Rezension über:

Bernd Ebert: Simon und Isaack Luttichuys. Monographie mit kritischem Werkverzeichnis, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, 790 S., ISBN 978-3-422-06815-5, EUR 148,00
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Rezension von:
Silke Gatenbröcker
Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Silke Gatenbröcker: Rezension von: Bernd Ebert: Simon und Isaack Luttichuys. Monographie mit kritischem Werkverzeichnis, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/16301.html


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Bernd Ebert: Simon und Isaack Luttichuys

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Im 'Goldenen Jahrhundert' der holländischen Malerei belieferte eine extrem große Zahl begabter Künstler einen durch besondere Wirtschaftskraft geprägten Kunstmarkt mit einer schier unglaublichen Bildermenge. Es kann nicht verwundern, dass viele dieser Werke und Künstler noch ihrer umfassenden Bearbeitung harren. Dies gilt besonders für die weniger intensiv untersuchten Gattungen Porträt und Stillleben. Bernd Eberts 2005 abgeschlossene und 2009 veröffentlichte Dissertation über die Brüder Simon und Isaack Luttichuys leistet hier für den Zeitraum 1640 bis 1670 einen wertvollen Beitrag.

Der vorwiegend als Stilllebenmaler tätige Simon Luttichuys (1610-1661) und sein als Porträtist arbeitender Bruder Isaack (1616-1673) waren allenfalls Spezialisten ansatzweise ein Begriff, ein differenziertes Bild ihres Œuvres liefert aber erst das vorliegende, opulent ausgestattete Buch. Es gliedert sich in einen einführenden Text mit Kapiteln zu Leben, Werkbeschreibung, Auftraggebersituation und künstlerischem Umfeld sowie die anschließenden Werkverzeichnisse. Ein umfangreicher Dokumentenanhang mit 150 Archivalien im Original und in deutscher Übersetzung erweist sich auch für übergreifende Forschungen als Fundgrube. So sind beispielsweise vollständige Inventare von Gemäldebesitzern abgedruckt, die Werke der Brüder Luttichuys enthalten. Zahlreiche, vielfach farbige Abbildungstafeln entfalten vor dem Auge des Lesers das reichhaltige malerische Œuvre der Brüder - Zeichnungen existieren von beiden Künstlern nicht. Anhand höchst qualitätsvoller Detailbilder lassen sich Eberts Ausführungen über stilistische Eigenschaften und Zuschreibungen der behandelten Werke nachvollziehen.

Eine Schwäche der zwei Werkverzeichnisse liegt in der nicht immer durchgeführten persönlichen Autopsie der Originale, selbst wenn diese sich in öffentlichen Sammlungen befinden. Zuschreibungen und Angaben zur relativen Chronologie konnten somit häufig nur auf Basis von Fotos erfolgen. Oft beschränkt sich der Autor auf das Referieren von Einschätzung anderer Forscher. Ob Ebert ein Werk selbst sah, ist meist anhand der Zustandsbeschreibungen erkennbar. Bei diesen handelt es sich nur in Ausnahmefällen um technische Analysen, meist wird der Seheindruck wiedergegeben, der mögliche Veränderungen oder Restaurierungen eines Werkes nur eingeschränkt erfassen kann. Aufschlussreich sind hingegen die Anmerkungen zu Bildmotiven und ikonografischen Details im Katalogteil.

Die 'Duographie' behandelt gleichrangig zwei Brüder, die sich beide für den Maler-Beruf entschieden hatten, ohne dass ihnen dies als Söhnen eines Tuchwebers in die Wiege gelegt war. Beider Laufbahn lässt indes keinen engeren Austausch erkennen, unabhängig voneinander betrieben sie ihre Spezialfächer. Ebert begründet seine Paralleluntersuchung dennoch plausibel mit dem Ziel einer klaren Händescheidung. Erst auf der Basis intensiver biografischer Forschung in Kombination mit gründlicher vergleichender Analyse der einzelnen Gemälde konnten die zahlreichen Verwechselungen und Unklarheiten bereinigt werden, die die dünne Forschungslage verursacht hatte.

