Rezension über:

Richard W. Judd: The Untilled Garden. Natural History and the Spirit of Conservation in America, 1740-1840 (= Studies in Environment and History), Cambridge: Cambridge University Press 2009, XI + 318 S., ISBN 978-0-521-72984-0, GBP 17,99
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Rezension von:
Verena Winiwarter
Klagenfurt / Wien
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Verena Winiwarter: Rezension von: Richard W. Judd: The Untilled Garden. Natural History and the Spirit of Conservation in America, 1740-1840, Cambridge: Cambridge University Press 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/17738.html


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Richard W. Judd: The Untilled Garden

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Der Autor unterrichtet an der University of Maine und ist bislang mit Studien zur Geschichte dieses US-Bundesstaates und den Neuenglandstaaten hervorgetreten. Der örtliche Fokus liegt bei seinem neuen Werk von Bundesstaaten wie North Carolina und Virginia ausgehend auf dem Raum zwischen den Appalachen und dem Mississippi, reicht aber bis Florida und zu den Bahamas. Der Titel suggeriert allerdings fälschlicherweise, dass der Doppelkontinent Amerika in den Blick genommen werde. Hat man diese Enttäuschung überwunden, wird man mit einer auf der Lektüre einer Fülle von Naturkunden und Reiseberichten basierenden Studie konfrontiert, die sich entlang kurzer Lebensbeschreibungen von Naturforschern, sowohl europäischer Berichterstatter über den immer noch neuen Kontinent als auch der ersten in Nordamerika geborenen Naturforscher und Abenteurer, entfaltet.

Seit einem Vierteljahrhundert hat sich die "kollektive Biographie" in der Sozialforschung, unter anderem in feministischem Kontext als eine Methode etabliert, bei der durch Verbindungen und Ähnlichkeiten auf der Basis individueller Lebensläufe homogener Gruppen ein gemeinsames Bild entstehen soll, bei dem das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Judd präsentiert die Biographien der Forscher, Abenteurer und Naturalisten auf der Basis der gedruckten Werke, Teilen ihrer Korrespondenz und viel ergänzender Informationen und argumentiert, dass sich der Beginn von Naturschutzgedanken in Nordamerika in ihren Schriften finden lässt, ohne jedoch daraus eine solche kollektive Biographie zu schaffen.

Das Buch ist in drei - einigermaßen chronologisch gegliederte - Teile strukturiert. Der erste Teil behandelt jene Personen, die - etwa durch Patronage - noch stark in europäischen Kontexten stehen und die Natur des neuen Kontinents westlich der Appalachen zu durchmessen suchen. Die Namen der meisten sind nur Spezialisten der Wissenschaftsgeschichte bzw. der frühen Kolonialgeschichte Nordamerikas geläufig. Es ist ein Verdienst dieses Werkes, sie in Erinnerung zu rufen. Judd zeigt, dass sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts die taxonomische, katalogisierende Form der Darstellung der Natur zunehmend romantisiert. Reiseberichte werden für ein Publikum geschrieben, das nicht an der Flora und Fauna allein Interesse hat, sondern auch emotional angesprochen werden will. Die Schriften von Autoren wie John Bricknell, Cotton Mather, den Brüdern John und William Bartram, Alxander Wilson oder John James Audubon, nach dem die bis heute bestehende 'National Audubon Society' benannt ist, bilden den Kern der Darstellung. Der gebürtige Franzose Audubon, der erst 1812 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, hinterließ das künstlerisch bedeutendste Werk, "The Birds of America, 1827-1838". Diese und andere Schriften trugen dazu bei, dass sich eine amerikanische Identität herausbildete, so Judds gut begründete These. Der erste Teil endet mit einer sehr kursorischen und nicht belegten Darstellung des Einflusses, den die in den frühen Schriften merkbare Ehrfurcht vor der Komplexität der Natur auf spätere Naturschützer wie etwa Rachel Carson gehabt hätte.

Der zweite Teil behandelt in drei Kapiteln zu Geologie, Landschaft und Tieren das Verständnis, das die Naturforscher und Abenteurer im 19. Jahrhundert von der damaligen "frontier" entwickelten. Auch in diesem Teil wird auf den Einfluss von Europäern wie etwa Johann David Schöpf oder William Maclure, dem aus Schottland stammenden Autor der ersten Geologie der Vereinigten Staaten (1809) Bezug genommen. Es ist eine der Stärken des Werkes, die transatlantischen Bezüge wichtig zu nehmen.

Der dritte Teil "Improvers, Romantics and the Science of Conservation" behandelt das 19. Jahrhundert. Die Gleichzeitigkeit von Erforschung und Besiedelung führt zu einer grundlegenden Ambivalenz bei den Naturforschern. Angst vor der Wildnis und Freude über die sich entwickelnde Zivilisation, in der aus der Natur ökonomischer Nutzen gezogen werden kann, gehen Hand in Hand mit Bedauern über die Zerstörung der Natur und dem Wunsch nach Erhaltung der Wildnis, die als Ort der Freiheit und des männlichen Wagemuts auch positiv besetzt ist.

