Rezension über:

Wolfgang Hölscher / Joachim Wintzer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1969-1972 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; Bd. 13/VI), Düsseldorf: Droste 2007, 2 Bde., CLXIII + 1783 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-3-7700-5285-1, EUR 180,00
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Rezension von:
Daniela Taschler
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Daniela Taschler: Rezension von: Wolfgang Hölscher / Joachim Wintzer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1969-1972, Düsseldorf: Droste 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/14343.html


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Wolfgang Hölscher / Joachim Wintzer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages

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Die Auseinandersetzung um die Ostverträge der sozialliberalen Koalition gehört sicherlich zu den Höhepunkten der parlamentarischen Debatten über die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Während die entsprechenden Dokumente der Bundesregierung einschließlich der Protokolle der Verhandlungen in Moskau und Warschau bereits vor einigen Jahren in der Reihe der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" publiziert wurden, lässt sich die Debatte im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags nun anhand der edierten 66 Sitzungsprotokolle aus den Jahren 1969 bis 1972 nachvollziehen.

Die Regierung Brandt/Scheel nahm sehr bald nach ihrem Amtsantritt die Verhandlungen mit Moskau und Warschau in Angriff, argwöhnisch betrachtet von der Union, die sich erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in der Opposition wiedergefunden hatte und nun die Preisgabe bisher unverzichtbarer Grundsätze befürchtete. Während die Bundesregierung darauf verwies, dass sich die internationale Anerkennung der DDR kaum mehr aufhalten lasse und eine Verbesserung der Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten ohne die Verträge nicht möglich sei, befürchteten CDU und CSU eine Verschiebung des Mächtegleichgewichts zugunsten der UdSSR, eine Aufweichung der NATO einschließlich der Gefahr eines Rückzugs der USA aus Europa sowie die Gefahr neuer Konflikte infolge unterschiedlicher Interpretationen der Verträge.

Im Kern drehte sich die Debatte um die Frage, ob die Ostverträge als Ausgangs- oder Schlusspunkt der Ost- und Deutschlandpolitik zu bewerten seien. Die Union sah den Weg zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR und damit zur endgültigen Zementierung der Teilung beschritten und warf der Regierung vor, mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie ein wichtiges Faustpfand für mögliche Friedensvertragsverhandlungen aus der Hand gegeben zu haben. Dies brachte zumindest einem Teil der Union den Vorwurf von Außenminister Scheel ein, den Krieg nach 25 Jahren durch einen vertraglichen Handstreich gewissermaßen nachträglich noch gewinnen zu wollen (269). Überdies, so Egon Bahr in der Sitzung am 17. Juni 1970, sei bei den vier Mächten ein Interesse an einem Friedensvertrag ohnehin nicht mehr vorhanden (322). Die Regierungsvertreter legten immer wieder dar, dass die Bundesrepublik nur so mit der internationalen Entwicklung Schritt halten, den Entspannungsprozess in ihrem Sinne mit gestalten und der Gefahr einer Isolierung auch unter den eigenen Verbündeten begegnen könne. Auch auf die positiven Folgen für die Sicherheit Berlins wurde immer wieder verwiesen. Scheel betonte außerdem, dass eine politische Union in Westeuropa nur bei einer Bereinigung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik und ihren östlichen Nachbarn möglich sei (1153).

