Rezension über:

Franz Brendle / Anton Schindling (Hgg.): Geistliche im Krieg, Münster: Aschendorff 2009, 445 S., ISBN 978-3-402-12790-2, EUR 29,80
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Rezension von:
Christian Plath
Gymnasium am Markt, Achim
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Christian Plath: Rezension von: Franz Brendle / Anton Schindling (Hgg.): Geistliche im Krieg, Münster: Aschendorff 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 1 [15.01.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/01/15340.html


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Franz Brendle / Anton Schindling (Hgg.): Geistliche im Krieg

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Die Aufsätze des hier vorliegenden Sammelbandes basieren auf den Ergebnissen einer im Jahr 2008 veranstalteten Tagung des Sonderforschungsbereichs 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" an der Universität Tübingen. Die Publikation knüpft an die 2001 und 2006 erschienenen Sammelbände über das "Strafgericht Gottes" [1] und "Religionskriege im Alten Reich und im Alten Europa" [2] an. Sie beschränkt sich aber nicht auf einen bestimmten Zeitabschnitt, sondern gibt einen Überblick über die Kriegserfahrungen von Geistlichen verschiedener Konfessionen, Religionen und Länder vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.

Der Sammelband ist in fünf große Abschnitte gegliedert. Das erste Kapitel beinhaltet drei allgemeine und theoretisch angelegte Beiträge zu den "Religionsdienern und der Krieg". In einem einführenden Beitrag stellt Franz Brendle fest, dass Geistliche "in einer Vielzahl von Funktionen und Anlässen direkt oder indirekt von Kriegsereignissen betroffen" waren oder sie aktiv mitgestalteten (16). Die in dem Sammelband publizierten Beiträge haben zehn Leitfragen zur Grundlage, die unter anderem die Rolle und Funktion der Geistlichen, die Deutungsmuster der konfessionellen Unterschiede im Selbst- und Fremdbild dieser Gruppe, Argumente für einen gerechten Krieg und Deutungsmuster der Kriege umfassen (16).

Im zweiten Abschnitt, "Katholiken und Protestanten im Religionskrieg des 17. Jahrhunderts", gibt Susanne Häcker anhand der zur Zeit des Dreißigjährigern Krieges tätigen Theologen an den Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg einen viel versprechenden und ausbaufähigen Ansatz zur Verteidigung des Glaubens durch die Universitätstheologen, die entweder direkt an Kampfhandlungen teilnahmen oder als Berater und Hofprediger entsprechend Einfluss auf die Landesherren nahmen. Diese ersten Ergebnisse sollten unbedingt durch die Berücksichtigung weiterer Universitäten und einer breiten Auswertung des "gesamten themenbezogenen Quellenkorpus" (100) eine Erweiterung erfahren.

Leider weisen nicht alle Beiträge neue und weitergehende Forschungsansätze auf. So ist der Aufsatz von Andreas Neuburger zu den "Kriegserfahrungen in Selbstzeugnissen restituierter Pfarrer im Herzogtum Württemberg" lediglich als Ergänzung zu den Essays aus "Das Strafgericht Gottes" zu verstehen. Hier werden drei Selbstzeugnisse von württembergischen Äbten aus dem Dreißigjährigen Krieg auf die Kriegserfahrung und -deutung hin untersucht, ohne jedoch zu grundlegend neuen Ergebnissen zu kommen, zumal das von Neuburger herangezogene Tagebuch des Beneditkinerabts Georg Gaisser bereits vor einigen Jahren entsprechend ausgewertet wurde. [3]

Die Beiträge des dritten Abschnitts, "Geistliche im Dienst des Vaterlandes", kommen anhand verschiedener süddeutscher und schweizerischer Chronisten zu dem Ergebnis, dass sich hinsichtlich der Kriegserfahrungen und -deutungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts kaum Unterschiede zu früheren Jahrhunderten ergeben, denn die Chronisten und Pfarrer bauten weiterhin politisch, religiös und konfessionell motivierte Feindbilder auf (202) und deuteten die mit Einquartierungen, Kontributionen, Hunger und Seuchen einhergehenden Kriege als "Strafgericht Gottes" (216). Während der überwiegende Teil der Essays dieses Abschnitts also vorhergehende Forschungsergebnisse bestätigt, betrachtet Angela Strauß eine bisher unberücksichtigte Quellengattung, nämlich die Handbücher für preußische Feldprediger. Sie stellt fest, dass die Handbücher die Kommunikation der Feldprediger untereinander unterstützten und eine Gruppenidentität herausbildeten (164). Die Autorin betont, dass im Falle der Militärgeistlichen "Königstreue und Vaterlandsliebe nicht als Deutungsdispositionen gelten können" (179), sondern dass diese Gruppe von Geistlichen im Gegensatz zu anderen Klerikern den Krieg als "zentralen Bezugspunkt aller Selbstverortungen" kannte (167). Hieraus ergaben sich interessante gravierende Unterschiede im Amtsverständnis im Vergleich zu den Zivilgeistlichen.

