifel, Sonthofen im Allgäu und Krössinsee in Pommern - nur wenigen Historikern bekannt. Die Öffnung der ehemaligen Ordensburg Vogelsang im Jahr 2006 (sie war seit 1946 zunächst als britischer, dann als belgischer Truppenübungsplatz genutzt worden) und die damit einhergehenden Überlegungen bezüglich des zukünftigen Umgangs mit einem solchen "Täterort" bewirkten ein zunehmendes öffentliches und historiografisches Interesse.

Nachdem der Aufsatz zum Thema Ordensburgen von Harald Scholtz, erschienen 1967 in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte, jahrelang die einzige nennenswerte Referenz zum Thema bildete und in den 1980ern und 1990ern vor allem Bildbände zu einzelnen Ordensburgen von interessierten Laien sowie Studien zur Baugeschichte und Architektur von Denkmalschützern verfasst wurden, entstehen in den letzten 10 Jahren immer wieder Publikationen, die sich der Erziehung oder dem Eliteanspruch der Ordensburgen widmen oder sich mit dem "Osteinsatz der Ordensburgmannschaften" beschäftigen.

Auch Franz Albert Heinen, Journalist des Kölner Stadt-Anzeigers, hat sich schon in mehreren Veröffentlichungen mit den ehemaligen Ordensburgen, insbesondere mit Vogelsang, befasst.

Sein neuestes Werk, "NS-Ordensburgen. Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee" ist reich bebildert und mit Karten ausgestattet. In derselben Reihe sind im Links Verlag Bücher über weitere historische Orte wie etwa den Obersalzberg oder die Berliner Wilhelmstraße erschienen.

Gleichwohl sich das Buch in seiner Gestaltung an den historischen Laien wendet, ist es Heinens Ziel, "erstmals [...] einen Gesamtüberblick über die drei Ordensburgen und ihre Funktion im nationalsozialistischen Herrschaftssystem zu geben" (11). Der Schwerpunkt des Buches liegt zumeist auf der Ordensburg Vogelsang, was der Herkunft des Autors und seinen bisherigen Publikationen zu Vogelsang geschuldet ist, aber auch darin begründet liegt, dass Vogelsang die bisher am besten erforschte Ordensburg ist.

Nach einer knappen Einleitung widmet sich das erste und längste Kapitel des Buches ausführlich der Baugeschichte. Die Architektur und Ausstattung der Ordensburgen sowie die Landschaftsinszenierung werden nur gestreift. Diese Themen bilden allerdings, nicht zuletzt in den von Heinen kaum berücksichtigte Studien von Ruth Schmitz-Ehmke und Monika Herzog einen Schwerpunkt der Forschung zu den Ordensburgen.

Der Funktion der Ordensburgen als Tagungsorte insbesondere der NSDAP und DAF widmet sich das zweite Kapitel. Der Autor stellt fest, dass die Ordensburgen lediglich als Kulisse für diese Tagungen und die Besuche "der Mächtigen des Hitler-Reiches" (56) genutzt wurden. Hier hätte es sich angeboten, auf die Stellung der Ordensburgen im NS-System einzugehen. Denn die Ordensburgen waren reine Prestigeprojekte ihres Gründers, Robert Ley, und fanden in der NSDAP wenig Beachtung, nicht selten auch Kritik. Diese parteiinterne Kritik thematisiert Heinen zwar in einem späteren Artikel, sie scheint jedoch wenig Auswirkung auf seine Argumentation und Bewertung zu haben, wenn der Autor die Ordensburgen dennoch als "Vorzeigeeinrichtungen der NSDAP" (72) bezeichnet.

Das folgende Kapitel behandelt die "Kommune NS-Ordensburg", also die Hierarchie von Kommandanten, Intendantur, NSDAP-Ortsgruppe und Burgwache. Wünschenswert wäre es gewesen, auch die Haupt- und Gastlehrer der Ordensburgen einzubeziehen. Auch hätte hier auf die Interaktion zwischen Ordensburg und Region und auf die Einbindung der Ordensburgen in regionale politische Beziehungsgeflechte eingegangen werden können. Das Thema ist schon 2009 auf den Internationalen Vogelsang-Tagen von Thomas Roth und Stefan Wunsch auf die Agenda zukünftiger Forschung gesetzt worden.

Unter der Überschrift Lehrgänge beschäftigt sich Heinen unter anderem mit den Musterungskriterien, dem Schulungsalltag und der Freizeit der "Ordensjunker", sowie mit den Karrierechancen der "Junker": ihren Einsatz in den Gauen.

