Rezension über:

Linda-Marie Günther (Hg.): Herodes und Jerusalem, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, 150 S., ISBN 978-3-515-09260-9, EUR 30,00
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Rezension von:
Stefan Krauter
Evangelisch-theologische Fakultät, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Krauter: Rezension von: Linda-Marie Günther (Hg.): Herodes und Jerusalem, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/16311.html


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Linda-Marie Günther (Hg.): Herodes und Jerusalem

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2006 fand eine erste Tagung zu Herodes dem Großen an der Ruhr-Universität Bochum statt. Der entsprechende Band "Herodes und Rom" erschien 2007. Der vorliegende Band "Herodes und Jerusalem" ist nun das Ergebnis einer zweiten Tagung im Juni 2007. Wieder trafen Forscher aus verschiedenen Disziplinen (Archäologie, Geschichte, Theologie) von verschiedenen deutschen Universitäten zusammen, um vielfältige Aspekte des Themas aus jeweils ihrer Perspektive zu behandeln.

Die beiden archäologischen Beiträge - jeweils mit zahlreichen Abbildungen - haben sehr unterschiedliche Fragestellungen zum Gegenstand. Achim Lichtenberger bietet einen umfassenden Überblick über literarisch belegte oder bei Ausgrabungen gefundene figürliche Darstellungen im herodianischen Judäa. Er zeigt auf, dass es keinen einfachen Gegensatz zwischen einem Bilderverbot und dessen Bruch durch künstlerische Darstellung von Menschen oder Tieren gab. Strikt verboten war vielmehr nur die kultische Verehrung von Bildern. Daneben lässt sich eine Tendenz zur Vermeidung von figürlichen Darstellungen aufweisen, die aber einzelne Abbildungen keineswegs ausschließt, und zwar weder im Umfeld des Hofes noch bei Alltagsgegenständen. Hanswulf Bloedhorn stellt dar, wie Herodes, auf Baumaßnahmen seiner hasmonäischen Vorgänger aufbauend, die Stadt Jerusalem umgestaltete.

Der Beitrag des Neutestamentlers Peter Wick fällt trotz seines interessanten Ausgangspunktes gegenüber den anderen Beiträgen ab. Er stellt richtig heraus, dass die Erwähnungen des Herodes im Neuen Testament eine beinahe einmalige Chance bieten, wenigstens ansatzweise zu erfahren, wie seine Herrschaft bei Menschen ankam, die nicht zur Elite gehörten (darauf weist auch Klaus Bringmann in seinem Beitrag hin). Leider wird dies dann aber kaum eingelöst. Die Interpretation der entsprechenden Textstellen ist wenig innovativ (sie beruht auf gängigen Kommentaren und früheren Veröffentlichungen Wicks). Der Beitrag bleibt insgesamt etwas skizzenhaft.

Von den vier althistorischen Beiträgen widmen sich diejenigen von Klaus Bringmann und Ernst Baltrusch der erneuten intensiven Lektüre von antiken literarischen Quellentexten. Beide zeigen in überzeugender Weise, dass sich auch aus lange bekannten Texten noch vieles Interessante und Neue herausholen lässt.

Der eröffnende Aufsatz von Bringmann nimmt ausgehend von dem "Totengericht" in Josephus, Antiquitates Judaicae 19,328-331 die Bücher 14 bis 17 dieses Werkes sowie das erste Buch des Bellum Judaicum unter die Lupe. Bringmann gelingt es, ein breites Panorama zum Thema "König Herodes und die Juden" zu entwerfen, eine gewiss vorläufige, aber fundierte und weiterführende Wertung dieses Aspektes der Herrschaft des Herodes.

Baltrusch rekonstruiert anhand von Passagen bei Josephus und Philo die genauen Abläufe beim Treffen zwischen Herodes und M. Vipsanius Agrippa in Kleinasien im Jahre 14 v. Chr. Überzeugend arbeitet er darauf aufbauend heraus, wie die herodische Herrschaft im spannungsgeladenen Feld von römischen, griechischen, diasporajüdischen und judäischen Interessen funktionierte. In einem Schlussabschnitt zeigt er aber auch klar, wo die Risiken des Herrschaftsmodells des Herodes waren und wo die Gründe für sein Scheitern teilweise schon unter Herodes, vor allem aber unter seinen Nachfolgern lagen.

Die beiden übrigen althistorischen Beiträge haben das Verhältnis von Herodes zur hasmonäischen Vorgängerdynastie zum Thema.

Benedikt Eckhardt untersucht detailliert Strategien dynastischer Legitimation und Delegitimation von Herrschaft bei Hasmonäern und Herodes. Im Anschluss an neuere Forschungsbeiträge lässt er dabei das in der früheren Forschung noch gängige Schema vom "davidischen Königtum" und "zadokidischen Hohepriestertum", das sowohl Hasmonäern als auch in besonderem Maße Herodes Legitimationsprobleme gebracht habe, hinter sich. Kritisch grenzt er sich auch von der These Kai Trampedachs ab, dass "Biblizismus" die einzig legitime politische Sprache im Judentum der hasmonäischen und herodianischen Zeit gewesen sei. Der betonte Rückgriff auf biblische Modelle sei eher in religiösen Randgruppen zu beobachten, die die jeweiligen Herrscherhäuser delegitimieren wollten, damit aber wohl kaum eine Breitenwirkung erzielten.

Die Herausgeberin des Bandes Linda-Marie Günther bricht in ihrem Beitrag das gängige Bild von Herodes als fanatischem Feind der Hasmonäer auf, insbesondere in sehr kritischer Auseinandersetzung mit Aryeh Kashers 2007 erschienener Herodesbiographie. Sie analysiert minutiös (allerdings manchmal für den Leser trotz Abbildungen von Stemmata nur schwer nachzuvollziehen) die familiären Verbindungen zwischen Herodes, den Hasmonäern und anderen Familien der jerusalemitischen Aristokratie. Daran zeigt sie auf, wie fein das Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen einflussreichen Familien immer wieder durch Heiratspolitik austariert wurde.

Der insgesamt schmale Band schließt mit einem Verzeichnis der wichtigsten Literatur zum Thema und einem Orts- und Personennamenregister.

"Herodes und Jerusalem" nimmt die neueren Forschungsdiskussionen über König Herodes und das Judentum der herodianischen Zeit breit auf und bietet viele neue, interessante und weiterführende Einsichten zu verschiedenen Aspekten seiner Herrschaft. Eine Gesamtwertung zum Thema kann man von einem solchen Tagungsband nicht erwarten (wie oben gesagt, geht am ehesten der Beitrag von Bringmann in diese Richtung). Was aber doch auffällt, ist, dass auch intensive Querbezüge zwischen den Beiträgen kaum zu finden sind. Insbesondere ist zu bemerken, dass sich die Vertreter der Disziplinen Archäologie, Geschichte und Theologie jeweils weitgehend innerhalb der Grenzen des eigenen Faches bewegen. Den eigentlich sehr begrüßenswerten und spannenden interdisziplinären Ansatz hätte man noch stärker und damit den Band wohl noch ertragreicher machen können.

Stefan Krauter