Die Eltern der Künstler - die Mutter aus der Nähe von Middelburg, der Vater aus Westfalen - übersiedelten 1604 von Münster über Amsterdam nach London. Dort wurden 1610 Simon und 1616 Isaack geboren. Ebert rekonstruiert, dass Simon vermutlich in den 1630er-Jahren bei einem englischen Porträtmaler lernte, während der sechs Jahre jüngere Isaack wohl schon um 1630 als 12- bis 16-jähriger in Amsterdam ausgebildet wurde. Noch 1638 ist Simon in London nachweisbar, aus dieser Zeit sind nur wenige altertümliche Bildnisse englischer Geistlicher erhalten. Isaack hingegen hinterlässt aus diesem Jahr sein erstes holländisches Porträt. Manches bleibt in der Entwicklung von Simon und Isaack Luttichuys trotz akribischer Quellenrecherche undeutlich, ein ähnliches Problem wie beispielsweise beim sehr erfolgreichen Jacob Backer. [1] Darüber können auch teilweise weit ausholende Exkurse und zuweilen redundante Passagen nicht hinwegtäuschen. Eine Straffung des Textes wäre dem Buch hier zugutegekommen.

Simon Luttichuys erscheint erst 1644/46 mit ersten Werken in Amsterdam, malte nun aber Stillleben. Zunächst handelt es sich dabei ausnahmslos um Vanitas-Stücke oder komplexe Allegorien auf Kunst, Künstler und Wissenschaft mit unmittelbaren Zitaten nach Jan Lievens und Rembrandt. Einen konzisen Vorschlag zur Erklärung dieser Rekurse und überhaupt der neuen Themenwahl muss der Autor allerdings schuldig bleiben. Seine ausführlichen ikonografischen Essays zu jedem dieser Bilder, in denen Ebert der Nachweis vieler Vorbilder und Vorlagen der verwendeten Motive gelingt, verdienen jedoch durchaus, auch separat gelesen zu werden.

Ab 1649 wechselt Simon plötzlich sein Repertoire. Es entstehen moderne Prunk- und Bankettstillleben in der Art von Willem Kalf und Jan Davidz de Heem. Ebert kann die bislang herrschende Auffassung korrigieren, Simons Werke hingen einseitig von Kalfs Vorbild ab, da Simon bestimmte Kompositionsmuster früher als Kalf verwendet. Für eine genauere Positionsbestimmung im Verhältnis zu de Heem fehlen derart präzise Kriterien. Auch die unzweifelhaften Bezüge zwischen Simon Luttichuys und Jan Jansz den Uyl, Jan Jansz Treck und zu deren Nachfolger Juriaen Streeck, der zuweilen als Schüler Simons gesehen wurde, mussten wegen noch mangelnder Erforschung dieser Maler weiter diffus bleiben. Fred Meijers vergleichende Gegenüberstellung dieser Meister im Katalog der Willem Kalf-Ausstellung 2006 wurde von Ebert nicht mehr berücksichtigt. [2] Bemerkenswert ist Eberts überzeugende Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte von drei unvermittelt erscheinenden Porträts der Brüder Stuart im Exil in Breda kurz vor ihrer Rückkehr nach England 1660. Simon erhielt den Auftrag kurz vor seinem Tod von seinem Nachbarn, dem Royalisten Sir William Davidson, wohl wegen seiner Verbindung zu England.