Sehr knapp wird die ideologische Schulung auf den Burgen abgehandelt. Hierzu hätte es jedoch, im Fall Vogelsang keinesfalls selbstverständlich, einige Archivalien, etwa einen Schulungsplan der drei Ordensburgen aus dem Bestand des Instituts für Zeitgeschichte, oder bisher erschienene Aufsätze zur Schulung der Bibliothek Vogelsangs oder einzelnen Lehrern von Michael Schröders gegeben. Stattdessen zitiert Heinen unkommentiert die Berichte ehemaliger Ordensjunker oder die NS-Presse.

Abschließend bilanziert der Autor das Programm und konstatiert ein Scheitern von Leys Schulungsprogramm. Gescheitert ist dem Autor zufolge auch der Anspruch der Ordensburgen, den künftigen "Führernachwuchs" hervorzubringen. Gleichwohl - und im Widerspruch zu seinem Fazit - hält Heinen fest, dass "die 'weltanschauliche Erziehung' an den Ordensburgen ihre Wirkung nicht verfehlt habe. Nahezu das gesamte Korps der Ordensburgen erwies sich in der Folgezeit als eine Truppe williger Befehlsempfänger, die ohne Wenn und Aber bereit waren, ihre Qualitäten als Weltanschauungskrieger unter Beweis zu stellen. Sie waren geimpft mit dem erhebenden Gefühl, einem elitären und zur Herrschaft berufenen 'Orden der NSDAP' anzugehören" (105). Als Beleg für seine These dient Heinen die "weitere Praxis" (105) der "Ordensjunker" als "politische Soldaten", die er im folgenden Kapitel thematisiert.

Die "Ordensjunker" waren auf der Verwaltungsebene im Generalgouvernement Polen, in der "Ostverwaltung" Alfred Rosenbergs sowie in den Gebietskommissariaten der Reichskommissariate Ukraine und Ostland beschäftigt. Ob ihre Beteiligung an Verbrechen sich tatsächlich nur auf die Schulung auf den Ordensburgen zurückführen lässt, wie Heinen es darstellt, ist mehr als fraglich. So stellt auch Wendy Lower fest, dass es sich bei den Gebietskommissaren um "Amateure, Abenteurer und Karriereristen mit materiellen Ambitionen, die nur über einen beschränkten Horizont und eine dubiose Erziehung verfügten", handelte.

In den beiden nächsten Kapiteln werden die Adolf-Hitler-Schulen und die Hohe Schule der NSDAP als die zwei weiteren Stufen in Leys Führernachwuchsprogramm behandelt. Abschließend widmet sich der Autor den Ordensburgen im Krieg - sie wurden großteils von den Adolf-Hitler-Schulen genutzt, nur auf Krössinsee fanden weiterhin Lehrgänge statt - und der Nachkriegsgeschichte.

Für den Laien bietet das Buch eine leicht verständliche und ansprechend gestaltete Einführung. Es gibt einen Überblick über die drei Ordensburgen und bezieht bisherige Erkenntnisse der Forschung zu Vogelsang ein, wird dabei aber seinem eigenen, wissenschaftlichen Anspruch auf Vollständigkeit nur zum Teil gerecht: Die Beschäftigung mit bisheriger Literatur zu Vogelsang unterbleibt, Aussagen von Zeitzeugen werden häufig unkritisch übernommen, Quellen aus dem Bundesarchiv fehlerhaft als Sammlung S. Becker bezeichnet (Stefan Becker, der in Münster eine Magisterarbeit zu Vogelsang verfasst hat, hat dem Autor einige kopierte Dokumente zur Verfügung gestellt) und in das Buch aufgenommene Fotografien hätten kritischer und sorgfältiger behandelt werden müssen. So wurde beispielsweise die Fotografie einer Massenerschießung im Ghetto Mizocz vom Oktober 1942 ohne direkten Bezug zum Text aufgenommen, es hätte sich hier jedoch angeboten, auf die Nachkriegsermittlungen gegen beteiligte "Ordensjunker" einzugehen. Auch wer sich neue Erkenntnisse über den Komplex der Ordensburgen erhofft hat, muss enttäuscht werden. Es bleibt dabei, dass es an einer umfassenden Gesamtdarstellung fehlt, die weiteres Archivmaterial und bisher nicht oder wenig beachtete Themen, wie etwa die Erforschung des Lehrpersonals oder eine systematische Auswertung der Karrierewege der "Junker", berücksichtigt.

Claire Keruzec