Das abschließende Kapitel dieses Teils, "Challenging the Idea of Improvement" zeigt, dass die Debatten etwa über die ökologischen Funktionen von Wäldern nicht zu einer einhelligen Meinung führten, aber eben auch, dass solche Gedanken unter den Naturforschern kursierten, schon ehe George Perkins Marsh 1864 die erste Auflage von "Man and Nature" veröffentlichte. Die dramatische Geschichte einer durch "Verbesserungsmaßnahmen" im Juni 1810 produzierten Flutkatastrophe in Vermont, die dieses Kapitel einleitet, zeigt, dass auch ohne fossile Energie lokale Zerstörungen tiefgreifend sein konnten und macht damit begreifbar, dass bereits Anfang des 19. Jahrhunderts auch Rufe nach Bewahrung der Natur laut werden konnten.

Ein sehr kurzes Kapitel ist der Rolle der Frauen gewidmet. Jane Colden (1724-1766) wird als herausragende Botanikerin beschrieben. Ihr Vater, Arzt und selbst als Naturforscher tätig, hatte ihr den Zugang zu den Werken von Linné ermöglicht und sie in Botanik ausgebildet. Sie benutzte die selben Quellen wie ihre männlichen Kollegen, sprach mit der indigenen Bevölkerung und korrespondierte mit Experten über medizinische Wirkungen der von ihr beschriebenen Pflanzen. Sie entwickelte ein eigenes Druckverfahren für Pflanzen, das auf großes Interesse stieß. Ihre botanischen Beschreibungen unterscheiden sich nicht systematisch von denen ihrer männlichen Kollegen. Insgesamt aber, meint Judd, seien Frauen anders an die Natur herangegangen, hätten sie größten Wert auf Schönheit in der Natur gelegt und damit Botanik als romantischen Diskurs popularisiert. Almira Phelps (1793-1884) ist nach Judd Beleg für diese Form der Naturbeschreibung, doch überzeugt die Eindeutigkeit, mit der er - gegen die Evidenz der von ihm selbst vorgestellten Jane Colden - eine spezifisch weibliche Variante der Naturforschung zu erkennen meint, nicht.

Judd macht deutlich, dass die Ursprünge des Naturschutzes auf dem nordamerikanischen Kontinent nicht erst bei Präsident Theodore Roosevelt und Gifford Pinchot liegen, eine sehr wichtige Korrektur des vielerorts noch üblichen Bildes. Dass die ersten Naturforscher zwischen Utilitarismus und Romantik schwankten und letztere durchaus publikumswirksam wichtig wurde, ist ebenfalls von Interesse, auch dies ist aus Judds Arbeit zu gewinnen.

Das Buch ist keine leichte Lektüre, zu viele Personen und ihre Werke werden in rascher Folge und mit vielen Details vorgestellt, es ist in mancher Hinsicht positivistisch, der Autor sucht die Wurzeln von etwas, was er für selbstverständlich hält, nämlich des modernen Naturschutzes und scheint an manchen Stellen geradezu verwundert darüber, dass im 18. und 19. Jahrhundert andere Vorstellungen von Natur herrschten als heute. Ein wenig mehr wissenschaftsgeschichtlicher Hintergrund, ein wenig mehr Hinweise auf die auch damals schon politisierte Wahrnehmung von Natur hätte das Buch durchaus verbessert. Insgesamt wird das Werk vor allem dort nützlich sein, wo an der Grenze von Wissens- und Wissenschaftsgeschichte geforscht wird, oder wo die lokalen Bezüge wichtig sind. Das Fehlen eines Quellen- und Literaturverzeichnisses muss gerade deshalb als bedauerlicher Nachteil angemerkt werden. Fußnoten sind ein exzellentes Instrument, um Leserinnen und Lesern direkt verfügbare Nachweise von Quellenstellen oder Literatur zu bringen. Ohne Literaturverzeichnis am Ende machen sie es schwer, festzustellen, ob der Autor bestimmte Quellenbestände oder bestimmte Werke der Sekundärliteratur benutzt hat, welche Quellenbestände insgesamt eingeflossen sind, kurz, ein Überblick über die dem Werk zu Grunde liegenden Wissensbasis wird stark erschwert. [1]


Anmerkung:

[1] So ist nach Durchsicht der Fußnoten anzunehmen, dass Judd Donald Edward Davis' Where There Are Mountains: An Environmental History of the Southern Appalachians, Georgia 2000 nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl darin zum Teil von den selben Personen gehandelt wird.

Verena Winiwarter