Rezension über:

Markus A. Denzel: Das System des bargeldlosen Zahlungsverkehrs europäischer Prägung vom Mittelalter bis 1914 (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; Nr. 201), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, 583 S., ISBN 978-3-515-09292-0, EUR 78,00
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Rezension von:
Oliver Volckart
London School of Economics and Political Science
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Volckart: Rezension von: Markus A. Denzel: Das System des bargeldlosen Zahlungsverkehrs europäischer Prägung vom Mittelalter bis 1914, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/17020.html


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Markus A. Denzel: Das System des bargeldlosen Zahlungsverkehrs europäischer Prägung vom Mittelalter bis 1914

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Investitionen steigern das Verhältnis von Kapital zu Arbeit; sie sind damit einer der wesentlichen Faktoren, die zum Wachstum einer Wirtschaft beitragen. Wie viel investiert werden kann, hängt bekanntlich zunächst von der Sparquote ab. Sodann aber - und dies ist im vorliegenden Zusammenhang das interessante - wird die Investitionsrate wesentlich davon beeinflusst, wie mobil Kapital ist, ob und unter welchen Bedingungen es also dorthin transferiert werden kann, wo der Ertrag, den ein potentieller Investor erwartet, am höchsten ist. Die Techniken, die zum Transfer von Kapital zur Verfügung stehen, sind mithin von entscheidender Bedeutung für die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft. Dieser Umstand macht Denzels Darstellung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs so wichtig und interessant.

Das Buch beginnt mit einer Erläuterung der Funktionsweise des wichtigsten Transfermechanismus', des Wechsels. Hier bietet der Autor einen knappen Überblick über die Entwicklung der Wechseltechnik von den Anfängen während der "kommerziellen Revolution" des Hochmittelalters bis zum beginnenden zwanzigsten Jahrhundert. Der Hauptteil des Buchs ist in vier Kapitel gegliedert, die diese Entwicklung im Einzelnen nachzeichnen. Besondere Berücksichtigung findet dabei die Ausweitung des Wechselverkehrs auf außereuropäische Märkte.

Was Denzels Arbeit auszeichnet, ist die Nutzung der breiten - auch nicht-deutschen - Literatur. Darüber hinaus beruhen wesentliche Teile auf Primärquellen wie z.B. Wechselordnungen und den an zahlreichen Märkten mehr oder weniger regelmäßig veröffentlichten Kurszetteln. Die Sammlung und Auswertung dieses Materials ist besonders verdienstvoll. Dennoch hat das Buch den Rezensenten nicht in jeder Hinsicht befriedigt. Das hat vor allem zwei Gründe:

Erstens bemüht Denzel sich in seiner Darstellung des Wechselverkehrs, diesen im Zusammenhang mit der Integration von Finanzmärkten zu untersuchen. Tatsächlich spielt das Thema Integration in seiner Arbeit eine zentrale Rolle. Nun ist dies ein Gegenstand, dem sich die wirtschaftshistorische Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten verstärkt zugewandt hat. Grundlage ist eine Erkenntnis Augustin Cournots aus den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts: Cournot definierte einen Markt als ein Territorium, dessen einzelne Regionen durch kommerzielle Beziehungen so intensiv miteinander verbunden sind, dass sich die Preise durchweg - und zwar leicht und schnell - auf demselben Niveau einpendeln. [1] Auf Finanzmärkten spielen Preise im landläufigen Sinn natürlich keine Rolle. Ihren Platz nehmen Wechselkurse und Zinssätze ein: Differenzen zwischen lokalen Kursen und Zinsen zeigen Schwächen in der Integration der Märkte an. Will man untersuchen, wie sich dieser Prozess über die Zeit entwickelte und welche Unterschiede zwischen einzelnen Regionen bestanden, so muss mithin die Analyse von Zinssätzen und Wechselkursen im Mittelpunkt stehen. Im Prinzip ist dieser Zusammenhang Denzel durchaus klar. Anders lässt sich z.B. seine Bemerkung, dass die annähernde Kursgleichheit zwischen Amsterdam, London, Hamburg und Cadiz im späten siebzehnten Jahrhundert Hinweis auf die gute Integration dieser Märkte sei (190), kaum erklären. Im Mittelpunkt steht bei ihm aber etwas anderes: Wie schon in einer Reihe früherer Arbeiten [2] nimmt er an, dass "alle Plätze, die von anderen Zentren notiert wurden, [...] als in das internationale Zahlungsverkehrssystem entweder eingebunden, d.h. integriert, oder zumindest angebunden angesehen werden" können (35). Kurz gesagt, er verzichtet auf die Analyse von Wechselkursen oder Zinssätzen und fragt stattdessen lediglich, ob, wann und wie oft bestimmte Orte in den an anderen Orten publizierten Kurslisten erwähnt wurden. Taucht ein Ort regelmäßig in einer solchen lokalen Liste auf, so betrachtet Denzel die beiden Märkte als integriert.

