Rezension über:

Andreas Gottsmann: Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten 1878-1914 (= Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom. Abhandlungen; Bd. 16), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2010, 408 S., ISBN 978-3-7001-6596-5, EUR 77,50
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Rezension von:
Florian Huber
Internationales Graduiertenkolleg "Politische Kommunikation", Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Florian Huber: Rezension von: Andreas Gottsmann: Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten 1878-1914, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 4 [15.04.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/04/18462.html


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Andreas Gottsmann: Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie

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"Habsburgische Reichspolitik" und "römisch-katholischer Universalismus": Diese beiden universalen Konzepte stecken den äußeren Rahmen der vorliegenden Studie des Wiener Historikers Andreas Gottsmann ab. Diese waren jedoch keinesfalls nur übernationales Kontrastprogramm, sondern stimulierten auch die zentrifugal wirkenden Nationalisierungen, die die Habsburgermonarchie um 1900 erfassten. Die Arbeit reiht sich somit in die letzthin intensive Diskussion zur spannungsreichen Beziehungsgeschichte zwischen Religion und Nation im 19. und 20. Jahrhundert ein. Gottsmann wählt dabei eine durchaus innovative Perspektive und stellt die vatikanischen Positionen gegenüber den nationalen Konflikten in das Zentrum der Arbeit. Zwei betont "quellenorientierte" Ansätze sollen einerseits die konfliktgesättigten Entwicklungen in den habsburgischen konfessionell-nationalen Grenzgebieten aus vatikanischer Perspektive nachzeichnen, andererseits Auskunft über Abläufe und Strukturen der römischen Reaktionen auf diese national-religiösen Brechungen in Mitteleuropa geben.

Das Rückgrat dieser breit angelegten Studie bilden vatikanische Quellen, die vom Autor in bemerkenswerter Akribie ausgewertet und durch archivalisches Material der Wiener Zentralstellen ergänzt wurden. Die Struktur der Studie folgt den chronologischen Vorgaben ihres Quellenkorpus' und ist nach geographischen Kriterien angeordnet: Nach einführenden theoretischen und inhaltlichen Vorüberlegungen behandelt Gottsmann in den folgenden Abschnitten den südslawischen Raum, die böhmischen Länder, Galizien und Ungarn. Eine abschließende analytische Zusammenschau versucht ein Gesamtbild der vatikanischen Nationalitätenpolitik zu bieten. Zahlreiche Abbildungen und ein Anhang mit knappen Biographien der im Buch erwähnten geistlichen Protagonisten, einer tabellarischen Auflistung der Bischofsernennungen sowie einer hilfreichen Diözesankarte der Monarchie runden den Band ab.

Den Hauptteil der Arbeit bildet das komplexe Geflecht von nationalen und religiösen Überlappungen und Brüchen, das am Balkan durch die "vatikanische Ostpolitik" Leos XIII. ausgelöst wurde. Unterstützt von zentralen römischen und lokalen Akteuren suchte der neue Papst den slawischen Katholizismus zu stärken und dessen Attraktivität für Orthodoxe und Muslime zu erhöhen. Der Vatikan konzipierte diesen "panslawischen Katholizismus" gleichsam als Brücke zur Orthodoxie und als Bollwerk gegen einen expansiven, von Russland ausgehenden Nationalismus. Zentrale Etappen dieser vatikanischen Großoffensive waren die Bulle "Grande Munus" (1880), die Etablierung katholischer Strukturen im okkupierten Bosnien-Herzegowina (ab 1881) und das Konkordat mit Montenegro (1886). Entgegen den eigentlichen Intentionen bewirkte diese vatikanische "Ostpolitik" jedoch vor allem eine Nationalisierung religiöser Kommunikation, die sich an der Frage der liturgischen Sprache entspann: Besonders kroatische Kleriker, wie etwa der umtriebige Bischof von Djakovo, Josip Juraj Strossmayer, leiteten von der vatikanischen Ostwendung ein nationales Recht der Slawen auf eine flächendeckende Einführung des "Kirchenslawischen" als Liturgiesprache ab, um dadurch ein südslawisches Risorgimento einzuleiten. Problematisch war dies besonders in ethnisch fragmentierten Diözesen, etwa in Triest, wo italienische Katholiken die lateinische Liturgie als Symbol der eigenen Italianität dem slawischen Katholizismus entgegensetzten. Anstatt die slawisch-katholische Einheit zu befestigen, verursachte das vatikanische Engagement am Balkan ein national aufgeladenes "liturgiesprachliches Chaos" (40), das tiefe Gräben durch den Klerus und die Gläubigen zog. Der Vatikan reagierte hierauf unbestimmt passiv, kehrte insgesamt jedoch von der Förderung des panslawischen Katholizismus ab. 1906 untersagte Pius X. schließlich das "Kirchenslawische" faktisch, musste jedoch akzeptieren, dass volkssprachliche Elemente Bestandteil der lokalen Liturgie und damit Gegenstand nationaler Konflikte blieben.