An der Person des Verhandlungsführers Bahr entzündeten sich scharfe Debatten. Während sich Bahr über Indiskretionen aus Sitzungen des Ausschusses beklagte (etwa anlässlich der Veröffentlichung des "Bahr-Papiers") und damit drohte, nicht mehr umfassend zu berichten, warfen Ausschussmitglieder von CDU und CSU der Regierung schlechte Informationspolitik vor (918f.). Mehr oder weniger unterschwellig bestand im Übrigen zumindest bei Teilen der Unionsfraktion der Verdacht, dass Bahr auch an Außenminister Scheel vorbei Absprachen traf. Dieses Misstrauen wurde in den insgesamt neun Sitzungen über die Ratifizierungsgesetze deutlich. Vertreter der Union forderten möglichst umfassende Einsicht in relevante Unterlagen bis hin zu den Verhandlungsprotokollen, was von der Bundesregierung auch mit Blick auf das Verhalten unionsgeführter Regierungen bei früheren umstrittenen Verträgen abgelehnt wurde. Diese Sitzungen zeigten zudem, wie vergiftet das Klima zwischen Regierung und Opposition vor dem Hintergrund einer schwindenden Regierungsmehrheit inzwischen war. Die Verträge wurden von den Unionsvertretern stundenlang derartig seziert, dass der Abgeordnete Kahn-Ackermann (SPD) in der Sitzung am 15. März 1972 stichelte, er fühle sich an die Diskussion erinnert, ob Christus nachts seinen Bart über oder unter der Bettdecke getragen habe (1355). Insbesondere der Brief zur deutschen Einheit wurde von der Union als unbefriedigend angesehen. Der Abgeordnete Gradl (CDU) warf der Bundesregierung vor, dass die Einheit zwar den Buchstaben nach im Moskauer Vertrag gesichert sei, nicht jedoch politisch. Das Ziel der Einheit habe nicht annähernd die Form bekommen, die es hätte haben müssen, um als Wille der Deutschen auch international Anerkennung zu erhalten (1225f.). Dementsprechend wurden die Ratifizierungsgesetze am 25. April 1972 mit je nur einer Stimme Mehrheit gebilligt (1682).

Alle anderen außenpolitischen Themen wie etwa der Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag, die sich am Horizont abzeichnende Europäische Sicherheitskonferenz (die spätere KSZE), die Lage der NATO, die Vorbereitung der Verhandlungen über die Abrüstung und Kontrolle konventioneller Waffen und Streitkräfte oder auch die Europapolitik wurden im Auswärtigen Ausschuss weitaus weniger intensiv und meistens im Zusammenhang mit den Ostverträgen behandelt. Die Lage außerhalb Europas spielte nur eine untergeordnete Rolle.

Die Edition leistet vorbildliche Arbeit bei der Erschließung der riesigen Textmenge. Neben einer kundigen Einleitung, die einen Überblick über die wesentlichen Themen und die Arbeit des Auswärtigen Ausschusses bietet, gibt es zahlreiche Hilfsmittel wie Kurzbiografien der Ausschussmitglieder, Mitglieder- und Teilnehmerübersichten, Verzeichnisse der Dokumente, der Archivalien, der am häufigsten vorkommenden Verträge sowie der behandelten Gesetzesentwürfe und Anträge sowie Personen- und Sachregister. Zu Beginn jedes Sitzungsprotokolls findet man zudem eine Kurzfassung des Sitzungsverlaufs, die ein schnelles Auffinden der für den Benutzer interessanten Tagesordnungspunkte ermöglicht. Die Kommentierung ist äußerst sorgfältig, könnte jedoch in zukünftigen Bänden etwas gestrafft werden: Verschiedene Anmerkungen, insbesondere Passagen aus veröffentlichten Quellen, werden immer wieder ausführlich zitiert, teilweise sogar mehrfach in einem Dokument (so etwa 1393/1407 oder 1392/1406). Auch erscheinen Zitate aus Sitzungen, die im gleichen Band abgedruckt sind, nicht sinnvoll (so 1356). Hier wären Rückverweise wünschenswert, was zudem weniger Auslassungen im Haupttext möglich machen würde, die aus Platzgründen verständlicherweise vorgenommen wurden. Die mitgelieferte CD bietet zwar den ungekürzten Text der Protokolle, dafür fehlt aber die Kommentierung, sodass die Seitenzählung nicht identisch ist, was eine längere Suche der Textstellen zur Folge hat. Da die Auslassungen nicht nur technische Debatten betreffen, sondern durchaus inhaltliche Beiträge, entsteht gelegentlich die Situation, dass in der Debatte über Äußerungen diskutiert wird, die nur auf der CD zu finden sind (z.B. 1354, 1362).

Die hier angesprochenen Punkte mindern jedoch insgesamt gesehen keinesfalls das positive Gesamturteil über die vorgestellte Edition. Sie bleibt für jeden an der Außenpolitik der Bundesrepublik interessierten Forscher absolut unverzichtbar.

Daniela Taschler