Es ist natürlich jedem unbenommen, seinen eigenen methodischen Zugang zu dem zu untersuchenden Thema zu finden. Die Vielfalt der Ansätze, die die Wirtschaftsgeschichte als Disziplin auszeichnet, ist allein schon deshalb zu begrüßen, weil der Wettstreit der Methoden zu deren Verfeinerung beiträgt. Was man in diesem Zusammenhang allerdings erwarten können sollte, ist eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur und den vom Rest der Forschung verwendeten Methoden - eine Auseinandersetzung, aus der hervorgeht, aus welchen Gründen der Verfasser seine eigene Methode für überlegen hält. So etwas sucht man in Denzels Buch vergeblich. Der einzige Hinweis darauf, dass er sich der Existenz anderer Ansätze überhaupt bewusst ist, ist eine terminologisch unscharfe Fußnote auf Seite 35 (dort verwechselt Denzel Indikatoren für Integration mit Faktoren, die zu verstärkter Integration führen).

Die Daten, die für eine moderne, auf dem Stand der Technik befindliche Analyse der Integration von Finanzmärkten erforderlich sind, liegen vor. Wechselkurse sind seit früher Zeit überliefert, und zwar in einer Qualität und Dichte, die der von beispielsweise Getreidepreisen nicht nachsteht. Derartige Daten sind bereits zur Analyse der Integration von Finanzmärkten eingesetzt worden, und zwar nicht nur für die Frühe Neuzeit, sondern auch für das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert. [3] Diesem Vorgehen steht also nichts im Wege. Warum Denzel statt der sonst zur Analyse verwendeten "Spreads" zwischen Wechselkursen bzw. Zinssätzen einen derartig kruden Integrationsindikator wie die Nennung in Kurslisten verwendet, bleibt unklar und berührt umso merkwürdiger, als er selbst an der quantitativen Erfassung frühneuzeitlicher Wechselkurse beteiligt war. [4] Dass Denzel sich für die Beibehaltung seines eigenen methodischen Zugangs entschieden hat, findet der Rezensent bedauerlich: Einerseits koppelt er sich damit von allem ab, was in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Erforschung der Integration historischer Märkte geleistet worden ist; andererseits nimmt er sich auch selbst die Chance, die Forschung mit seinem Buch - das ja eine Fülle im Prinzip wertvoller Informationen enthält - zu beeinflussen.

Noch aus einem zweiten Grund hat die Lektüre von Denzels Arbeit den Rezensenten nicht befriedigt: Es fehlt eine Argumentationslinie. Der Autor beschreibt, welche Märkte in Kontakt mit welchen anderen standen; er geht den europäischen Kontinent dabei Land für Land durch, beschreibt, wo es der Zusammenhang erfordert, auch nicht-europäische Märkte, aber er beschreibt eben lediglich. Es gibt weder eine Fragestellung, die über "wie hat sich der Wechselverkehr entwickelt?" hinausgeht, noch eine Hypothese, die getestet wird.

Kurz und gut: Wer sich detailliert über die Entwicklung von Wechseltechniken informieren möchte, wer z.B. wissen will, wodurch sich der cambio con la ricorsa vom cambio secco unterschied, kann hier schnell und zuverlässig nachschlagen, zumal das Buch durch ein ausgezeichnetes Register erschlossen wird. Wer eine Analyse erwartet, die dem Stand der Forschung gerecht wird, oder wer gar etwas Spannendes und Unterhaltsames über ein höchst wichtiges Thema der Finanzgeschichte lesen möchte, wird dagegen enttäuscht.


Anmerkungen:

[1] Antoine Augustin Cournot: Researches into the Mathematical Principles of the Theory of Wealth. New York / London 1838/97, 51f.

[2] Markus A. Denzel: "La Practica della Cambiatura": Europäischer Zahlungsverkehr vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. Stuttgart 1994, 19; ders.: Die Integration Deutschlands in das internationale Zahlungsverkehrssystem im 17. und 18. Jahrhundert. In: Eckart Schremmer (Hg.): Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht: Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Marburg 1995, Stuttgart1996, 58-109, hier 58.

[3] Z.B. Oliver Volckart: Regeln, Willkür und der gute Ruf: Geldpolitik und Finanzmarkteffizienz in Deutschland, 14. bis 16. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (2009), 101-129.

[4] Markus A. Denzel / Jürgen Schneider / Oskar Schwarzer: Währungen der Welt, Bde. 2, 5, 7, 8, 10. Stuttgart 1991ff.

Oliver Volckart