Isaack, dessen Frühwerk Verwandtschaft mit Herman Doncker und Thomas de Keyser zeigt, entwickelte sich zum viel beschäftigten Porträtisten der bürgerlichen Elite Amsterdams in den 1650er/60er-Jahren. Als Künstler der Epoche nach dem Friedensschluss und vor allem in der statthalterlosen Zeit ab 1651 bediente er das Bedürfnis seiner Klientel nach dekorativer, quasi aristokratischer Selbstdarstellung. Dies reicht bis hin zu den prunkvollen Zierrahmen im sogenannten Lutma-Stil, die bei einigen seiner Werke erhalten sind und denen Ebert zu Recht einen Exkurs widmet. Isaack steht in einer Reihe mit Malern wie Bartholomeus van der Helst, Jacob Backer, aber auch den Rembrandt-Schülern Govaert Flinck und Ferdinand Bol, die inzwischen einen stilistischen Wandel vollzogen hatten; dies hätte der Autor noch deutlicher herausarbeiten können. Vor allem mit Porträts des Helst-Schülers Abraham van den Tempel, der bei Ebert keine Beachtung findet, weil er erst 1660 in Amsterdam tätig wird, drängt sich der Vergleich auf. Wünschenswert wäre auch eine genauere Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Luttichuys und Cornelis Johnson, dem seine Arbeiten vielfach zugeschrieben werden. Ein kaum zu überwindendes Hindernis stellte für den Autor dabei jedoch das Fehlen von umfassenden Studien zu Helst und den meisten anderen Künstlern dar.

Isaacks direkte Übernahme der Komposition von Anton van Dycks Porträt der Lady Frances Buckhurst für vier Damenporträts, die Ebert anschaulich macht, bezeugt die Orientierung Isaacks am führenden internationalen Stil in Verbindung mit einer offenbar primär ökonomisch ausgerichteten Gemäldeproduktion. Dabei ist seinen Bildnissen mit ihrem abwesend ruhigen Ausdruck die künstlerische Individualität nicht abzusprechen. 'Klassizistische' Tendenzen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die zuweilen an Arbeiten Caesar van Everdingens erinnern, sind unverkennbar. [3]

Neben der detaillierten Erschließung des Œuvres der zwei Maler bietet der Band auch zu vielen übergreifenden Aspekten, wie beispielsweise zur Frage nach familienbiografischen oder genetischen Einflüssen auf einen Künstler, viel Aufschlussreiches. [4] Bleibt eine genetische Prädisposition für die Berufswahl denkbar, so scheinen soziologische und ökonomische Fakten sowie modische Zeitströmungen auf die Brüder Luttichuys einflussreicher gewirkt zu haben. Der internationale Lebenslauf beider Künstler zwischen Westfalen, London und Amsterdam darf bei der Diskussion über globale Vernetzungen und deren Auswirkungen auf künstlerische Ausdrucksformen ebenfalls allgemeines Interesse beanspruchen.


Anmerkungen:

[1] Peter van den Brink / Jaap van der Veen: Jacob Backer (1608/09 - 1651) (Ausstellungskatalog Amsterdam / Aachen, Museum Het Rembrandt / Suermondt-Ludwig-Museum 2008/2009), Zwolle 2009.

[2] Fred G. Meijer: Das Amsterdamer Œuvre Willem Kalfs in der Perspektive, in: Gemaltes Licht. Die Stillleben von Willem Kalf, 1619-1693 (Ausstellungskatalog Rotterdam / Aachen, Museum Boijmans Van Beuningen / Suermondt-Ludwig-Museum 2006/2007), München / Berlin 2006, 94-103.

[3] Albert Blankert u.a.: Holländischer Klassizismus in der Malerei des 17. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog Rotterdam / Frankfurt a.M., Museum Boijmans Van Beuningen / Städelsches Kunstinstitut 2000), Rotterdam 2000.

[4] Vgl. Léon Krempel (Hg.): Künstlerbrüder - von den Dürers zu den Duchamps (Ausstellungskatalog München / Brüssel, Haus der Kunst / Palais des Beaux-Arts 2005/2006), Petersberg 2005.

Silke Gatenbröcker