Rezension über:

Agnes Husslein-Arco / Jean Louis Gaillemin / Michel Hilaire u.a. (Hgg.): Alfons Mucha, München: Hirmer 2009, 356 S., Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, 9. Oktober 2009 - 24. Januar 2010., ISBN 978-3-7774-7035-1, EUR 45,00
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Rezension von:
Michaela Braesel
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Michaela Braesel: Rezension von: Agnes Husslein-Arco / Jean Louis Gaillemin / Michel Hilaire u.a. (Hgg.): Alfons Mucha, München: Hirmer 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/15990.html


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Agnes Husslein-Arco / Jean Louis Gaillemin / Michel Hilaire u.a. (Hgg.): Alfons Mucha

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Der aufwendige, attraktiv gestaltete und mit einer Vielzahl von großformatigen Farbabbildungen ausgestattete Ausstellungskatalog teilt sich in Essays und durch kurze Erläuterungen eingeleitete Bildteile, wobei die technischen Daten zu den Werken in einem abschließenden Werkverzeichnis angeführt sind. Die Bildteile ordnen die Objekte nach Gattungen oder nach thematischen Zusammenhängen, ohne genauere Katalogangaben zu den einzelnen Arbeiten zu enthalten.

Bei den Essays nehmen die Herausgeber eine kluge Entscheidung vor. Anstatt noch einmal allgemein die jeweiligen Werkkomplexe zu erläutern, nehmen sie eine Auswahl vor und setzen bestimmte Akzente. Dabei entscheiden sie sich sinnvoll für solche Themen, die noch einer Erörterung harren oder die nun erst durch eine Interessenverschiebung innerhalb der Kunstgeschichte ausgiebiger gewürdigt werden können. Wie bei vielen Jugendstil-Themen ist auch bei Mucha das Problem, das sein Werk bereits mehrfach ausgestellt wurde und in diesem Zusammenhang umfangreiche Kataloge erschienen sind. Im Falle von Mucha handelt es sich um die große Ausstellung von 1980 auf der Mathildenhöhe in Darmstadt mit fast 400 Exponaten und einem 400 Seiten starken Katalog sowie um die Ausstellung von 1997 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, wo entsprechend zum Sammlungsschwerpunkt des Museums der Akzent auf Plakaten, Druckerzeugnissen, Zeichnungen und Entwürfen für Kunsthandwerk lag. Darmstädter Ausstellung und Katalog hatten die Absicht, Muchas Œuvre zum ersten Mal in möglichst allen Aspekten zu präsentieren, seine verschiedenen Werkbereiche und ihre Hintergründe darzulegen. Essays und Katalogbeiträge entsprechen sich dabei in ihrer Gliederung, ergänzen einander. Es sollte die Basis für eine neue Auseinandersetzung mit Muchas Werk gelegt werden, die sowohl den in Paris tätigen, der Art Nouveau verpflichteten als auch den patriotischen, tschechischen Künstler betrafen. Die Hamburger Ausstellung setzte den Schwerpunkt auf die Pariser Zeit analog zu den eigenen Beständen. Die durch umfangreiche Katalognummern ergänzten Essays führen in Leben und Werk des Künstlers ein und zeigen Muchas Position im Kontext der Pariser Salonmalerei und der Plakatkunst seiner Zeit.

Vor diesem Hintergrund wird die Auswahl der Themen durch die Herausgeber des in München publizierten Kataloges verständlich. Statt den üblichen Wegen zu folgen, wurde geschaut, welche Aspekte Muchas noch einer Erörterung bedürfen. Diese punktuell ausführliche Information wird durch einseitige Einführungstexte zu den einzelnen Werkbereichen ergänzt, wobei es allerdings etwas erstaunt, dass die dekorativen Paneele, die "Figures Decoratives" sowie Muchas Stoffentwurf unter den Plakaten erscheinen und keine eigene Einführung erhalten.

Der Schwerpunkt der Essays liegt auf der Analyse der Hintergründe für Muchas Stil, seiner Verwendung der Fotografie, der Rekonstruktion seiner Arbeiten für den Pavillon der osmanischen Provinzen Bosnien-Herzogowinas und seiner Auffassung im "Slawischen Epos".