Die Sprache als nationales und liturgisches Medium sowie die Ernennungen von Bischöfen durchzogen alle untersuchten Gebiete als zentrale nationale wie konfessionelle Konfliktfelder, wobei nationale und religiöse Bekenntnisse sich häufig überlappten. Gottsmann spricht hier von "Konfessionsnationen": Ein Teil der galizischen Ruthenen beispielsweise verabsolutierte den ostkirchlichen Ritus und die kirchenslawische Liturgiesprache als nationale Abgrenzungsparameter gegen eine drohende "lateinische" Polonisierung. Auch in Bosnien-Herzegowina beobachtete die römische Kurie beunruhigt, dass konfessionelle und nationale Selbstbeschreibungen ununterscheidbar wurden.

Andreas Gottsmann zeichnet ein dichtes Konfliktszenario und arbeitet akkurat die Argumentationen der beteiligten Akteure heraus. Dass die Gliederung der Arbeit zu einer gewissen Redundanz führt, fördert zwar ebenso wenig wie das schwer handhabbare Großformat des Buches den Lesefluss, hilft jedoch die Vielschichtigkeit der Konfliktstrukturen besser zu erfassen. An einigen Stellen schöpft die Studie ihr Potential jedoch nicht voll aus. Die Presse wird als vatikanisches wie auch lokales Kommunikationsmedium zwar punktuell herangezogen, ihr Einfluss auf regionale Konfliktherde bzw. auf römische Entscheidungsprozesse aber nicht systematisch befragt. Ebenso bereichernd wäre eine stärkere Einbindung der empirischen Ergebnisse in die jüngere historiographische Diskussion gewesen. So werden die einschlägigen Arbeiten von Martin Schulze Wessel zu den böhmischen Ländern überhaupt nicht wahrgenommen. Letztlich bleibt es aus der Perspektive der vatikanischen Quellen unklar, ob sich aus den beschriebenen Konflikten allgemeine Schlüsse ziehen lassen oder ob diese nicht vielmehr auf situative Konstellationen zurückzuführen sind. Auch die Beziehungen zwischen nationalen und konfessionellen Identitäten bleiben unscharf: Gottsmann betont zu Recht die nationale Bedeutung konfessioneller Selbst- und Fremdzuschreibungen, spielt diese jedoch gegen die Sprache als zentrale Instanz nationaler Identifikation aus. Dabei zeigen gerade die Ergebnisse der Studie, dass Sprachen als Medien religiöser Kommunikation konstitutiv-integrative Elemente für "Konfessionsnationalitäten" bereitstellten und dadurch erheblich auf nationale Identitäten einwirkten. Der Blick aus der römischen Zentrale verrät darüber hinaus wenig über den religiösen Wandel um 1900, den die Konkurrenz zwischen "Konfessionsnationen" vermuten lässt.

Dennoch gehen aus der fundierten und sehr detaillierten Studie grundlegende Befunde hervor, die bisherige Annahmen deutlich korrigieren. Gottsmann betont überzeugend eine "Ohnmacht des Papsttums" (311) gegenüber der nationalen Aufladung der habsburgischen Katholizismen und bietet erhellende Einsichten in die vatikanischen Entscheidungsstrukturen. Päpstliche bzw. römische Weisungen hatten oft nur sehr geringe Durchschlagskraft und wurden von der lokalen kirchlichen Hierarchie nicht nur offen kritisiert, sondern zuweilen schlicht ignoriert. Insgesamt betrachtet, hatte der vatikanische Universalismus den Nationalisierungen des Katholizismus wenig entgegenzusetzen: Zu viele Akteure waren an den konfusen und widersprüchlichen Entschlüssen beteiligt, die letztlich zeigen, dass auch die katholische Zentrale nationale Differenzierungen akzeptierte und in ihren Entscheidungen vom universalistischen Prinzip abkehrte. Gerade wohl deshalb hielt die kirchliche Einheit den virulentesten Phasen der nationalen Antagonismen stand.

Florian Huber