Im vierten Abschnitt, der die Rolle der Geistlichen in den beiden Weltkriegen betrachtet, hat unter anderem Margit Schad die orthodoxe jüdische Kriegsdeutung in Frankfurt am Main während des Ersten Weltkrieges untersucht und somit ebenfalls ein bisher kaum betrachtetes Thema der Forschung aufgegriffen. In den von der Autorin ausgewerteten, überwiegend von Selig Schachnowitz verfassten Feldbriefen stehen "das Opfer der Soldaten und die jüdische Liebespflicht" (274) im Mittelpunkt. Der Tod auf dem Schlachtfeld sei ein "Letztbeweis für die religiöse und nationale Treue der Juden" gewesen (274). Diese Ansichten kommen dem allgemeinen, auch von christlichen Geistlichen verbreiteten Patriotismus des Ersten Weltkrieges recht nahe. Allerdings erwarteten die Juden von ihrem Kriegseinsatz als gute Patrioten auch eine "vollständige bürgerliche Gleichberechtigung" (280). Die Orthodoxie, so die abschließende Betrachtung, habe aber letztlich durch die Profanisierung ihrer Werte eine Schwächung der religiösen Positionen erfahren (288).

Während die orthodoxe Haltung einiger Juden durch den Ersten Weltkrieg einen Wandel erfuhr, stellt Annette Jantzen am Beispiel katholischer Geistlicher in Elsass-Lothringen fest, dass der Erste Weltkrieg trotz der enormen Verluste im Stellungskrieg keinen Wandel in Bezug auf das Denken der Vorkriegszeit herbeiführte. Der Krieg wurde nach wie vor mit der Vorsehung in Verbindung gebracht und pazifistische Strömungen wurden verurteilt. Allerdings wurde der Krieg von diesen Geistlichen nie als "durch Sünde verdient" interpretiert (262f.). Zwar erwähnt die Autorin den Ultramontanismus als Grund für diese Haltung, jedoch wäre bei diesem Beitrag ein kurzes, einleitendes Kapitel zu dieser religiösen Strömung hilfreich gewesen. Weiterhin ist zu wünschen, dass die Autorin in einer Weiterführung ihrer Studien der interessanten Frage nach einem Vergleich der Schicksale französischer und deutscher Geistlicher in Elsass-Lothringen nach 1918 nachgeht. Im einzigen Beitrag zum Zweiten Weltkrieg untersucht Jörg Seiler auf sprachlicher Ebene ein 1941 gehaltenes Referat des Bamberger Regens Johann Schmitt über die katholischen Theologen im Wehrdienst und stellt fest, dass Erinnerungskultur, Kriegspropaganda und Zeitkritik ineinander flossen (314).

Im abschließenden Abschnitt, welcher die Perspektive der "Kriegserfahrungen am Rande der Christenheit" zum Thema hat, befassen sich zunächst zwei Beiträge mit den Johannitern auf Rhodos bzw. an der Militärgrenze zum Osmanischen Reich. Weiterhin dokumentiert Fabian Fechner hinsichtlich der Jesuiten in Paraguay, dass sie als Befehlshaber, Feldgeistliche und Söldnerführer wirkten. Die Vermischung von Religion und Krieg galt im Zeitalter der Aufklärung zunehmend als Skandal und wurde daher als Anlass für den Verbot des Jesuitenordens verwendet (425).

Das Ziel des Bandes, das "zentrale Thema von Kriegserfahrungen in der Neuzeit bilanzierend zu behandeln" (16), wurde erreicht. In einer breiten thematischen Palette führen die einzelnen Beiträge zu dem Ergebnis, dass die Rolle der Geistlichen sowie die Muster der Kriegserfahrung und -deutung über die Jahrhunderte nahezu konstant geblieben sind. Geistliche konnten durch die Jahrhunderte hindurch "die Rolle von den Kampfgeist aufstachelnden Kriegspredigern, aber auch die von Trost spendenden Helfern haben" (18). Festzustellen ist, dass selbst im Ersten Weltkrieg mit seiner "völlig neuen Form der Kriegsführung" eine Kontinuität der althergebrachten christlichen Deutungsmuster bestand. Positiv hervorzuheben an dieser Publikation ist ferner der Blick über den Tellerrand der zentraleuropäischen christlichen Perspektive, der beispielsweise anhand außereuropäischer Länder oder deutscher Juden zeigt, dass sich die Kriegsdeutungs- und Verhaltensmuster an verschiedenen Schauplätzen und bei unterschiedlichen Gruppen weitgehend glichen.


Anmerkungen:

[1] Matthias Asche / Anton Schindling (Hgg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2002 2.

[2] Franz Brendle / Anton Schindling (Hgg.): Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 2006.

[3] Christian Schulz: Strafgericht Gottes oder menschliches Versagen? Die Tagebücher des Benediktinerabts Georg Gaisser als Quelle für die Kriegserfahrungen von Ordensleuten im Dreißigjährigen Krieg, in: Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, hgg. von Matthias Asche / Anton Schindling, Münster 20022, 219-290.

Christian Plath