Jean-Louis Gaillemin und Arnauld Pierre beschäftigen sich mit den Voraussetzungen für Muchas linearen Stil und verweisen auf die Anregungen durch Albert de Rochas' "Les Sentiments, le Musique et le Geste". De Rochas untersuchte durch hypnotisierte Modelle den Einfluss der Musik auf die Empfindung und die Körpersprache. Der Bezug zu Mucha ist insofern gerechtfertigt, als dass dieser in den gleichen Kreisen verkehrte und für die Publikation Illustrationen anfertigte. Gaillemin zeigt detailliert auf, wie die Anregungen durch Rochas in verschiedenen Abstufungen Muchas Werk prägen: Die Linie in ihrer Form als Körperkontur, stilisiertes Haar und abstraktes Ornament wird zum Indikator der inneren Verfassung, die sich auf den Betrachter überträgt. Zugleich erweist sich Mucha als Linienkünstler als seiner Zeit verhaftet, in der das lineare Ornament von Künstlern wie Henry van de Velde als abstraktes Ausdruckmittel entdeckt und eingesetzt wurde. Mucha wendet sich schließlich von diesen abstrakt-stilisierten Bereichen der dekorativen Kunst ab, um sich den Anliegen einer panslawistischen und realistischer geprägten Kunst zu widmen, die sich allerdings nach wie vor auf die geschwungene Kontur verlässt.

Arnauld Pierre greift in seinem Essay die Beziehung von Mucha und de Rochas auf und stellt ihre Experimente mit einem hypnotisierten Medium, das sich unter dem Einfluss von Musik bewegt, in eine Traditionslinie. Im Mittelpunkt stehen Theorien von Hypnose und Suggestion und auf welche Weise diese als ästhetische Suggestion ihre Umsetzung im Werke Muchas finden.

Oliver Gabet widmet sich Muchas Entwürfen für die angewandte Kunst. Er schildert die Zusammenarbeit mit dem Juwelier Georges Fouquet, für den Mucha das Geschäft, Ausstellungen und Schmuckstücke entwarf, die Rolle des dekorativen Objekts im malerischen und grafischen Werk Muchas und analysiert seine Publikation "Documents Décoratifs".

Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Aufsätze von Dominique de Font-Réaulx und Tomoko Sato zur Bedeutung der Fotografie im Werke Muchas. Während der erste Beitrag sich eher mit der Verwendung der Fotografie innerhalb der Konzeption von Werken beschäftigt, behandelt der zweite die privaten, zweckfreien Fotografien des Künstlers. Es wird dabei deutlich, dass Mucha die Fotografie nicht als eigenständige Kunst verwendete, sondern zur Dokumentation privater Ereignisse und als praktische Hilfe bei der Vorbereitung seiner Werke. De Font-Réaulx schildert gelungen den Charakter der vorbereitenden Fotografien im Gegensatz zu ihrer malerischen Fassung, die Art und Weise, wie sie in das Werk integriert wurden.

Roger Diederens Aufsatz untersucht Muchas Münchner Zeit und stellt Muchas Selbstäußerungen sowie die Überlieferungen in der Biografie seines Sohnes den zeitgenössischen Studienbedingungen an der Münchener Akademie und Münchner Quellen gegenüber. Überzeugend kann er nachweisen, dass viele der Aussagen über Muchas Studium an der Münchner Akademie unzutreffend sind, dass aber seine Zeit in München durch die Kontakte mit Künstlerkollegen als fruchtbarer Abschnitt zu erachten ist, der Mucha half, seinen künstlerischen Weg über die Auseinandersetzung mit dem Werk anderer Künstler zu finden.

Alfred Weidinger rekonstruiert Muchas Malereien für den Pavillon der osmanischen Provinzen Bosnien-Herzegowinas von 1900 und zeigt sie als Scharnier zwischen den dekorativen Pariser Arbeiten des Künstlers und seinen panslawistischen Werken. Er geht auf die politischen Hintergründe, die Entstehungsumstände, das Programm, die Werkgenese ein.

Muchas umfangreichem "slawischen Epos" widmen sich Lenka Bydžovská und Karel Srp. Sie analysieren Muchas Patriotismus vor dem Hintergrund seiner Zeit und in seinen übergreifenden Zusammenhängen. Basierend auf Muchas Quellen und Szenenauswahl skizzieren sie sein Geschichtsbild, die didaktische Intention des Zyklus und können überzeugend darlegen, dass im Zentrum "die feierlichen Augenblicke, die Aussöhnung, die Zusammenarbeit und die Freundschaft" stehen (61) - Ideen, die sie in die Kompositionsweise und Motivik Muchas verfolgen. Wichtiges Fazit der Untersuchung ist, dass erst die internationale Karriere Muchas es ihm erlaubte, die Geschichte der Slawen in ihren übergreifenden Zusammenhängen, "aus der Perspektive der gesamten Menschheitsentwicklung zu betrachten" und vor einer rein nationalen Sicht bewahrte.

Zusammenfassend lässt es sich als gelungenes Konzept loben, dass eine partielle Sicht auf das Werk Muchas gewählt wurde, durch die es möglich wurde, neue interessante Aspekte im Werk eines Künstlers zu zeigen, dessen Werk so vertraut und bekannt ist. Der große allgemeine Einstieg mag dadurch fehlen, doch bewahrt die Konzentration auf das bisher Vernachlässigte vor Langeweile und Überdruss.

Michaela Braesel